Herbert Bayer — ein universeller Gestalter Peter Baum Die Absicht künstlerischen Gestaltens, das die verschiedensten Lebensbereiche durchdringen und verbindend umfassen sollte, erfuhr Im 20. Jahrhundert nur we nige tatsächlich profilierte und impulsge bende Verwirklichungen. Aus heutiger Sicht zählen dazu In erster Linie die auf der Idee des ,,Gesamtkunstwerkes" ba sierenden Bestrebungen, wie sie um die Jahrhundertwende, In der Hochblüte des Porträtfoto von Herbert Bayer 1976 Foto: P. Baum Jugendstils und Secesslonlsmus, die Ar chitekten Otto Wagner (1841 bis 1918), Josef Maria Olbrich (1867 bis 1908) und Josef Hoffmann (1870 bis 1956) In Zu sammenarbeit mit bedeutenden Malern wie Gustav Kllmt und Kolo Moser reali sierten. Im Zusammenhang mit diesen Tendenzen muß man auch die auf Be treiben Hoffmanns 1903 errichtete ,,Wie ner Werkstätte" (bis 1932) und Ihre auf den Innenarchitektonischen Raum Im weitesten Sinn bezogenen Gestaltungs und Ausstattungsbestrebungen sehen. Nicht unerwähnt dürfen auch die fort schrittlichen Absichten der Wiener Kunst gewerbeschule bleiben, deren fallweise zu Recht apostrophierte Pionierstel lung erst in den letzten Jahren entspre chende Anerkennung erfuhr. Das 1919 gegründete ,,Staatliche Bauhaus In Wei mar" (es bestand bis zum 31. März 1925) beziehungsweise In Dessau (1925 bis 1933) bemühte sich gleichfalls erfolgreich und In der Summe seiner Leistungen zweifellos auch am revolutionärsten um die konstante Verwirklichung der ange deuteten Ideen. Als Kunsthochschule neuen Typs, die sich Im besonderen Ihrer sozialen Stellung und Mittlerrolle bewußt war, verzichtete man Im Bauhaus auf die. In der Regel zu falschen Werturteilen führende Unterscheidung zwischen ,,freier" und ,,angewandter" Kunst. Man wollte fruchtbare Wechselwirkungen zwi schen beiden Berelchen herbeiführen und das gestaltete Produkt Im Hinblick auf seine Nützlichkeit für die Gesellschaft rechtfertigen. Fundiertes Handwerk er gab In Verbindung mit der Erarbeitung weitreichender geistiger Grundlagen die Voraussetzung einer von Pionieren getra genen Lehre und Praxis, die nicht zu letzt Im bezug auf die Erfordernisse der Industriellen Produktion konzipiert und koordiniert worden war. Für das Bau haus und seine Meister (u. a. Groplus, Feininger, Itten, Klee, Schlemmer, Kandlnsky, Moholy-Nag, Josef Albers, Mar cel Breuer, Hannes Meyer und Mies van der Rohe) war — nicht nur Im Bereich des Designs — die schöne Form der bloßen Form wegen ebenso verpönt wie jener statisch-traditionelle Kunstbegriff, der sich In unverbindlicher Artistik und Ihren Attributen des rein Dekorativen und anerkannt Ästhetischen erschöpfte. Was man auf breiter Basis erreichen wollte, war eine bessere, durch Gestaltung kon trollierte, menschenwürdigere Umwelt. Von der Ausblldungsselte her war das Bauhaus nicht zuletzt die Antwort auf die Frage, wie der Künstler beschaffen sein müsse, um Im Maschinenzeitalter seinen Platz einzunehmen. Ziel des Bau hauses war der denkbar engste Konnex von Kunst und Leben. Zu den Schülern und späteren Lehrern des Bauhauses zählt auch der 1900 In Haag am Hausruck geborene Oberöster reicher Herbert Bayer. Ihm, dem univer sellen Gestalter, der seit 1938 in den USA lebt, galt die große, von der Neuen Ga lerle der Stadt Linz Im Vorjahr durchge führte Retrospektive. Als bisher umfas sendste Bayer-Ausstellung In Österreich vermittelte sie anhand von annähernd 250 Werken maßgebende Beispiele aus dem Gesamtwerk des heute In Montecito In Kalifornien lebenden Künstlers. Die von einem großzügig ausgestatteten Ka talog begleitete Retrospektive kam als gemeinsame Veranstaltung des Bundes ministeriums für Unterricht und Kunst, der Kulturabtellung des Amtes der oberösterrelchlschen Landesregierung und der Linzer Neuen Galerle zustande. Sie fand In der gesamten österreichischen Presse große Beachtung. Als Indiz der positiven Resonanz muß auch die Über nahme dieser Ausstellung gewertet wer den. Erfreulicherweise konnte die Eröff nung der Linzer Bayer-Ausstellung In An wesenheit des Künstlers vorgenommen werden, der sich aus diesem Anlaß für eine Woche In der oberösterreichischen Landeshauptstadt aufhielt. In seinen Wor ten zur Vernlssage dankte Herbert Bayer — nunmehr auch mündlich — für den Ihm vom Land Oberösterreich 1971 verliehenen Adalbert-Stlfter-Preis. Zahl lose Einzelausstellungen und Ausstellungsbetelllgungen in aller Welt unter streichen ebenso das Ansehen des Ma lers und Graphikers wie die Tatsache, daß sich wesentliche Arbelten Herbert Bayers In mehr als vierzig. International renommierten öffentlichen Sammlungen befinden, unter Ihnen das Folkwang-Museum, Essen, das Kunstmuseum Düssel dorf, das berühmte Guggenheim-Museum In New York, die Staatsgalerle Stuttgart, das Wallraf-RIchartz-Museum In Köln, Wiens Museum des 20. Jahrhunderts und das New Yorker Museum of Modern Art. In der zusammenfassenden, zum Ver gleich auffordernden Präsentation von Beispielen aller wichtigen Schaffensperl oden und Disziplinen, versuchte die 1976 stattgefundene Ausstellung der Neuen Galerie jene Stellung zu dokumentleren, die Bayer durch sein überaus vielseitiges und dennoch einheitliches, von Innerer Logik und zahllosen befruchtenden ge stalterischen Wechselwirkungen getrage nes Gesamtwerk Innerhalb der Kunst die ses Jahrhunderts einnimmt. Über das Aufzeigen künstlerischer Leistungen und Imponierender Fakten hinaus sollte die Ausstellung jedoch auch Anstoß für jene, vom Bewußtsein einer breiteren Öffent lichkeit getragene Wertschätzung sein, die Bayer In seiner Heimat bisher noch weltestgehend vorenthalten wurde. Aus der Sicht kritischer kunstgeschichtlicher Wertung zählt dazu die vorrangige Ein gliederung seines öuvres unter die wich tigsten, In Ihren Prinzipien progressiv sten und universellsten Leistungen öster reichischer bildender Künstler dieses Jahrhunderts. Eine sinnvoll reflektierte Aufnahme und Verbreitung seines, durch das Bauhaus geprägten, In jahrzehnte langer Praxis erprobten Gedanken- und Gestaltungsgutes Im Kunstunterricht könnte sich — um konkret ein Beispiel zu nennen — die Linzer Hochschule für künstlerische und Industrielle Gestaltung vornehmen, verfolgt sie doch in manch programmatischer Hinsicht eben jene Ziele, denen Herbert Bayers bisheriges Lebenswerk In zugleich zeltgemäßer und zukunftsorlentlerter Form galt. Was Bayers Gesamtwerk heraushebt und
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