Oberösterreich, 26. Jahrgang, Heft 4, 1976

Betrachtungen Hafen Gregor M.Lepka Gregor M.Lepka Du legst Schritte zurück^ mit Siebenmeilenstiefelri/ das Land wird ein breiter Rücken, der alles aushält. Dann: Gespräche, die nur an Wirtshaustischen eine eigene Gestalt haben. Angstträume,die sich auf diese Weise verflüchtigen,in denen aber noch etwas Leben pulsiert. Es ist dein Land. Niemand wird dir eine Frage stel len. Du bist zurückgekommen, endgültig zurückge kommen. Das Krächzen der Krähen über den Fel dern,weil es nun doch noch Winter geworden ist. Ein Winter, der bleiben wird. Es gibt keine Sonne mehr groß genug, um ihn zu vertreiben. Du hast dich an diesen Winter gewöhnt, an das Schweigen, das er verbreitet. Du nährst ihn mit deinen Fragen. Es ist ein ungeheuerlich weißer Schnee, der dich trägt, der sich aufdrängt. Es müßte eine Möglichkeit geben, nein zu sagen. Du gehst den Berg hinunter. Siebenmeilenstiefel. Dein Land. Wie es sich ausbreitet. Jemand klopft dir auf die Schulter. Du redest ihn an und er schüttelt den Kopf. Du mußt deine Sprache allein erfinden. Worte, die geprägt werden müssen, wie eine ganz auserlesene Münzserie. Bis sie wahr werden. Es wird immer noch jemand auf den Frühling war ten, auch wenn er schon längst da ist. Das erwa chende Gras redet eine nicht jedem verständliche Sprache. Zwischenräume, die die Menschen trennen; Angst, die uns immer wieder einholt. Wir ahnen das Meer, wir suchen den verlorenen weißen Strand, die Mö wen,die um die Kamine der vorbeiziehenden Schiffe streichen. Alles bleibt in jener wohl abgewogenen Entfernung, die nur für die Träume erreichbar ist. Hin und wieder eine Schiffssirene, die an unser Ohr dringt und geheime Hoffnungen erweckt. Mittlerweile die Angst. Zwischenräume,die uns trennen. Weiterreisen — einen Koffer in der Hand und einen leichten Mantel über die linke Schulter geworfen,den Wind im Gesicht und in der Brieftasche eine Schiffs karte nach San Franzisko oder Singapore. Blinklich ter, Sirenengeheul, der Geruch von Teer, öl und zu lange gekochtem Rindfleisch,ein paar Matrosen,be reits betrunken und nach den Mädchen schielend, die auf dem Pier herumspazieren, und zwielichtige Burschen, von denen niemand genau weiß, was sie hier treiben, Zuhälter vielleicht oder Rauschgift schmuggler, du umklammerst den Griff deines Koffers fester, unbewußt, denn das Bild bist du gewohnt,es beunruhigt dich nicht mehr. „Sie fahren also auch nach Singapore, gut." Lächeln, freundlich, du weißt, du wirst ihn wiedersehen, an Bord in einem Liegestuhl, im Leseraum, unter Um ständen teilt er mit dir sogar die Schlafkabine. Er wird dir an irgendeinem Abend in der Schiffsbar von Singapore erzählen, von Huren und Lustknaben und vom Hunger: von ausgemergelten Kindergestalten in Straßen, die vor Schmutz starren. Whisky oder Gin an der Bar, die Abende sind lang und voller Sterne. „Ich bin natürlich auch gestrauchelt, wie das so ist, wenn man einmal ganz anonym ist. In einer Bar war es,miteinem kleinen Malayenmädchen,das immerzu lächelte und das komischeste Englisch der Welt sprach. Wie sie hieß, weiß ich heute nicht mehr, ist ja auch belanglos. Aber süß war sie die Kleine. Ja Singapore!" Eine Schar Möwen untertags, du bist noch immer nicht weit genug weg vom Land. Den Koffer in der Hand, im Gesicht den leichten Wind vom Meer her, der durch die Stadt zu den kargen Hügeln hin streicht. Blinklichter,Sirenengeheul... Jemand ruft jemanden und der Ruf verhallt. Du wartest noch ein wenig, schaust noch einmal zurück auf die Häuserfronten, die sich als etwas hel lere Schatten von den noch dunkleren der Hügelkette abheben. Du denkst an die Nacht in der Bar,an jene kleine Erzählung von Singapore, die dich erwartet, an das Kreischen der Möwen am Morgen. Du wartest vielleicht noch immer.

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