Oberösterreich, 26. Jahrgang, Heft 4, 1976

den genannten Zahlen noch nicht einbe zogen ist. Nunmehr, durch die neu geschaffenen Räume, ist auch die Über nahme eines weiteren, sehr umfangrei chen und für die letzte Stadtentwicklung ungemein wichtigen Materials in die Schränke und Räume des Stadtarchivs möglich geworden. Wer sich jemals mit der Geschichte von Wels im 19. Jahr hundert beschäftigt hat, weiß, welch ge waltigen Fortschritt diese Einbeziehung bedeutet, und er wird der Stadtverwal tung, Amtsträgern und Mandataren, dankbar sein, daß sie sich dieser Not wendigkeit nicht verschlossen haben. Es ist an den Verfasser dieser Zeilen gelegentlich die Frage gerichtet worden, ob es denn sinnvoll sei, ein so umfang reiches und in seiner Zusammensetzung so einmaliges Material am Ort zu belas sen. Hätte man es nicht an eine zentrale Stelle, etwa an das Oberösterreichische Landesarchiv, abgeben sollen, damit man für alle Zeiten die Sorge um seine Pflege und damit auch so manche Auslagen los sei. Wer die bisherigen Ausführungen aufmerksam gelesen hat, dem wird die auf eine solche Frage zu erwartende Antwort kaum zweifelhaft erscheinen. Nach Meinung des Verfassers ist es nicht nur eine Frage des Selbstverständnisses und des Selbstbewußtseins der Stadt, ihrer Verwaitung und ihrer Bewohner, sondern auch für einen Verwaltungskör per von der Bedeutung der Stadt Wels eine Notwendigkeit und ein großer Vor teil, die aufgesammelten geschichtlichen Unterlagen jederzeit benützen und zur Entscheidung von Zweifelsfragen heran ziehen zu können. Wenn die Epoche der Nostalgie, die man besser als Besinnung auf Herkunft und Tradition bezeichnen sollte, für immer weitere Kreise der Stadtbevölkerung und für ihre Freizeitbeschäftigung fruchtbar werden soll, dann wird ein derartiger Archivbestand in vielleicht nicht minde rem Maße als eine museale Sammlung anregend und bezüglich der Kenntnisse vertiefend wirken können. Es mag sein, daß solche Gesichtspunkte heute noch nicht überall durchgedrungen sind, doch glauben wir, daß der Fortschritt, oder sagen wir bescheidener, die Entwicklung in diese Richtung gehen wird. Es wäre erfreulich, wenn in nicht allzuferner Zeit die Stadtgeschichte mit ihren vielfältigen sozialen Problemen und Gliederungen ein entsprechendes Interesse erwecken würde. Aber vielleicht ist zuvor notwen dig, in entsprechender Weise bekannt zu machen, wieviel an Material zur Han dels- und Sozialgeschichte hier aufzu spüren ist, was man hier, um gar nicht zu reden von der Pancharte, jener groß artigen Sammlung der Stadtprivilegien, die vor 400 Jahren in einer kritischen Zeit zusammengestellt wurde, an Nach richten über die Stadt mit ihren Mauern und Türmen, mit Kirchen und Brunnen, mit Spitälern und Ausgedingstuben, mit Kulturschätzen und bürgerlichen Waffen, wie sehr man daraus das Leben aus ver gangenen Zeiten lebendig machen kann. Es kann für uns kein Zweifel bestehen, daß für das Selbstverständnis einer Stadt wie Wels derartige Archivalien von un ersetzlichem Wert sind. Denn sie haben vieles von dem schriftlich niedergelegt, was in Original und Gegenwart schon längst vergangen und verbraucht worden ist. Das tägliche Leben einer kleinen Bürgerstadt, wie es Wels in den letzten Jahrhunderten gewesen ist, war dem Ansammeln oder dem Bewahren derarti ger Kunst- oder Kulturgüter nicht eben günstig gesinnt. Wir wissen, daß in der Josefinischen Zeit und noch vor kaum 100 Jahren wesentliche künstlerische Lei stungen der Stadt aus den vorausgegan genen Jahrhunderten — man kann wohl sagen — verschleudert worden sind. Das betrifft die Kunstschätze aus dem ehe maligen Minoritenkloster, die man nur mühsam rekonstruieren kann, und ebenso wichtig die ehemalige reiche Ba rockausstattung der Welser Stadtpfarr kirche. Diese ist im Zusammenhang mit einer Tausendjahrfeier zum Jahre 1888 gründlich restauriert und man kann höf lich sagen ,,neutralisiert" worden, wobei man den damals noch umfangreichen Bestand an alten Kunstschätzen im Sinne eines einseitigen Modernismus radikal beseitigte. Hätte man damals dieses Gut in einem Museum vereinigt, es wäre ein Zielpunkt von Nah und Fern. Wer heute eine Vorstellung von den Leistungen der Welser Künstler aus dem 17. und 18. Jahrhundert gewinnen will, kann in den benachbarten ländlichen Pfarr- und Fi lialkirchen noch einige Überreste finden. Aber auch über diese ist die jüngste Mo dernisierungswelle nicht gerade scho nend hinweggegangen und hat neue Ver luste zur Folge gehabt. Es scheint also, daß die Lehren der Vergangenheit noch immer zu wenig ernst genommen wer den, und wir können heute schon sagen, daß die Vorwürfe, die wir gegen die vor ausgegangenen Generationen erheben, auch gewisse Aktivitäten unserer Zeit treffen werden. Wenn man sich eine Vorsteilung davon macht, was im 19. Jahr hundert allein aus dem Bereich von Wels in Verlust geriet und was noch im Stadtmuseum Wels, Bruchstück eines römischen Grabdenkmais mit Dreizack und ineinander verschlungenen Delphinen (vermutlich Weihestein für die Fiußgottheit der Traun). Foto: Bundesdenkmalamt Wien Rechte Seite: Stadtmuseum Weis, Beigaben aus einem Gräberfeld in Weis. Foto: Stadtmuseum Wels

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2