Oberösterreich, 27. Jahrgang, Heft 2, 1977

Inhaltsverzeichnis Schwerpunktthema Oberösterreich im Frühmittelalter Dr. Franz 0. Lipp Baiernzeit In Oberösterreich Dr. Kurt Holter Der Georgenberg in Micheldorf und das Gräberfeld von Kremsdorf — Geschichtliche Probleme des ersten Jahrtausends im oberen Kremstal Oberösterreich aktuell Landeshauptmann Dr. Erwin Wenzi Ursulinenhof Linz - neuer Weg der Kuiturförderung Manfred Pertiwieser Baierngräber an der Traun 19 Die Veröffentlichungen des Oberösterreichischen Landesarchivs Mühlviertier Heimatblätter Die Oberösterreichischen Heimat blätter im vierten Jahrzehnt Wildparks — gelungene Attraktionen unserer Zelt Bücherecke Landeskunde Dr. Wendeiin Hujber Anton Wolfradt — Gottes Dienst und Fürstendienst, Skizze aus dem Früh barock 25 49 52 54 55 56 58 Kulturzeitschrift Oberösterreich 27. Jahrgang, Heft 2/1977 Vierteijahreszeitschrift: Kunst, Geschichte, Landschaft, Wirtschaft, Fremdenverkehr Erscheinungstermine: März, Juni, September, Dezember Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Oberösterreichischer Landesverlag: Redakteur: Dr. Otto Wutzel; verantwortlich für den Inhalt im Sinne des Pressegesetzes: Dr. Elfriede Wutzel; Druck: Oö. Landesveriag Linz; sämtliche 4020 Linz, Landstraße 41, Ruf (0 72 22) 78 1 21. Jahresabonnement (4 Hefte): S 178.—; Einzelverkaufspreis: S 55.—. (Alle Preise inkl. 8 "/o MWSt.) Denkmalpflege Dipi.-ing. Rainer Reinisch Braunauer Herzogsburg - Bezirks museum 31 Historische Kunst Prof. Otfried Kastner Michael Neder 37 Kunst der Gegenwart Prof. Cari Hans Watzinger Hans Gerstmayr, Künstler und Lehrer 41 Umschlagmotiv: Halsketten aus baierischen Frauengräbern des 7. Jahrhunderts. Funde aus den Gräberfeldern von Rudelsdorf und Hafeld (Foto: Max Eiersebner) Umschiaggestaltung: Herbert Friedl Unserer heutigen Nummer liegt ein Prospekt der18bändigen MAGNUS KULTURGESCHICHTE bei. Diese hochwertige Reihe (mit insgesamt 11.100 Seiten) wird jetzt äußerst preis günstig angeboten. Wir bitten um Beachtung.

Kulturzeitschrift Das Gründungsjubiläum von Krems münster — 1200 Jahre Kremsmünster - findet nicht nur w/eiten kulturellen Widerhall in ganz Österreich (nacli 42 Ausstellungstagen 100.000 Besucher), sondern gibt auch der Landeskunde neue Impulse. Ein Historiker-Symposion beschäftigte sich in der Zeit vom 16. bis 18. Mai 1977 mit dem Thema „Die An fänge des Klosters Kremsmünster", die Landeskonservatoren Österreichs tagten vom 13. bis 16. Juni 1977 in der altehrwürdigen Benediktinerabtei, vor allem aber richtete das öberösterreichische Landesmuseum im Linzer Schloß eine vorbildliche Ausstellung ,,Baiernzeit in öberösterreich" ein, die bis zum 30. öktober 1977 zu besichtigen sein wird. Diese geschichtswissenschaftliche Aktivität bestimmte auch die Zeitschrift „öberösterreich", ihr Schwerpunktthema für Heft 2/1977 ,,öberösterreich im Frühmittelalter" zu widmen. Es ist dies der Zeitraum, in dem Kremsmünster gegründet worden ist, in dem die bairische ,,Landnahme" erfolgte, für den öberösterreich überdies mit der Martins kirche in Linz einen zweiten Denkmal-Schwerpunkt besitzt. Der Initiator der Ausstellung des Öberösterreichischen Landesmuseums, Universitätsprofessor Dr. Franz 0. Lipp, stellte in dankenswerter Weise den Einleitungsartikel zur Verfügung, der wie die Ausstellung selbst betitelt ist. Darin wird nicht nur die Schau im Linzer Schloß beschrieben, sondern die historische Thematik allgemein dar gestellt. Reizvoll ist, daß der Verfasser als Volkskundler eine sehr persönliche Blickrichtung einnimmt. Man könnte sagen, er zeigt sich als Kulturhistoriker im alten und weitesten Sinne des Wortes. Universitätsprofessor Dr. Kurt Holter schneidet ergänzend ein interessantes landeskundliches Detail über diesen Zeitraum an: ,,Der Georgenberg in Micheldorf und das Gräberfeld von Kremsdorf". Im Untertitel,,Geschicht liche Probleme des ersten Jahrtausends im oberen Kremstal" weist er auf die inhaltliche Konzeption seines Aufsatzes hin. Es wird hier historisches Neuland skizziert. Der Leser erfährt, wie schwierig gerade für die Frühzeit die Arbeit der Wissenschaft sich gestaltet. Manfred Pertlwieser ist Archäologe. Er kommt von der Praxis des Ausgräbers her. In seinem Aufsatz ,,Baierngräber an der Traun" beschreibt er die hoch interessanten Gräberfelder „Linz-Zizlau I und II" (heutiges VÖEST-Gelände), ,,Rudelsdorf" (zwischen Neubau und Marchtrenk gelegen), am Waschenberg (im Alm-Traun-Mündungsgebiet), in Rafeld bei Fischlham, in Schlatt bei Breitenschützing usw. Aus den Funden rekonstruiert er anschaulich das Kulturbild dieser Zeit. In den Fachsparten werden aktuelle kulturelle Themata behandelt. In der Sparte ,,Landeskunde" entwirft Dr. Wendelin Hujber, in der Stifts geschichte von Kremsmünster bestens bewandert, eine ,,Skizze aus dem Frühbarock". Zentrale Figur seiner Abhandlung ist einer der bedeutendsten Äbte des „Gotteshauses zu Krems münster", Anton Wolfradt (1613—1639), von 1624 bis 1630 Hofkammerpräsident Kaiser Ferdinands II., seit 1631 Bischof, seit 1631 Fürstbischof von Wien. An ihn erinnert im Kloster der WolfradtSaal in den Kunstsammlungen, mit seinem Lebensbild wird die Zeit des 30jährigen Krieges eingeblendet. In der Sparte „Denkmalpflege" stellt Dipl.-Ing. Rainer Reinisch, Stadtbaudirektor von Braunau, mit der „Braunauer Herzogsburg — Bezirksmuseum" eine der bedeutendsten Revitalisierungen historischer Gebäude in öberösterreich vor. Es wird aufgezeigt, wie attraktiv Altbauten für kulturelle Zwecke modernisiert werden können und somit Denkmalpflege nicht nur bewahrend und erhaltend, sondern ebenso kulturpolitisch wirken kann. In der Sparte ,,Historische Kunst" greift Prof. ötfried Kastner mit dem Lebensbild des Wiener Biedermeier malers Michael Neder wieder ein Kremsmünsterer Thema auf - die Kunst sammlungen des Stiftes besitzen von diesem Künstler einen ansehnlichen Werkbestand —, das allerdings auch auf das öberösterreichische Landesmuseum übergreift, das durch Kauf und Schenkung in seiner Landesgalerie ebenfalls als Pflegestätte dieses Genres angesprochen werden kann. Die Sparte ,,Kunst der Gegenwart" ist einem Altmeister des heimischen Gegenwartsschaffens gewidmet, dem Eisen- und Stahlplastiker Hans Gerstmayr, der am 14. April 1977 seinen 95. Geburtstag feiern konnte und legitimer Erbe der BlümelhuberTradition in unserem Lande ist. Die Sparte ,,öberösterreich aktuell" ist diesmal kulturpolitisch ausgerichtet. Landeshauptmann Dr. Erwin Wenzl zeigt an Hand des Landeskulturzentrums Ursulinenhof ,,neue Wege der Kultur förderung" auf. Zu Wort kommen weiterhin das öberösterreichische Landesarchiv mit einem Bericht über seine wissen schaftlichen Veröffentlichungen, die ,,öberösterreichischen Heimatblätter" und die ,,Mühlviertier Heimatblätter" als wichtige kulturpublizistische örgane.

Baiernzeit in Oberösterreich Franz C. Lipp In einer Ausstellung „Balernzelt In Oberösterrelcti" hat es das Oberösterreichische Landes museum In Zusammenarbeit aller kulturge schichtlichen Abteilungen dieses Institutes unternommen, den historischen und kulturel len Hintergrund der „dunklen Jahrhunderte" zwischen dem Ausgang der Antike, markiert mit dem Abzug der Römer Im Jahre 488 und dem Beginn des neuen christlich-abendländi schen Reiches Im Jahre 800, aufzuhellen. Erst mals werden nicht nur das ,,Nachleben der Römer" bis In das 6. Jahrhundert hinein, son dern die gesamte Balernzelt mit Ihren ca. 70 Fundplätzen In Oberösterreich, darunter so berühmten wie ZIzlau und Rudelsdorf, ausge stellt. Die Volkskunde wartet mit Rekonstruk tionen des Gehöftes und der Kleidung zur Zelt der Agilolfinger auf. Auch das sehr kräf tige Welterleben frühbalrischer Gesittung wird anschaulich demonstriert. Die kostbarsten Ex ponate befinden sich In der Abteilung ,,Kunst der Agilolfingerzelt". Hier Ist es gelungen, das persönliche Gebetbuch des Herzogs Tas silo, den berühmten Psalter von Montpellier, eine Handschrift aus Mondsee vor 778, aus Frankreich und den bescheideneren Bruder des Tassilo-Bechers, den Gundpald-Kelch aus Ödenburg, Ungarn, als Leihgabe zu erhalten. Zu der Ausstellung, die an die 700 Exponate enthält, Ist ein umfangreicher Katalog (ca. 400 Selten) mit Beiträgen In- und ausländischer Fachwissenschafter erschienen. Im Folgenden berichtet der Planer und Leiter, Franz 0. Lipp, über das Ausstellungsthema. Das Jahr der Tassilostiftung fällt In jene dunkle Periode der europäischen Ge schichte zwischen dem Ende der römi schen Herrschaft und dem Beginn des abendländischen Reiches Karls des Gro ßen, die noch immer das größte Vakuum im Geschichtsbewußtsein unserer Zeit genossen darstellt. In Oberösterreich sind das die Jahre vom Tode Severins bis zum Awarenzug Karls des Großen, der ihn 791 an dem Castrum, dem Schloß zu Linz, und an der Martinskirche vorbei führt. Als der Feldzug 805 siegreich be endet wird, ist er bereits zum Kaiser ge krönt, In dessen Reich auch das Land zwischen Enns und Inn voll integriert ist. Die Nachantike Oberösterreichs ist mit den Begriffen Severin und Lorch untrenn bar verbunden. In Favianis (Mautern) empfing Severin den nach Italien drän genden Skirenfürsten Odoaker und weis sagte ihm den Sieg über den letzten Rö merkaiser. Gleichsam eine Dankesschuld abstattend, ließ der neue Herr Italiens durch seinen Bruder Hunimunt die römi schen, an die Donau versetzten Soldaten, Verwaltungsbeamten und Kaufleute nach Italien geleiten. Von dieser Möglichkeit eines gesicherten Geleites machte kaum auch die romanisch sprechende Bevölke rung, ursprünglich keltischer Herkunft, die als „Walchen" später In einigen Land strichen Oberösterreichs, gehäuft im At tergau, in Erscheinung treten, Gebrauch. Es gilt als sicher, daß sich an einigen Orten, so in Lorch und in Passau, viel leicht aber auch noch anderwärts christ liche Zellen bis in die bairische Zeit hin überretteten. Lothar Eckhart hat die Kult kontinuität nicht nur für Lorch, sondern das Weiterleben römischer Grabdenk malbräuche auch noch für das erste, viel leicht sogar 2. Viertel des 6. Jahrhunderts In St. Georgen im Attergau nachweisen können. Erst unlängst hat eine Grabung in Schlatt bei Schwanenstadt innerhalb eines bairischen Reihengräberfeldes des 7. Jahrhunderts die Reste eines römi schen, vermutlich christlichen Zentral baues zutage gefördert. Den Vorgang der bairischen ,,Landnahme" stellt man sich seit einigen Jahren anders vor als früher. Glaubte man noch bis vor kurzem, daß die Baiern als geschlossene Heeres macht, ähnlich wie die Langobarden in Italien oder die Westgoten in Spanien einrückten, nach Noricum und Rätien ka men, so berücksichtigt man heute vor al lem die Tatsache, daß das Gebiet nörd lich und südlich der Donau seit dem 4. Jahrhundert schon Aufmarschgelände und auch Siedlungsraum germanischer Stämme war, wie die Vita SeverinI ein dringlich zu berichten weiß. Genannt werden Markomannen, Sueven, Aleman nen, Rugler, Heruler, Skiren, Quaden und Narlsten, die am Beginn des 7. Jahrhun derts an der Grenze zu Burgund auch als Warasken bezeugt werden. Es war nicht nur ein Kommen und Gehen, son dern auch ein Warten und Bleiben, wie wir z. B. durch die Grabungen am Zie gelfeld in Enns wissen, bei der schon für das 5. Jahrhundert eine germanische Bevölkerungskomponente nachgewiesen werden konnte. Schon früher hatten sich germanische Menschen bemerkbar ge macht, so wenn sie von dem weißen Gold, dem Salz Hallstatts, angezogen wurden. Auf dem Weg dorthin wurde eine Germanin In der 2. Hälfte des 4. Jahr hunderts vom Tode — ob gewaltsam oder natürlich - ereilt. Ihr verdanken wir den berühmten ,,Goldfund von Steeg", der aus einem goldenen Halsschmuck und Armreif sowie aus zwei Fingerringen (Gold und Silber) besteht. Nach der Be seitigung der römischen Kaisermacht durch Odoaker und nach dem Abzug des römischen Militärs und der römischen Verwaltung trat zwar in Noricum ripense ein gewisses politisches, nicht aber ein vollständig ethnisches Vakuum ein. Die ses Vakuum füllten die bedrängten und Die St.-Laurentius-Kirche (Basilika) von Lorch-Lauriacum (Enns), Ansicht von Südosten, Dokument eines Kulturkontinuums vom späten 4. Jahrhundert bis in die Gegenwart. — Aufnahme: Eiersebner um ihre ursprüngliche Heimat gekom menen Scharen der Skiren, Sueven, Restheruler, Rugler und Narlsten, die schon früher Erwähnung fanden. Es muß aber offensichtlich eine nach ihrer alten Baja-Heimat, die man nun nicht mehr nur in Böhmen, sondern auch am Fuß der Karpaten, in der Slowakei, sucht, be nannte Gruppe den namengebenden Kern in jenem Prozeß der Stammesbil dung (Ethnogenese) gebildet haben, dem auch sämtliche andere deutschen Stämme, die einen früher, die anderen später, einmal unterlegen sind. Daß die nachmaligen Baiern als letzte zu einem polltisch und strukturell einheitlichen Stammeskörper zusammenschmolzen, hat Ihnen die Bezeichnung ,,Findelkinder der Völkerwanderung" eingebracht. Als einziges der österreichischen Bun desländer befand sich das heutige Ober österreich In seiner ganzen Ausdehnung vom Inn bis an die Enns und vom Nord wald bis zu den ,,toten" Gebirgen im Süden, wozu auch das schlechthin ,,Stein" genannte unwegsame Felsgebiet südlich Hallstatt gehörte, innerhalb des seit der Mitte des 6. Jahrhunderts von den Agilolfingern regierten bairischen Stammesherzogtumes, das zeitweise auch als regnum und dessen Herzog mit-

unter sogar als rex bezeichnet wurde. Dieses „Reich" im Dreieck zwischen den Franken, Langobarden und Thüringern hatte zwar den Wilien, sich seibständig zu behaupten, mußte sich aber schon in seinen Geburtswehen dem fränkischen Druck beugen. Nur Tassilo III., dem Grün der Innichens und Kremsmünsters, ge lang es, auf Grund seiner Herrschafts ausdehnung über die Karantanen den bairischen Willen zur Selbständigkeit etwa drei Jahrzehnte durchzusetzen und sogar gegenüber seinem Vetter und Schwager Karl dem Großen zu behaup ten. Am Ende siegte politisch der umfas sendere Reichsgedanke über das natur haft ursprüngliche Stammesdenken. Die Baiern Oberösterreichs — und von sol chen kann man vom ersten Drittel des 6. Jahrhunderts sprechen — haben ihre „Denkmäler" in zahlreichen Bodenfun den, darunter in mindestens 35 beigaben führenden Reihengräberfeldern und in weiteren 34 Fundorten, hinterlassen. Sie erweisen sich nach Joachim Werner dem ,,östlichen Merowinger Reihengräber-Ty pus" zugehörig. Die Ausstattung der Grä ber zeigt keine besonders auffälligen Ab weichungen gegenüber denjenigen der Nachbarstämme auf, im ganzen jedoch ist sie eher bescheidener als die der Franken und Alemannen. Ein Unterschied in der Wertigkeit des Zugehörs bzw. der Grabbeigaben macht sich schon im Ver gleich der reichen Salzhandelsherren von Zizlau mit der ärmeren Bauernbevöikerung der Reihengräber entlang der Traun bemerkbar. „Rustikaler", einfacher, ist das Hauptmerkmal der Hinterlassenschaf ten gegenüber den germanischen Vet tern am Rhein. Aber es bestand ein reger Austausch der Werkstättenerzeugnisse nach West und Ost. So finden sich in den kernbairischen Gräbern Oberösterreichs und Aitbayerns nicht nur alemannische und fränkische, sondern auch zahlreiche langobardische Elemente, wie ja über haupt der Verkehr mit diesem Bruder volk besonders lebhaft war. Nicht über raschen darf an der Traun und Enns das ziemlich kräftige Einsickern awarischer Handelsware, darunter jener berühmten Riemenzunge mit der ältesten Kuittanzdarsteliung des Frühmittelalters auf oberösterreichischem Boden. Sie befand sich eindeutig im Besitz eines jungen bairi schen Kriegers. Auf Grund der Boden funde, der Gewebeuntersuchungen, des Vergleiches mit früheren und späteren Bilddarstellungen und der Kenntnis der Entwicklung unserer Volkstrachten wurde es möglich, eine Vorstellung von der Klei dung der Bajuwaren vom 6. bis zum 8. Jahrhundert zu gewinnen. Man wird sie sich weniger „exotisch" denken müs sen, als noch die Romantik des 19. Jahr hunderts es tat. So trug der Baier zur Zeit Tassilos einen iodenen oder leinenen Hemdrock und eine Langhose, Bundschuhe und Waden binden. Charakteristische Oberbeklei dung war das „sagum", eine Wolldecke, die auf der rechten Schulter gefibelt oder genadelt war. Zur Waffenausrüstung ge hörten Langschwert (Spatha) und Hieb schwert (Sax), Rundschild und Lanze. Die Frau des 8. Jahrhunderts trug eine mit Borten gesäumte Tunika, darüber den Tragmiederrock, wie er noch in ganz we nigen Volkstrachten Schwedens und Schwabens sowie in den Ost- und Westaipen vorhanden ist. Zur Ausstattung ge hörte der Gürtel mit Gehänge, oft auch mit einer Bügeitasche. Übrigens trugen auch die Männer Kamm, Feuerzeug und Rasiermesser in einem Leinen- oder Lo denbeutel bei sich. Auch über Haus und Gehöft sind inzwi schen klarere Vorstellungen gewonnen worden. So zeigt die Ausstellung „Baiernzeit in Oberösterreich" nicht nur eine neue Rekonstruktion der bairischen Tracht, sondern auch des bairischen Ge-

höftes, wie sie auf Grund der Angaben des bairischen Volksgesetzes, vor allem aber der jünsten Ausgrabungen erschlos sen werden konnte. Demnach wurde be rücksichtigt, daß es sich entgegen hart näckiger älterer Rekonstruktionen beim frühbairischen Gehöft nicht um ein Ein baus, sondern um einen Haufenhof mit fünf bis sechs Nebengebäuden handelte. Allgemein waren die Bauten Pfostenhäu ser mit steilem Strohdach und Flecht wänden, wie sie noch z. B. im Bezirk Eferding, aber bei Scheunenbauten (stei les Strohdach) im ganzen Land mit Aus nahme der Alpenregion bis zur Gegen wart üblich waren. Die Baiern siedeln auf den besten Ackergründen, in der Zone der heutigen Weizen-, Mais- und Agilolfingerklöster Mondsee und Krems münster bezeugen das Nachleben, aber auch die Symbiose der alteingesessenen Keltoromanen mit den nun ton- und sprachbestimmenden Baiern. Aber nicht allein mit keltoromanischen Bevölkerungsresten muß gerechnet wer den, erwiesen ist auch, daß vom Osten und Süden und wohl auch vom Norden her slawische Siedler in das ursprünglich voll ständig vom germanischen Element be herrschte und bevölkerte Land zwischen Enns und Inn eindrangen. Linter den zirka 35.000 deutschen Orts-, Flur-, Fluß- und Bergnamen gibt es nach dem oberöster reichischen Slawisten Univ.-Doz. Dr. Otto Kronsteiner ganze 278, also einen ver schwindend geringen Prozentsatz, die auf sind allenthalben, auch östlich von Paß Gschütt - Ischl - Steyr - und ab hier, im Norden der nach Linz — Haslach zurück springenden Linie, bairische Edle und die bairischen Kirchen und Klöster. Die Sla wen sind anscheinend ohne besondere Schwierigkeiten und Spannungen in die umgebende Landbevölkerung ein- und umgeschmolzen worden, dies bezeugt auch deutlich der Befund der Gräber vom späten 8. bis zum 10. Jahrhundert. Dort, wo die Kirche am stärksten durchdringt, hört die Sitte der Grabbeigaben am frühesten auf — im Zentralraum etwa im er sten Drittel des 8. Jahrhunderts. An den Rändern und in den Rückzugsgebieten wird sie länger beibehalten. Diese Beob achtung ist der Volkskunde und EthnoloW i fM \ Zuckerrübenanbaugebiete des Alpenvor landes. Die Lage ihrer Sippengräber (Reihengrabfelder) und die Verbreitung der ing- und ham-Namen lassen erken nen, daß sie sich besonders dicht im Eferdinger Becken, im Raum von Linz und in einem Gebiet westlich der Traun, von Linz bis Lambach, dann wieder, der alten römi schen Reichsstraße über Vöcklabruck— Frankenmarkt folgend, gehäuft im obe ren Innviertel niederlassen. Im Atter gau und im salzburgischen Flachgau mi schen sie sich deutlich mit dort noch wei terlebenden Romanenresten, die in den ,,Walchenorten" (Seewalchen, Straßwalchen, Wallersee u. ä.) weiterleben und sich neuerdings sogar auch durch Grab steine, die eine romanisch-germanische Mischkultur aufzeigen, nachweisen ließen (vgl. dazu Lothar Eckhart, Das Nach- und Weiterleben der Römerzelt in Oberöster reich, im Katalog der Ausstellung). Denn nicht nur der bedeutsame Grabstein von St. Georgen im Attergau aus dem 6. Jahr hundert, sondern auch die römischen Grabsteine in den Fundamenten der slawischen Ursprung schließen lassen. Darunter sind aber etwa 40 Namen proble matisch und können verschieden gedeu tet werden. Sicher ist jedenfalls die früheste Erwähnung zweier slawischer Dekanien innerhalb des bairischen Herr schaftsraumes in der Gründungsurkunde Kremsmünsters von 777 und auch die re lativ späte letzte Erwähnung slawischer Siedler Im Jahre 1110 in der Gemeinde Sipbachzell, ebenfalls im Einzugsgebiet des Stiftes (Kremsmünsterer Pfarre). Der awarisch beeinflußten, slawisch-deut schen Mischkultur des 9. bis 11. Jahr hunderts gehören Grabfunde an, die ge rade in den letzten Jahren gehoben wer den konnten. Ein Zentrum dieser karantanisch-frühdeutschen Kultur war dem nach Micheldorf Im Kremstal, aber auch das Gebiet der sogenannten „Riedmark" war im 9. Jahrhundert slawisch besiedelt. Dennoch Ist ein großer Unterschied zu den Verhältnissen in Steiermark und Kärnten und denen Niederösterreichs ge geben. Herr des Landes ,,ob der Enns" ist der bairische Herzog, und Grundherren gie nur allzugut bekannt. Wer altartige Verhältnisse studieren will, muß sich in die „Wildnis", in die verkehrsfernsten, ab geschiedensten Gebiete begeben. Die Christianisierung im Sinne nicht nur einer politisch berechnenden, sondern einer überzeugten Annahme des Ghristusglaubens ging Hand in Hand mit dem Ausbau der kirchlichen Verwaltung und Organisa tion. Zellen blieben ohne Zweifel die ro manischen Bevölkerungsreste und feste Punkte wie Lorch, Passau, Salzburg und wohl auch dazwischen liegende Stationen an den ehemaligen Römerstraßen. Wenn Ignaz Zibermayr noch davon ausging, daß eine zweimalige Bekehrung der Baiern notwendig war, so war dies, wie heute vermutet wird, zwar in der Darstellung übertrieben, aber es lag Ihr doch die Tat sache zugrunde, daß anstelle einer ech ten conversio in Baiern das Christentum die Formen einer besonders stark mit den Elementarereignissen und dem Ding haften verbundenen Volksfrömmigkeit annahm, gegen die schon Bonifatius und alle folgenden Missionare ankämpften.

Links außen: Grabstein eines Ehepaares aus St. Georgen im Attergau, Wende 1./2. Viertel des 6. Jahrhunderts. Daneben: Reiieffragment vom Marmordeckel eines Ossuars aus der St.-Laurentius-Kirche von Lorch-Lauriacum, Mitte bis 3. Viertel des 6. Jahrhunderts. — Aufnahmen: Eiersebner Rechts: Ein bairisches Paar zur Zeit der Gründung des Stiftes Kremsmünster 777, Rekonstruktion der Tracht von F. 0. Lipp, Figuren von Heimuth Krauhs, Wien, alle — selbst die kleinsten — Einzelheiten sind Funden nachgebildet. — Aufnahme: Eiersebner die allerdings erst unter dem Eindruck der Reformation, der Aufklärung und al ler Itirer Folgeerscheinungen In Wand lung, wenn nicht in Auflösung begriffen Ist. Über Alter und Herkunft der Kirchen gründungen, die zum Großteil erst in der nachkarolingischen Zeit erwähnt und beurkundet sind, vermögen die Patrozinien Hinweise zu geben. Die Erzpatrone Laurentius, Stefanus, Michael, Jakob, An dreas, Nikolaus, Johannes der Täufer, Florian, Erasmus, Remigius, Petrus, Pau lus, Martin, Georg und natürlich die älte sten Patronate Mariens und Maria Mag dalenas können den vergleichenden Patrozinienforscher auf bisher nicht beach tete Spuren des Weges der kirchlichen Erschließung verweisen, wobei zu beach ten bleibt, daß das Land ob der Enns im Spannungsfeld der nach Osten gerich teten Bistümer Passau (das seine Exi stenz von Lauriacum-Lorch ableitet) und Salzburg liegt. Auch Regensburg (Mond seeland), Würzburg (Lambach-Wels) und Bamberg (Attergau) schicken sich schon seit dem 8. Jahrhundert an, Einflußgebiete in dem östlichsten Herzogsland zu gewinnen. Erst aus dem Gegensatz zur mehr oder weniger „paganen" Glaubensübung ver steht man die Notwendigkeit, spirituelle Zentren der christlichen Lehre und der geistigen Kultur zu schaffen, als welche sich im Frühmittelalter zunächst die Iri schen, später die benedlktlnlschen Klö ster erwiesen. In Oberösterreich waren es die zwei Agilolfingergründungen Mondsee und Kremsmünster. Stifter des Gotteshauses am Mondsee war Herzog Odilo, der eng mit dem fränkischen Kö nigshaus versippt war. Im Jahre der Gründung von Mondsee, 748, war er noch verhältnismäßig jung, aber er überlebte seine Stiftung nicht mehr. Der Besitz von Mondsee erstreckte sich im Osten bei Ischl bis an die Traun und verlief im Süden entlang der heutigen Grenze gegen Salzburg. Hier entschied gut 200 Jahre später der Bischof Wolfgang von Regens burg die Streitigkeiten um den Anspruch Salzburgs mit dem legendären Beilwurf. Aus dem Verbrüderungsbuch von Rei chenau (825 angelegt) geht hervor, daß es Mönche dieses Klosters waren, die als erste nach Mondsee berufen wurden, und nicht, wie es der Stiftsmythos post festum wollte, Mönche von Monte Cassino. Das alemannische Reichenau aber wurde noch nach kolumbanisch-irischer Regel geleitet. Der Sohn Odilos, Herzog Tassilo, 748 zur Nachfolge gelangt, wurde nicht nur der eigentliche Testamentvoll strecker seines Vaters in Mondsee, son dern gründete selbst eine ganze Reihe von Klöstern, von denen Innichen im Pustertal, an der Grenze zu Karantanien gelegen (gegr. 769), und Kremsmünster (gegr. 777) am bekanntesten wurden. ,,Die Stiftung des Münsters an der Krems war das letzte große Werk der irischen Kirche in Baiern, von dem wir Kunde haben; ... es leitet den Versuch ein, die bösen Folgen des Unterganges der alten Hauptstadt Lorch (um 700) wiedergut zumachen." (zit. n. Ign. Zibermayr) Von der Traun bis an die Enns und von St. Florian bis gegen den Almsee reicht

Barockes Gunthergrab in der Grotte der augenblicklich nicht zugänglichen „Guntherquelie" des Stiftes Kremsmünster Darunter links: Haus eines Freien, Rekonstruktion: G. Dimt, Modellbau: R. Schober. — Aufnahmen:Eiersebner Darunter rechts: Gundpald-Keich (Kelch von Petöhaza), um 785, Leihgabe des Liszt-Ferenz-Museums in Sopron (Ödenburg). ^ .■ W':J „ ijB •f: 4' MA'- .f". der Besitz des neu gegründeten Klosters. ,,Tradldl quod potui", tieIßt es darüber in der Stiftungsurkunde. In den Fundamen ten beider Klöster, Mondsee und Krems münster, sind römisctie Grabsteine zum Vorschein gekommen. Sie mußten sich, ihrer Lagerung nach, ursprünglich nicht unbedingt an Ort und Stelle befunden haben, aber sehr weit wurden sie be stimmt nicht herbeigeholt. Sicher ist, daß lateinische Kulturtradition in beiden Got teshäusern, wo spätestens seit dem Sturz des Herzogs Tassilo und ihrer Erhebung zu karolingischen Reichsabteien nach der Regel des helligen Benedikt gelebt und gewirkt wurde, ihre vernehmlichsten Pflegestätten erhielt. Diese Tradition wurde nicht nur aus römisch-italischen oder oströmisch-byzantinischen, sondern in hohem Maße auch aus irischen und germanischen Quellen gespeist. Ein irisch-angelsächsischer Überlieferungs-

Oben: Goldohrgehänge mit Fischdarstellung aus LInz-Zizlau. Darunter: SIchelmondförmiger Schmuck anhänger aus Bronze, Fundstelle Laurlacum Lorch, 6./7. Jahrhundert. Links daneben: Gegossene Bronzebeschlage eines awarlschen Waffengürtels aus Micheldorf. Rechts daneben: Silberne Riemenzunge aus LInz-ZIzlau (rechts im Bild) und bronzene Riemenzunge aus Überackern (links im Bild), 7. Jahrhundert. — Aufnahmen: Elersebner Strom sickerte dabei über Reichenau und Salzburg ein, wo sich der irische Bischof Virgil angeschickt hatte, den Mutterdom der bairischen Kirche zu errichten, und wo Mönche seiner Heimat als Handwer ker, Maler und Schreiber tätig waren. Auch im jungen Kloster Mondsee hat man eine Schreibschule nachgewiesen, der man u. a. jenen berühmten, reich illustrierten Psalter zuschreibt, der sich im persönlichen Eigentum des Herzogs Tassilo befunden haben dürfte und nach dessen Sturz in ein nordfranzösisches Kloster gebracht worden ist, wo er nahe zu ein Jahrtausend lang gehütet wurde, bis er schließlich in der Bibliothek der Medizinischen Fakultät von Montpellier seinen heutigen Bestimmungsort fand. Von einer Mondseer (oder Salzburger) Werkstätte könnte nach neueren For schungen auch jener von einem Gundpald signierte („Gundpald fecit") Kelch stammen, der in Petöhaza bei ödenburg gefunden wurde und vielleicht als Meß kelch eines bairischen Glaubensboten diente. Dieser Gundpald-Kelch, im Umriß und den Proportionen stark dem TassiloKelch gleichend und wie dieser mit einem Drehring am Nodus versehen, ist nur mit einem einfachen, aber sehr signifikanten Flechtbandornament verziert, hat also nicht jene kostbare Ausstattung aufzuwei sen, die dem Stifterkelch des Herzogpaa-

res eignet. Dennoch ist er das großartige Denkmal autochthonbairischer Gold schmiedekunst eines Mannes Gundpald, dessen Name sich vom Lech bis zu den östlichen Abhängen des Wienerwaldes (z. B. Gumpoldskirchen) häufig belegen läßt. Salzburg, wohl das bedeutendste Kul turzentrum vorkarolingischer Zeit, Mond see und Kremsmünster teilen sich den Ruhm, Ursprungsstätte der bedeutend sten Kunstdenkmäler der frühbairischen Zeit zu sein. Wohl in Salzburg wurde für den Herzog Tassilo und seine Gemahlin Liutpirg jener in seinem Rang unver gleichliche Kelch geschaffen, der in Kremsmünster bleibende Bewahrung und liturgische Verwendung fand, in Mond see entstanden der Psalter von Montpel lier und wahrscheinlich der GundpaldKelch und in Salzburg, Mondsee oder Kremsmünster der so wunderbar illumi nierte Codex Millenarius, der heute zu sammen mit dem Tassilokelch, den ihrem Alter und ihrer Herkunft endgültig noch nicht geklärten Tassilo-Leuchtern und dem überaus einprägsamen Scheiben kreuz aus der Zeit um 1170/80 zu den erhebendsten Kunstschätzen Kremsmün sters und damit des Landes ob der Enns zählt. Was blieb aus der bairischen Frühzeit des Landes, was blieb von den Grund steinlegern so bedeutender Kulturstät ten? Es ist, merkwürdig genug an dieser nicht gerade überlieferungsfreudigen Wende, mehr, als man oberflächlich anzu nehmen geneigt ist. Nicht nur, daß sich in einigen Gegenden noch die bairischen Lautungen „hr" und „eo", wie im „Hroß" (Pferd) oder „hroatn" (rechnen, über legen) oder in „'s Keot" (Kot, Erde, Acker krume), ,,Teod" und „Breot" erhalten ha ben, hier war noch vor kurzem das ailsonntägliche ,,Hraofn" (Raufen) eine ge schmähte, aber geduldete Art von Volks sport üblich. Hier lebten die im bairischen Volksrecht erwähnten Rechtsgepflogen heiten des Beilwurfs und des Ohrenzupfens bis in das späte Mittelalter, die Ge bräuche des Totenkultes, wie die der Totenbretter und der bemalten Schädel, teilweise bis zur Gegenwart. In bezug auf Dichte und Verbreitung der Pferdekulte, sei es allein in der Vorliebe fürdie Pferde haltung, in den Rittbräuchen, aber auch in Praktiken mit abgeschlagenen Häuptern von Pferden und Rindern nimmt Ober österreich eine Sonderstellung ein. Die Vorliebe für das Votivwesen, für eiserne, hölzerne und wächserne Opfertiere, für dargebrachte Haaropfer, Tonkopfurnen, „Lüngeln", Kröten, Fraisketten, „Betn", Tonkopfurne (oben) und Totenbretter (dar unter) zum Kapitel ,,Weiterleben frütibairlscher Bräuche". — Aufnahmen: Elersebner •v iVO, MW /''. i 4 für das ,,Wenden" von Krankheiten und ,,Anbrauchen" volks- und tiermedizini scher Mittel teilt Oberösterreich mit Alt bayern und seinen anderen Nachbarlän dern. Der in einer Mondseer Glosse um das Jahr 1000 erstmals als Übersetzung von Dreikönigsnacht gebrauchte Begriff „Percht" (im Zusammenhang mit Perchtennacht) spielt im Volksbrauch Ober österreichs und der Alpenländer eine ebenso gewichtige Rolle wie die „Haber geiß", die sprachlich auch mit ,,Haber feldtreiben" (ein ländliches Rügegericht) zusammenhängt. Es wurde im Innviertel, sozusagen wörtlich übersetzt, als „Bockhäuteln" bezeichnet. Die Fülle der Gebildbrote, der Maskengestalten, die ebenfalls hier noch mit in Betracht zu zie hen wäre, ist so reichhaltig, daß sich die Zahl der in bairischer Überlieferung wur zelnden Bräuche nicht einmal abschät zen, geschweige denn aufzählen ließe. Wenn auch nur mehr in Resten, ist so viel davon erhalten, daß Oberösterreich sich immer noch als kernbairisches Land zu erkennen gibt. Die Erinnerung an die Zeit der Agilol finger und diese selbst wurde und wird in Oberösterreich am nachhaltigsten von ihren Stiftungen gepflegt. Besonders die Säkular- und Milleniumsfeiern der Stiftsgründungen (748 Mondsee, 777 Kremsmünster) gaben mächtige Anregun gen zu Gedenkfeiern und künstlerischer Darstellung. So flankieren den Hochaltar des Mondseer Münsters lebensgroße Standbilder der Herzoge Odilo und Tas silo im Kostüm des 17. Jahrhunderts. Im Chor des Stiftes wurde anläßlich der Jahrtausendfeier des Jahres 1748 in Großgemälden der Stifter Odilo und Tas silo gedacht. Der Unverstand der Folge jahre nach der Auflösung des Stiftes hat diese wertvollen Erinnerungsstücke völ lig vernachlässigt, so daß sie nur mehr als Ruinen entdeckt wurden. Restauriert rufen sie nun in den Besuchern der Baiern-Ausstellung das Andenken an Mondsees früheste Klostertage wach. Vorbildlich wird im Tassilostift Krems münster seines Gründers gedacht. Hier erinnern nicht nur Kelch und Leuchter, sondern vor allem das mystisch-erhe bende Gunthergrab (kurz vor 1304) an Herzog, Herzogin und Herzogsohn. Der sagenhafte Gunther, eine Siegfriedgestalt, die an die Figuren des Naumburger Do mes erinnert, ruht mit einem roten Lang rock bekleidet auf einem Kissen, ihm zur Seite der Eber und zu Füßen der Jagd hund. Auch sonst begegnen wir in den Kunstsammlungen des Stiftes, in der Bi bliothek, in den Rotelbüchern, immer wie der historistischen Darstellungen der Stifterfamilie und der Gründungslegende. Weniger bekannt ist das barocke Denk mal des vom Eber verwundeten Herzog sohnes bei der Guntherquelle in der Nähe des derzeit für den öffentlichen Besuch noch nicht zugänglichen Gun therteiches. Wahrhaft erhebend aber ist der seit 1200 Jahren tradierte Brauch alljährlich am ,,Stiftertag", dem 11. Dezember (To destag des Herzogs), Tassilos des III. in einem feierlichen Requiem zu gedenken. Anschließend vereinigt ein Totenmahl den Konvent und seine Gäste, wobei zur Erinnerung an den Jagdunfall Gunthers ein Wildschwein aufgetischt wird. In feier licher Weise verliest dabei ein Mönch den Stiftungsbrief, während die ehrwür digen Tassilo-Leuchter ihr Licht auf den Becher des Stifters werfen, der beim Re quiem noch nach 1200 Jahren als Abend mahlskelch gedient hatte. Es ist dies der älteste lebende Brauch im Lande Ober österreich, von dem wir urkundlich

Der Georgenberg in Micheidorf und das Gräberfeld von Kremsdorf Geschichtliche Probleme des ersten Jahrtausends im oberen Kremstal Kurt Holter Das Talbecken von Kirchdorf an der Krems zählt trotz seiner Gebirgsrandlage zu den klimatisch begünstigten Kleinland schaften unseres Bundeslandes. Vor geschichtliche, römerzeitliche und früh mittelalterliche Funde bestätigen uns, daß die Gunst der Lage von den Menschen seit etwa 5000 Jahren erkannt und immer wieder ausgenützt worden ist. Dazu kommt, daß das Talbecken infolge seiner Lage an einer der ältesten und wichtig sten Verkehrslinien von der Donau zur Adria seit derselben Zeit für die maßgeb lichen Machtfaktoren von Interesse und Bedeutung war. Demgemäß ist seine Ge schichte abwechslungsreich, aber nicht problemlos. Dies gilt besonders für das erste Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Schon um die Zeit von Christi Geburt war, wie für den Voralpenbereich südlich der Donau, der römische Einfluß auch für das Kremstal bestimmend. Dies ergibt sich aus unseren Kenntnissen von den damaligen Verkehrs- und Kulturbezie hungen. Denn das damals schon unbezweifelbar nachgewiesene keltische und römische Wels (Ovilaba) zog seinen Ver kehr mit dem Vorort Aquileja am Gestade der Adria auf einem der Aitstraßenzüge, die sich im Talbecken von Kirchdorf-Micheldorf zur Gebirgsdurchquerung ver einigt haben müssen. Das erste der oben angedeuteten Pro bleme ergibt sich daraus, daß der Vor ort, der Mittelpunkt des oberen Krems tales, während des 1. Jahrtausends ge wechselt haben muß. In der Römerzeit ist daselbst von einem Ort, bzw. einer Post station Tutatio die Rede, die z. B. auf der Tabula Peutingeriana, einer hochmittel alterlichen Kopie einer spätrömischen Straßenkarte, eingezeichnet ist. Diese Straßenkarte ist übrigens soeben in einer vorzüglichen Faksimile-Ausgabe auch für weitere Kreise zugänglich gemacht wor den. Man hat diese Poststation schon seit längerer Zeit im Kirchdorfer Talbecken gesucht. Seit den Ausgrabungen auf dem Georgenberg, auf dem man die Funda mente eines gallorömischen Umgang tempels feststellen konnte, scheint die Meinung einhellig zu sein, daß dieser dem Zeus Tutates gewidmet war und der römische Ortsname davon abgeleitet werden könne. Man kann also die Post station zu seinen Füßen vermuten. Da mit erhebt sich die Frage nach ihrer ge nauen Lage. In unmittelbarer Verbindung damit steht das Problem, ob und was von dieser römischen Vergangenheit im Tale sonst noch erhalten blieb. Gibt es in die sem Tal seit der Römerzeit eine ununter brochene menschliche Besiedelung? Um zu einer Antwort zu gelangen, müs sen wir das Talbecken genauer Ins Auge fassen. Die Krems wendet sich nach Ihrem Ursprung unterhalb der Krems mauer zunächst nach Osten und biegt dann an der Wurzel des Georgenberges nach Norden um. Dort ergibt sich eine Talenge, deren beide Flanken, der Geor genberg und der gegenüberliegende Humsenbauernbühel, als prähistorische Fundstellen bekannt sind. Aus der Rö merzeit gibt es dazwischen bisher nur vereinzelte, wenig aussagekräftige Streu funde, die man während des Eisenbahn baues gemacht hat, die schon seit lan gem verschollen sind. Nördlich davon mäandert die Krems durch eine geneigte, breite und schottrige Ebene, bis sie fast auf der Flöhe des heu tigen Kirchdorf eine ehemals versumpfte Wanne erreicht. Bis dorthin bildete sie ehemals zwei Gerinne, den natürlichen Lauf, die ,,Aitach", und ein immer wieder durch Wehren gebändigtes künstliches Gerinne, seit alters her und sicherlich bis in das erste Jahrtausend zurückreichend die Antriebskraft für eine gewisse Zahl von Werkstätten der Metallbearbeitung und der Müllerei. Daß die ersteren schon zur Römerzeit Vorläufer hatten, kann man nach einem Metalldepotfund in Krems dorf mit einer gewissen Wahrscheinlich keit annehmen. Während die eben genannte versumpfte Wanne in der Frühzeit verkehrsfeindlich war und die Wege auf die seitlichen Tal hänge zwang, erlaubte der leicht abtrock nende Schotterboden mit einer dünnen Humusdecke der alten Straßenführung einen geraden Verlauf. Dieser zog sich, beginnend an der heutigen Mühle am Stein, zuerst westlich, dann nach einer Überbrückung des einen Flußlaufes in der Nähe der späteren Gretzmühle östlich davon bis knapp vor Kirchdorf geradlinig durch die Talmitte. Eine schöne, alte Brücke, die bei der jüngsten Kremsregulierung abgerissen wurde, und eine eben falls versetzte Kapelle markierten das Ende dieser Talachse. Als solche Ist näm lich diese heute teilweise aufgelassene Altstraße zu bezeichnen. Sie wurde als Hauptverkehrsllnle bis in die Zeit der Kaiserin Maria Theresia benützt, unter welcher erst der heute befahrene Verlauf der Bundesstraße zwischen Kirchdorf und Micheldorf angelegt wurde. Die alte Straße wurde jedoch bei den archäologi schen Forschungen unseres Jahrhun derts als die Aufmessungsachse aus rö mischer Zeit festgestellt. Auf diese ist die älteste Gruppe der Flurvermessung aus der Römerzelt orientiert. Es bleibt dabei zu beachten, daß nicht nur die Achse, sondern auch ein erheblicher Teil der Flurmaße In diesem Bereich römische Größen aufweisen. Diese Beobachtung ist für uns ein Hin weis darauf, daß die Besiedelung des Talbodens in diesem Bereich seit der Römerzeit keine wesentliche Unterbre chung erfahren haben kann. Denn wenn einmal der Pflug ruht und das Gelände von Büschen und Hainen überwuchert wird, dann ist es sehr unwahrscheinlich, daß bei einer späteren, neuerlichen Ro dung die alten Maße, hier der römische Fuß, noch irgendwie Geltung behalten können. Wir betrachten daher das Vor handensein dieser Achse und die darauf orientierten Flurvermessungen in römi schen Maßen als ein erstes Argument für eine seit etwa zweitausend Jahren un unterbrochene agrarische Nutzung in die sem Talboden. Einen weiteren Beleg dafür bietet die Geschichte des Georgenberges. Knapp vor Jahresfrist erschien im Verlag der österreichischen Akademie der Wissen schaften ein ausführlicher Bericht über die Ausgrabungen, die auf diesem vor mehr als zwanzig Jahren begonnen und im Jahre 1976 abgeschlossen worden sind. Wir dürfen die Feststellungen des Ausgräbers und des Herausgebers der genannten Schrift Univ.-Prof. Doktor Hermann Vetters dahingehend zusam menfassen, daß der Georgenberg nach einer prähistorischen Besiedelung im 1. Jahrtausend vor Christus seither, d. h. seit rund zweitausend Jahren, ein Kultkontlnuum besitzt. Vetters konnte die Überreste eines keltisch-römischen ümgangstempels feststellen, dem noch im 4. Jahrhundert eine frühchristliche Kirche folgte. Diese wurde mehrmals umgebaut. Wir können nun leider nicht beweisen, daß sie seither ununterbrochen dem Got tesdienst gewidmet war. Aber wir kön nen mit großer Wahrscheinlichkeit be haupten, daß diese Apside bis in das 15. Jahrhundert stand und die Kirche nach Osten abschloß. Ihre Fundamente sind innerhalb des spätgotischen Chor baues erhalten geblieben. Als im Vor jahr der Altaraufbau versetzt wurde, hat man diese frühchristlichen Apsisfundamente wieder freigelegt, sie werden In nächster Zelt konserviert. Der Altarauf bau selbst enthält eine Menge von Tuff quadern, wie sie für die alten Funda mente kennzeichnend sind. Als man den alten Chor erneuerte, hat man das Mate rial wenigstens teilweise Im Aufbau des Altares wiederverwendet. Es muß an dieser Stelle darauf hingewie-

Der Georgenberg bei Micheldorf, Oö., von Norden v ,1 1 WM äMMm sen werden, daß die hier dargelegte Mei nung nicht ohne Widerspruch geblieben ist. Im Katalog der gegenwärtig Im Linzer Schioßmuseum stattfindenden Balernausstellung (S. 201/2) hat sich B. Ulm unter Berufung auf L. Eckhart entschieden ge gen ein solches Kontlnuum ausgespro chen. Freilich führt er die anderweitig als bedeutsam anerkannten Quadrafluren In Micheldorf nicht an. Es darf also erwartet werden, daß auch dieses Problem die Fachweit noch welter beschäftigen wird. Wie die Diskussion auch ausgehen mag, wir haben allen Grund anzunehmen, daß diese Kirche In alten Zelten der Mittel punkt und die Flauptkirche des Tales ge wesen Ist. Der Name ,,Georgenberg" Ist erst seit dem Jahre 1334 In den Urkunden überliefert. In früheren Zelten trug der Berg eine Burg, wie heute noch die Flur namen der Umgebung erkennen lassen. Als Mittelpunkt des Tales Ist die Oulluspesburg, später Ulsburg, In den Quellen überliefert. Wir haben keinen Zweifel, daß sie auf dem Georgenberg gestanden Ist. Die Ulsburg war, soweit wir dies den schriftlichen Quellen entnehmen können — und diese reichen bis In das 11. Jahr hundert zurück —, Im Besitze der Lam bacher Grafen, später In dem des Stif tes Lambach. Dasselbe gilt für die Eigen kirche und Eigenpfarre Ulsburg, bis die Pfarre unter dem Flochstlft Bamberg nach Kirchdorf verlegt wurde. Vom Stift Lam bach wurde die Liegenschaft, die längst Ihre zentrale Bedeutung verloren hatte. Im Jahre 1537 an das auf Pernsteln sit zende Adelsgeschlecht der Jörger ver kauft. Wie weit der Georgenberg In der Früh zelt unserer Geschichte besiedelt war, steht nicht fest. Bei den Ausgrabungen sind vor zwanzig Jahren unmittelbar ne ben dem ehemaligen heidnischen Tem pel die Fundamente einzelner Bauten freigelegt worden, die mit Sicherheit dem frühen Mittelalter zuzuweisen sind. Welters wurden unmittelbar vor und neben den frühchristlichen Bauteilen zahlreiche Grä ber des 9. Jahrhunderts gehoben, die zum Großteil von den jüngeren Zubauten überbaut waren. Seit dem 12. Jahrhun dert finden wir In den Quellen ein Adels geschlecht nach der Ulsburg benannt, vermutlich otakarlsche Ministeriale, die bald In das Ennstal bei Admont abge wandert sind. Man sieht aus diesen Da ten, daß eine ununterbrochene Besledelung nicht beweisbar, aber auch nicht un wahrscheinlich Ist. Die Siedlung auf dem Berg muß unter Wassermangel gelitten haben, da die nächste Quelle etwa 100 Meter tiefer ge legen Ist. Größere Menschengruppen werden sich daher nur In Notfällen auf den Berg zurückgezogen haben, die eigentliche bäuerliche Bevölkerung hat sich sicherlich das reichlich fließende Wasser der Krems zunutze gemacht. So finden sich entlang des Flußlaufes eine Reihe alter Bauernhöfe, aus deren Ne bengebäuden und Mühlen die später so berühmten Sensenschmieden hervor gegangen sind. Diese zu behandeln, kann hier nicht unsere Aufgabe sein. Es darf jedoch vermerkt werden, daß die Wasser rechte an der Krems erstmals schon 903 urkundlich erwähnt werden. Angesichts der so lange dauernden Intensiven Besledelung Ist es nicht verwunderlich, daß In diesem Bereich archäologische Funde oder Ausgrabungen bisher nicht möglich gewesen sind. Anders Ist dies In der nächsten Nähe von Kremsdorf, und zwar Im Bereich der heu tigen Gräberfeldstraße. Dort war die Epoche des Bahnbaues und die Bautätig keit zu Beginn unseres Jahrhunderts maßgeblich für die Aufdeckung von römerzeltllchen Funden. Dank der Aufmerk samkeit des Besitzers der damals betrie benen Schottergrube, des Baumeisters Schrems In Kirchdorf, wurden schon 1906/07 Ausgrabungen durch Fachleute, durch Archäologen, vorgenommen. Die Grabungen In Kremsdorf wurden Im Zusammenhang mit den zuvorgenannten Forschungen auf dem Georgenberg eben falls In den 50er Jahren wieder aufge-

Die Fundamente der frühchristlichen Apsls In der Kirche auf dem Georgenberg Darunter: Die Bietmarksäule am ehemaligen Gräberfeld In Kremsdorf nommen. Sie haben die Funde und insbesondere die Beobachtungen, die rund 50 Jahre Jahre zuvor festgehalten wurden, wesentlich ergänzen können. Von diesen Grabungen ist die Siedlungs grabung in der Publikation über den Georgenberg mit veröffentlicht. Die Er gebnisse der nahegelegenen Gräberfeld grabung harren noch der Veröffentli chung. Das Ergebnis der Siedlungsgra bung war die Feststellung der Grundrisse von fünf ehemals in Ständerbau aus Holz errichteten Gebäuden, die nach den Be obachtungen des Ausgräbers, Hermann Vetters, nach dem 5. und vor dem 9. Jahr hundert zu datieren sind. Teilweise sind dabei die Fundamente von römischen Bauten des 2. Jahrhunderts verwendet worden. Die Ausgrabungsfunde von Kremsdorf sind bisher in ihrer Gesamtheit nicht aus reichend veröffentlicht. Die Berichte über die Anfänge sind seit langem vergriffen. Wir möchten daher, in Vorwegnahme einer künftigen Publikation, einige der vorbereiteten Tafeln vorlegen, welche von Manfred Pertlwieser am Oö. Landes museum für einen solchen Zweck ge zeichnet worden sind. Ein Beispiel von Sigillaten aus einer der tieferen Schich ten der Siedlungsgrabung gibt einen wichtigen Hinweis für die Chronologie in nerhalb der Römerzeit. Sehr umfangreich waren in allen Stufen der Ausgrabung die Funde im Gräberfeld. Zahlreiche Bei gaben, davon Waffen, etliche Messer, Kämme, Gefäße und Schmuckstücke ver schiedenster Art, konnten geborgen und restauriert werden. Der Schmuck reicht von römischen Fibeln, vielleicht in we sentlich späterer Verwendung, als ihre Hersteilungszeit vermuten lassen könnte, bis zu den reichen und sehr kennzeich nenden Gürtelbeschlägen spätawarischer Herkunft. Gerade diese reich verzierten Stücke, die ja schon seit 1907 bekannt sind, haben seit langem das Interesse der Fachwelt erregt und zu den verschie densten Interpretationen Anlaß gegeben. Es ist mit ein Ziel dieser Zeilen, erneut nachdrücklich auf diesen wichtigen Fundkomplex hinzuweisen. Vielleicht und hof fentlich ergibt sich bald eine Möglichkeit, die Funde von Kremsdorf in befriedigen der Weise der Öffentlichkeit vorzulegen. Leider konnte nur ein geringer Teil des für die Ausgrabung vorgesehenen Gelän des untersucht werden. Der Bereich, der vor allem an die Lage der vermuteten römischen Poststation angrenzte, konnte noch nicht unter den Spaten genommen werden. Es müssen aus diesem Grunde Ii ' A 9 ■.'Ä> ' sehr wesentliche Fragen bezüglich der Frühzeit des Kremstales offen und un beantwortet bleiben. Freilich scheint es uns, daß die eingangs gestellte Frage nach einem Kontinuum, nach einer un unterbrochenen agrarischen Besiedelung dieses Bereiches, schon nach der bis herigen unvollständigen Forschungslage eher an eine positive Beantwortung her angeführt werden könnte. Die Überein stimmung der römerzeitlichen mit den frühmittelalterlichen Gebäude-Grundris sen legt eine Fortdauer des Lebens auch in den ,,dunklen" Zeiten nahe. Anderer seits stimmt die spätere Besitzgeschichte dieses Ackerlandes mit den Vorausset zungen, die vom 2. bis zum 9. Jahrhun dert bestanden haben, nicht überein. Das heißt, daß zwischen dem 9. Jahrhundert und den nächsten faßbaren historischen Vorgängen auf diesem Boden wesent liche Veränderungen vor sich gegangen sein müssen. Wir stehen damit vor einem weiteren Problem der Geschichte unse res Tales. Wie der Plan der Ausgrabungen von 1959 bis 1962 in Kremsdorf zeigt, gehen die heutigen Grundgrenzen schräg über die ausgegrabenen Hausgrundrisse hinweg. Aber mehr als das: die Begrenzung der Grabung von 1962 im Süden war durch eine Grundgrenze gegeben, welche der das ganze Mittelalter hindurch gültigen Grenze der Bietmark des Marktes Kirch dorf folgte. Diese Grenze ist an der Grä-

Blick vom Georgenberg nach Norden zum Magdalenaberg. Die alte Talachse, der römische ,,Decumanus", durchzieht, heute nicht mehr ganz erhalten, die Bildmitte nach rechts. — Aufnahmen: M. Eiersebner - Wszs berfeldstraße durch eine jahrhunderte alte Lichtsäule gekennzeichnet, die so genannte Bietmarksäule, ein wichtiges heimatgeschichtliches Denkmal, das heute stark verwittert ist und dringend einer Erneuerung und Wiederherstellung bedürfte. Von dieser Lichtsäule zieht sich die heu tige Grund- und damit die ehemalige Bietmarkgrenze im rechten Winkel zur Straße nach Westen und überschneidet dabei die Gebäudefundamente des 1. Jahrtausends. Wir ersehen daraus, daß diese Siedlung seither so sehr dem Erd boden gleichgemacht worden ist, daß man hier neue Grenzen zog, was nur wenig weit davon, auf der anderen Seite der Krems, nicht der Fall war. Die nahen Gräberfelder bezeugen ihre Belegung bis in das 9. oder 10. Jahrhun dert. Dieser Zeitraum gilt mit großer Phase der freigelegten Siedlung. Es ist daher wichtig, festzustellen, wann die neue Bietmarkgrenze gezogen wurde, weil wir daraus einen Zeitpunkt gewin nen, zu welchem diese Siedlung zerstört war oder wurde. Wie wir wissen, war der Markt (heute Stadt) Kirchdorf durch das ganze Mittel alter hindurch im Besitze des Hochstiftes Bamberg und mit dem Markt auch ein wenig umfangreicher bäuerlicher Bezirk, eben die vorgenannte Bietmark, welche erst mit den Besitzveränderungen im 18. und 19. Jahrhundert vom Markt ab getrennt wurde. Nach unseren Forschun gen, die wir 1973 veröffentlicht haben, kann angenommen werden, daß der Übergang des Gebietes von und um das spätere Kirchdorf durch eine Schenkung um etwa 1060 erfolgte. Wir sehen diese Schenkung im Zusammenhang mit einer wichtigen Neugliederung der Besitzver hältnisse im südlichen Oberösterreich, die durch den Untergang des Hauses der Lambacher Grafen eingeleitet worden war. Wir haben vorne erwähnt, daß diese bzw. ihre Besitznachfolger auch den Georgenberg in ihrer Gewalt hatten. Es kann wohl kaum ein Zufall sein, daß die Bietmarkgrenze über das zerstörte Dorf hinweg seither den bambergischen Be sitz vom lambachischen trennte. Die Pro blematik besteht unseres Erachtens nicht in dem Punkte der Besitzteilung, die mit Sicherheit durch jene Schenkung um 1060 erfolgt ist. Dagegen ist die Frage noch nicht restlos geklärt, ob unsere Annahme, daß die Zerstörung des Dorfes tatsäch lich in Zusammenhang mit den blutigen Ereignissen von 1056 erfolgte oder ob nicht — weniger dramatisch, jedoch nicht weniger erfolgreich — das Dorf schon in den Stürmen der Ungarnzeit, also etwa hundert Jahre früher, untergegangen war. Auch hier könnte vielleicht eine Fort setzung der Grabung eine Entscheidung bringen. Wir sind mit diesen Ausführungen am Ende des zu behandelnden Zeitraumes angelangt, vielleicht haben wir ihn sogar schon überschritten. Eine Frage haben wir jedoch für den Abschluß aufgespart, wann in diesem Gebiet mit einer ersten bairischen Landnahme gerechnet werden kann. Dazu möchten wir die Vermutung äußern, daß diese schon vor der Grün-

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