Oberösterreich, 27. Jahrgang, Heft 1, 1977

Historische Kunst Oberösterreichs Beitrag zur europäischen bildenden Kunst Wilfried Lipp Durch die fortschreitende Speziaiisierung aller Forschungs- und Wissens zweige werden die Dinge in der Regel ausschnittartig und nicht selten wie un ter dem Mikroskop vergröbert gesehen. Dabei geht der Sinn für Maßstab und Bedeutung ieicht verloren. Die hier vor genommene Darsteilung versucht die wei ten Zusammenhänge und die integrie renden großen Leistungen der bilden den Kunst Oberösterreichs in Erinne rung zu rufen. Vorbiidiich für diese Überschau sind da bei die Beiträge, die H. Sedlmayr vor 40' bzw. 20^ Jahren der österreichischen Kunst gewidmet hat. Vorweg einige Perspektiven, die die Di mensionen des Themas ausloten. Die geographische Lage Oberösterreichs iäßt sozusagen von Natur aus einen wei ten Horizont offen^. Ein Netz von schiff baren oder zumindest flößbaren Wasser straßen durchzieht das Land": Die ab Ulm befahrbare Donau schaffte die Ver bindung nach Deutschland und zu den östlichen Donaustaaten, der Inn schloß Nord und Süd zusammen. In Hall bei Innsbruck wurde die Ware, die aus Ita lien, vor allem aus Venedig über den Brenner kam, verladen; die Salzach, die ab Hallein befahrbar war, verband Salz burg mit der Donau^, sodaß von altersher Linz" immer auch Saizburger Hafen war. Die Enns brachte Eisen vom steirischen Erzberg nach dem Norden und die Traun war die Saizader des Landes. Neben den Flüssen spielten die Land wege nur eine untergeordnete Rolle. Der wichtigste war vielleicht die Verbindung Linz — Freistadt — Böhmen als Verlän gerung der Nord-Süd-Achse. Durch diese enorme wirtschaftliche Bedeutung der Flüsse als Verkehrswege ist es natürlich, daß die bedeutendsten oberösterreichi schen Ansiediungen an Flüssen gelegen sind und daß sich diese Orte früh zu Märkten oder Städten entwickelt haben'. Am Inn liegen Braunau, Obernberg, Schärding, an der Traun Ischl, Gmunden und Weis, an der Enns Steyr und Enns, an der Donau Engelhartszeil, Aschach, Eferding, Linz, Steyregg, Enns. Mauthau sen und Grein. Das erklärt auch die ethnische Eigen art, in der sowohl romanische, slawische, germanische und keltische Elemente als Konstanten, als stetige Faktoren, wirk sam sind. Der Westen Oberösterreichs stand seit jeher Bayern und Franken offen — das Innviertel kam erst 1779 an Österreich -, der Norden kommunizierte mit Böhmen, der Süden und Osten mit der Steiermark, mit Niederösterreich und den an diese Länder angrenzenden Territorien®. Am besten lassen sich diese stetigen Fakto ren, die von den europäischen Einflüssen und Leistungen ja nur überdeckt wurden, oder in den glücklichsten Fällen eine ge genseitig sich bereichernde Synthese er gaben, an der niedersten Schichte — und das nicht im Sinne eines qualitativen Urteils — an den Erscheinungen der Volkskuitur ablesen. Die Demarkationslinie zweier Kultur kreise durchzieht Oberösterreich in nord südlicher Richtung, etwa dem Verlauf der Traun-Mühl-Linie entsprechend. West lich davon liegt das Verbreitungsgebiet der Innstadtbauweise', östlich ist der Einzugsbereich des ostaipeniändischen Steildaches. Deswegen sieht Steyr anders aus als Obernberg oder Braunau. Wie in jedem Grenzbereich kommt es selbstverständlich auch hier zu Mischund Sonderformen, ja gerade sie sind es, die die besondere und unverwechsel bare Eigenart ausmachen. In historisch-politischer Hinsicht ist für unser Land, ja für ganz Österreich kenn zeichnend, daß der eine Pol politischer Macht, die Kirche, jeweils außerhalb der Länder lag'°. So waren Oberösterreich, aber auch Niederösterreich von Passau, die Steiermark und Kärnten von Salzburg, Vorarlberg von Konstanz, Chur und Augs burg, Südkärnten von Aquileja abhän gig. Nur Tirol, das sich auch kulturell vom übrigen Österreich abhebt, besaß mit Brixen und Trient eigene Bistümer. Als weltliches Territorium eigenen Na mens entwickelte sich Oberösterreich un ter dem letzten Babenberger Friedrich dem II." aus der Keimzelle zwischen Enns und Ybbs durch Vereinigung mit dem ehemals von Bayern und dem steirischen Herzog umstrittenen Traungau zu einem größeren Land, das vom Haus ruck bis an die Ybbs und nördlich der' Donau von der Mühl bis an die Isper reichte. Mit der unmittelbar folgenden Abtrennung Steyrs von der Steiermark und dem späteren Fortfall des alten Kern gebietes zwischen Enns und Eriach oder Ybbs erhält Oberösterreich in der zwei ten Hälfte des 13. Jhdts. mit Ausnahme des bayrischen Innviertels annähernd seine heutige Gestalt". Von altersher gehört es zu einer öster reichischen und damit auch oberöster reichischen Besonderheit, daß kirchliche und weltliche Macht sich eher zusam men- als ausschließen. Die absolute Tren nung der Bereiche ist uns fremd. Das reicht von der Gründung Kremsmünsters durch Herzog Tassilo bis zu den Kaiser zimmern der barocken Stifte, in denen diese Synthese am schönsten zum Aus druck kommt. Noch einige im politisch-historischen Be reich wurzelnde Determinanten; Öster reichs Geschichte ließ die Bildung mäch tiger Reichsstädte nicht zu. Das erklärt das Fehlen bedeutender Rathäuser, wie sie Deutschland, aber auch auf Grund anderer politischer Konstellationen Ita lien kennt. Damit verbunden ist der Aus fall überragender Bürgerkultur. Ein Zwei tes: Wien wurde im Laufe der Jahrhun derte als alleinige Residenz immer mehr Zentrum auch des kulturellen Gesche hens. Wiener Neustadt im 15. Jahrhun dert, Graz als Hauptstadt Inneröster reichs von 1564 bis 1618 und Innsbruck waren zeitweilig Residenzstädte. Dem kurzen Intermezzo in Linz verdanken wir zwar den Ausbau des Schlosses'®, aber sonst blieb kaum ein Nachhall. Die wesentlichen Träger von Kunst und Kultur waren in Österreich der Hof, der Adel, die Bistümer und die Abteien. Da in Öberösterreich kirchliche und weltli che Residenzen wegfallen, blieben Adel und Klöster, teilweise die Stände und spät erst Bürger- und Bauerntum für das kulturelle Antlitz des Landes bestim mend. Noch ein Blick auf die Stellung, die Öster reich bei den großen geistigen Ausein andersetzungen Europas einnahm'". Während des Investiturstreites waren Passau und Salzburg Zentren der Grego rianischen Partei. Das erklärt, daß die Kunst des 12. Jhdts. wesentlich von den Reformorden bestimmt werden konnte, was, wie später gezeigt wird, in der Folge europäische Leistungen im Bereich der Architektur ermöglichte. Die Tatsa che, daß es keinen protestantischen Kir chenbau von Rang gibt, ist erklärlich, da Maximilian der II. das Recht auf freie Religionsausübung nur dem Herrnund Ritterstand zubilligte, weshalb der Protestantismus nur auf den bedeuten den Schlössern des Landadels, Tollet, Würting, Scharnstein, Weinberg anschau lichen Niederschlag gefunden hat'". Nach diesen Streiflichtern, die die Weite der Fragestellung nur notdürftig erhellen konnten, zur eigentlichen Kunstge schichte. Was einem sofort einfällt: Sankt Florian und Kremsmünster, St. Woifgang und Kefermarkt. Erst später Tassilokelch, Lambach, Enns-Wailsee und dann die Reihe der persönlichen Kunsterlebnisse. Man könnte aber gleichzeitig den Hori zont weiterstecken in der Frage, weiche Epochen europäischer Kunst fehlen in der Szene unseres Landes? Es gibt kein

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