Oberösterreich, 26. Jahrgang, Heft 4, 1976

„überdimensionalen", um nicht zu sagen, einer rasend gewordenen Technik, sollte das kein Staunen auslösen. Die ver steckte Plastik der Zeichnung würde dem Auge allmählich sichtbar, ein Zusammen spiel der Linien aus dem Geiste ihres Schöpfers ergäbe sich da, das jeweilige Bild in primärer totaler Schau aufzufan gen. Ist das Blatt,,Gespenster"noch am leich testen erklärbar, so nicht op. 36 ,,Aus einer Traumwelt". Da ist eine gebirgige Landschaft, vermutlich eine asiatische, Menschen in Zelten, wahrscheinlich Frauen, sichtlich Gefangene, der Umwelt entzogen, nur ihren Männern erschlos sen, ja Untertan. Alles, wie immer bei Reichel, formal wunderbar ausgeglichen. Ein Blatt l'art pour l'art, sozusagen für Snobs, wie wir es heutzutage oft in der Kunst beobachten? Bei Reichel, sehen wir uns andere Blät ter an, ist das ausgeschlossen. Es ist auch keine bloß intellektuelle Kunst, be stimmt aber eine religiöse, wenn man die Radierungen der Reihe nach vornimmt, die aus der intensiven Beschäftigung des Künstlers mit den Mythen des Alten Te staments entstanden sind, so die ,,Hexe zu Endor", op. 117, oder ,,Zum Problem Samueli, Dämonen, eine Herme quä lend", op. 75. Hier ist eine Herme hoch aufgebaut auf einem fahrenden Schiff. Die Dämonen steigen und flattern aus den Bergspitzen gegen sie, der Kampf des allerzeit Beweglichen gegen das trot zig Statische, ein weltweiter Kampf. Die starre Herme ist das Problem Samuelis, des gewaltigen Sehers aus Rama, sie ist das israelische Volkskönigstum, das aber noch gefestigt werden muß. Doch geht es im grafischen Werk Rei chels nicht nur um asiatische Götter, wie in op. 108 um ,,Baal Sebub", den Gott von Ekron, oder in op. 121 um ,,Baaltis zu Bybios", soviel wie die Göttin Astarte in ihrem Heiligtum, oder in op. 107 ,,Tschekaet Daeti" um ein Erinnern an die Skythen östlich vom Kaspischen Meer, die die Reiter für die Truppen Alexanders des Großen im Feldzug gegen Indien stellten und übrigens, wie die Goldmaskenfunde für Mann und Pferd im niederbayerischen Straubing bewiesen haben,auch den Römern gedient haben. Reichel hat sich zumindest ebenso gründlich mit der germanischen Mythe befaßt. Er ist ein Sucher und Finder auf allen Wegen der menschlichen Kultur gewesen, hat alle ihre wesentlichen Zweige und Richtungen aufgegriffen und sie in seine geistige Vorstellung einzu verleiben versucht. riß Aik.\ liÄ op. 2 Ein Haus, Radierung 1913

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