Oberösterreich, 27. Jahrgang, Heft 1, 1977

Wilhering, Stiftskirche, Engeigruppe im Aufsatz des Schutzengeialtares Foto: Eiersebner Sämtliche Aufnahmen zeigen den Zustand der Restaurierung mit Datum vom 29. Jänner 1977 ^ im : f. Versuch einer Rechtfertigung Im Zuge des Fortschreitens der Restau rierungsarbeiten beschäftigte und be schäftigt mich immer wieder die Frage: Warum tue ich das alles? Warum restau riert man eine Kirche, die Ausdruck des Lebensgefühls einer vergangenen Zeit ist? Ist es zu verantworten bzw. welchen Sinn hat es, so viel an Geld und Auf merksamkeit in die Wiederherstellung dieses Kirchenraumes zu investieren? Eines ist mir klar: Ich tue es nicht vor wiegend deshalb, um der Nachwelt ein Kunstwerk zu erhalten. Denkmalpflege im Sinn musealer Konservierung ist mir, ehrlich gesagt, kein Anliegen. Und über dies war die Kirche gar nicht unmittel bar bedroht, nachdem Dach und Fassade einige Jahre vorher gründlich erneuert worden waren. Der eigentliche Beweggrund scheint mir anderswo zu liegen: Ich erlebte im Lauf der Jahre immer wieder, daß sich in die ser Kirche gut feiern läßt. Die Festgottes dienst- und Konzertbesucher — bekannt lich waren es immer sehr viele, die zu den Festgottesdiensten und zu den musi kalischen Feiern in die Wiiheringer Stifts kirche kamen — äußerten sich immer wieder beeindruckt davon, wie hier Raum und liturgisches Geschehen bzw. musi kalischer Ausdruck einander zu integrie ren vermögen und wie sich der Mensch in dieses Spiel von Farben, Formen und Tönen mithineingenommen fühlt. Ich erlebte immer wieder, daß dieser Rokokoraum mit seiner Überfülle und sei ner spielerischen Leichtigkeit bei den Kirchenbesuchern einen Übertragungsef fekt auslöst: Wiederholt äußerten Be sucher, sie hätten sich in diesem Raum glücklich und unbeschwert gefühlt, sie hätten für eine Zeitlang auf ihre Sorgen vergessen können. Genau das aber macht ja eigentlich das Feiern aus: daß der Mensch in seiner Ganzheit, mit sei nen Sinnen und seiner Erlebnisfähigkeit, nicht mit dem Kopf allein, an einem Geschehen beteiligt ist. Wenn nun ein Kirchenraum solche Erfahrungen ermög licht, so scheint er mir höchst aktuell, man könnte auch sagen, höchst modern zu sein. Vielleicht sogar mindestens so modern wie manche sogenannte moderne Kirchen, denen es oft erstaunlich wenig gelingt, den heutigen Menschen anzu sprechen. Gerade auch als Ort für liturgi sche Feiern scheint mir ein Kirchenraum, der die Menschen gefühlsmäßig berührt, nicht hoch genug einzuschätzen zu sein. Kunst und Kult lassen sich nicht vonein ander trennen. Der Kult kann auf Dauer die Kunst nicht entbehren. Die Demon tage der liturgischen Kunstformen im an geblichen Interesse einer größeren Verstehbarkeit des Gottesdienstes, wie sie im Zuge der Liturgiereform des 2. Vatikanums heute vielfach praktiziert wird, scheint mir eine Verarmung darzustellen, weil die emotionale Komponente stark reduziert bzw. weithin ausgeschaltet bleibt. Möglicherweise ist die Liturgiere form beim Großteil der Gläubigen des halb ohne Echo geblieben, und vielleicht bleiben viele Kirchen auch deshalb in zunehmendem Maße leer, weil man der Bedeutung der Kunst für das religiöse Erlebnis zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. In Wilhering haben wir eine Kirche höch sten künstlerischen Ranges zur Verfü gung. Das Kapital, das hier liegt, ist meines Erachtens mehr als ein bloßes Zeugnis vergangener kirchlicher Hoch kultur, sondern könnte ein zu aktuali sierender Katalysator für das religiöse Erlebnis auch des heutigen Menschen sein. Daher werde ich wohl erst dann die Kirchenrestaurierung für restlos ge rechtfertigt ansehen können, wenn es ge lungen sein wird, im erneuerten Kirchen raum einen Gottesdienststii zu verwirk lichen, der viele Menschen ganzheitiich anspricht, und sie vielleicht manchmal sogar beglückt.

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