Oberösterreich, 26. Jahrgang, Heft 4, 1976

Das Blatt „Aventiure", op. 114, ist ein Beispiel dafür. Frau Abenteuer also, die Frau in Varianten als die Personifikation der abenteuerlichen Erzählung, als die Muse der höfischen Dichtung, dieser novellistisch-legendenhaften Erzählungen des Mittelalters mit der Liebe des die nenden Ritters zum Eheweib seines Flerrn, die nicht Immer friedlich ausging, auch nicht für die Frau. In einem weiteren Zusammenhang mit diesem Blatt ist auch op. 58, „Glyphades Parsifal" (Glyphe ist Vertiefung, Einge grabenes) zu nennen, die Landschaft Parsifals, von hoher Sonne beschienen, mit dem Stein der Weisen, diesem Wun derstein, dem Gral, den Parsifal suchen gehen muß und der auf einer einsamen Burg Munsalvasche aufbewahrt wird. Wolfram von Eschenbach hat diesen Stoff am tiefsten gestaltet, und Richard Wag ner hat sich In seinem Bühnenweihefestspiel daran gehalten. Die geistigen Ausstrahlungen Reichels In seinen Radierungen umfassen wie kaum bei einem Künstler seiner Zeit Äonen. Dennoch ist in seiner Kunst eine geradezu nahtlose Übereinstimmung mit seinen schöpferischen Zeitgenossen aus anderen Kunstgattungen zu erkennen, nicht zuletzt mit zeitgenössischen Kom ponisten als Erneuerern der Musik. Die Übertragung ins Grafische von Schön bergs Gurreliedern (nach Gedichten des dänischen Dichters Jen Peter Jacobsen) zu einer Zelt, da Schönberg durchweg abgelehnt wurde, ja kaum bekannt war, läßt uns Reichels grundsätzliches musi kalisches Verständnis ahnen. Dabei ist vor allem eigenartig, daß man bei länge rem Anblick dieser Blätter die Musik des Zwölftöners Schönberg wirklich zu hören vermeint, ein Phänomen, das zweifellos bei Reichel liegt. Zu erwähnen ist seine Freundschaft mit Hans Pfitzner, die uns sein ausgezeichnetes Pfitzner-Porträt ge schenkt hat. Auch der Literatur der Lebenden hat er sich gewidmet. Mit Hermann Bahr, dem engeren Landsmann, hat er, zuvor in Großgmain ansässig, auf Schlößchen Bürgelstein in Salzburg sogar zusam mengewohnt. Am wenigsten dürfte er mit den lebenden bildenden Künstlern verbunden gewesen sein, ausgenommen Aifred Kubin. Aber das ist verständlich. Er wollte nicht etwa in eine innere Abhängigkeit von dem einen oder andern kommen, bei einem geistig regsamen Künstler immer eine Gefahr. Auch mit der Schauspielkunst kam er in nähere Berührung, in eine enge am Schluß durch seine Heirat mit Tony van Eyck, der bekannten Bühnen- und Fllmdarstellerin. Er wohnte mit Ihr bis zu sei nem Tod im Hause Schulhof 4 im ersten Wiener Bezirk. Vorher hatte er im Hause Reisnerstraße 3 und dann bei Gustav von Festenberg in Grinzing gewohnt, dessen Roman ,,Der Zauberer" neben den Aufzeichnungen Hammersteins das beste ist, was über Carl Anton Reichel geschrieben worden Ist. In Tony van Eycks Wohnung am Hof wurde er beson ders von seiner Verwandten Maria RabI betreut, die eine hervorragende Köchin war, eine Notwendigkeit für den Fein schmecker Reichel, well Tony van Eyck die Kochkunst nie erlernte. Dafür bestand sie auf dem Burgtheater und beim Film besser. 26 Jahre blieb Carl Anton Reichel, ob gleich einer der bedeutendsten bildenden Künstler seiner Zeit, verschollen. Erst durch die Reichel-Ausstellung 1970 der Wiener Albertina trat er wieder an die Öffentlichkeit. Damals hat Ernst Fuchs den oberösterreichischen Kollegen als den Vorläufer der Wiener Schule des Phantastischen Realismus vorgestellt, eine Einreihung in die neuere Entwick lung unserer Kunst, die vielfach ange zweifelt worden ist, wahrscheinlich des halb, well diese naheliegende Klassifi kation keinem Kunsthistoriker einfiel. Nichtsdestoweniger bleibt das Verdienst des Direktors der Albertina, Dr. Walter Koschatzky, ungeschmälert, diese Aus stellung veranstaltet, ja gewagt zu haben. Sieht man die Grafiken Reichels an, so ist seine avantgardistische Stellung in der österreichischen Kunst des 20. Jahr hunderts sogar für den Laien offenbar. Aber Zeitgenossen sind fast immer blind gegenüber dem Neuen, insbesondere in der Kunst. Für Österreich steht es gene rell so: Man hat wieder einmal von einem bildenden Künstler nichts gewußt, er mußte erst durch einen schaffenden Künstler der späteren Zelt entdeckt wer den, der sich mit diesem Problem selbst herumgeschlagen hat, bis er mit seinem Namen in der vordersten Reihe seiner Zunft gelandet war. Ihm, Fuchs, gelang es verhältnismäßig bald zu Lebzelten; die Zeit für Reichel lag weniger günstig. Warum diese öffentliche Anerkennung sich so spät ergab, liegt sicherlich auch in der Veranlagung Reichels, stets die 1. f X ".U)! a Links: op. 39 Verbranntes Haus, Radierung 1914 Rechte Seite: op. 50 m K'a — 'gro — ma, Radierung 1914

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