Oberösterreich, 26. Jahrgang, Heft 3, 1976

aus der „Tendenz" zur Stube zu verste hen. Der Wunsch nach Wärme und Behag lichkeit in rauher Gegend, das Zusam mensein mit Familie und Verwandtschaft oder Nachbarschaft haben sogar das Bild der Mühlviertler Bauernstube mit gestaltet. Nicht bloß in Notzeiten, auch sonst wollte man seine Leute und seine ,,Sach" um sich und in Reichweite haben, gleichsam, um jederzeit bereit zu sein, um alles griffbereit zu haben. In den älteren Stuben ist nun auch tat sächlich alles da; selbst Im Deckentram noch finden sich Fugen, in die hinein Stäbe, Devotionalien, Briefe oder Papiere gesteckt werden. Nägel und Flaken im Deckengebälk nehmen Ofengeschirr, Tabakspfeifen, Kleider auf, doch auch andere Winkel und Platzerl werden bestens genützt und man hat nicht ganz zu Unrecht von der „ang'ramten Stubm" bei den Mühlviertlern gesprochen. Genau besehen ist das alles nicht einem angeb lich mangelnden Ordnungssinn zuzu schreiben, der ihm, dem Mühlviertler, gelegentlich vorgeworfen wurde. Stubensinn muß es wohl auch gewesen sein, der das Brauchtum dementspre chend beeinflußt hat. Da fällt auf, daß der Mühlviertler gegenüber der Öffent lichkeit immer ein bisserl scheu und zurückhaltend gewesen ist. Niemals ging er mit seinen Festen und Feiern — von wenigen Ausnahmen abgesehen — gerne auf die Straße. Er produziert sich auch heute noch nicht in dem Maße als „Folklorist" auf Bühnen und Podien vor einem zahlenden Publikum, wie das an derswo der Fall ist. Nichts gegen Trach tenvereine, aber der Mühlviertler kann dieser Form von Geselligkeit anschei nend wenig Geschmack abgewinnen. Man findet in diesem Landesviertel kaum derartige Vereinigungen. Vielleicht sind sie ihm noch zu neu und Neuem begegnet er nach wie vor mit Vorsicht. Wahr scheinlich werden von ihm die in bunten historischen Uniformen da und dort in Erscheinung tretenden Bürgergarden doch weniger als Selbstzweck empfun den, sondern eher als eine heimat geschichtliche Verpflichtung, die es zu übernehmen und zu überliefern gilt. Man muß diese Garden einmal im Ge samtbild der Fronleichnamsfeste in Has lach, Hofkirchen usw. gesehen, man muß auch das Reglement kennengelernt ha ben, dem sich die Bürger mit Begeiste rung und Ernst unterordnen. Dann erst beginnt man zu spüren, daß in diesen Gemeinschaften mehr steckt, als den sonst üblichen Vereinen im allgemeinen zukommt. Die Mühlviertler hatten auch einmal an dere traditionelle Gemeinschaften, die mit den Zechen des Inn- und Hausruck viertels vergleichbar waren. Im Nord westen des Viertels waren es die ,,Buam", im Südosten die ,,Rudl"(Rüden) und im mittleren Teil nannte man der artige bestimmten Altersgruppen und Schichten vorbehaltene Bünde einfach ,,die Bursch", für die im 17. und 18. Jahr hundert auch die Bezeichnung ,,Marktbursch" üblich war. In dieser Form sind sie jedoch nirgends mehr anzutreffen, doch viele Aufgaben, die ihnen einst zustanden, werden heute von Klubs, Vereinen oder Runden wahr genommen. Sie vollziehen das Jahres und Lebensbrauchtum mit dem gleichen Schwung, wie es früher einmal von Schwarzenberg bis Sandl der Fall ge wesen ist. Brauchtümliche Aufgaben ha ben mancherorts die Feuerwehren über nommen. Im Gebiet zwischen Peilstein und Julbach etwa sind sie es, die das eigenartige Rauhnachtssingen ausüben. Das Auffangen brauchtümlicher Anliegen in derartigen Gemeinschaften, wie sie in den vielen Feltlklubs, Rauch- oder Pfei fenklubs, In einem Sauschädlklub (Rohr bach), in Musik-, Gesang- oder Spar vereinen erkannt werden müssen, zeigt eine der vordem erwähnten Entwick lungsrichtungen auf, die durch den ,,Stubensinn" beeinflußt worden sind: ge meint ist der überall deutlich geprägte örtliche Zusammenhang und Zusammen halt. Selbst die inzwischen mit modernem Glanz versehenen Wirtsstuben lassen im mer noch das alte Vorbild der Bauern stube erkennen, die einst wie heute nichts anderes ist als die gemeinsame Stube der Ortsfamilie. Sie bildet auf ihre Art gleichsam die Zusammenfassung aller Haushalte im Dorf. Ob man zu Weiber-, Jager- oder Rockaroasen zusammenkommt, ob man — wie in Sandl oder Naarn — zu Dreikönig „den Stern ausspielt" oder — wie in Kefermarkt und in manchen anderen Dör fern und Märkten — zu bestimmten Ter minen zum Preisschnapsen antritt; man trifft jeweils die „Familie" an. Aus dieser auffallend starken Bezogenheit auf Familie, Haus und Hof — In der Folge auf Dorf- und Pfarrfamilie — hat sich die gesellige Umwelt des Mühlviertlers entwickelt. Sie wird einem so recht bewußt und deutlich im Verlauf des schon erwähnten Rauhnachtssingens, wenn da zur letzten Rauhnacht die beiden Haupt gestalten Fesakern und Korizon samt ge ordnetem und ungeordnetem Gefolge in die von Nachbarsleuten ohnehin schon prallvoll besetzten Bauernstuben einzie hen und mit „Glück herein — Unglück hinaus" den Neujahrssegen für Haus, Hof und Felder herbeiwünschen. Dieser Bürger- oder Gemeinschaftssinn wird spürbar in dem eigenartigen Ehaft-Tag der Sarleinsbacher, wenn an einem „Mitt woch im Feber" die einstige Markt kommune im Gänsemarsch zur Kirche zieht. Obgleich heute jeder Verantwor tung über Marktbürgereigentum entho ben, tritt die Kommune nach dem Gottes dienst zur Jahresversammlung zusam men und gleich einem Symbolmahl wer den Ehaftbrezel und Ehaftwürstel ver zehrt. Man muß in den Kartagen auf einem Mühlviertler Hof dabeigewesen sein, wenn die Goden ihren Taufkindern die herkömmlichen Ostergaben, die Godensach, überbringen: mächtige Godenkipfel, ebensolche Wecken, Zelten und das ,,reode Oar". In solchen Situationen wird die Kraft spürbar, die in den Ver wandtschaftsverbindungen ständig wirkt. Übrigens revanchieren sich die Godenkinder bei ihren Paten mit einem Gegen besuch am Ostermontag oder andernorts erst zu Allerheiligen. Wieder ist es ein Termin, der an die Verbundenheit der Familie sogar mit den verstorbenen Mit gliedern unmißverständlich erinnert. Nach alldem braucht wohl erst gar nicht darauf aufmerksam gemacht zu werden, daß das Hochzeitsbrauchtum der Mühlviertler eine überreiche Ausgestal tung erfahren hat. Freilich, das Braut güter- und Brauttruhenfahren ist seltener geworden, aber die Errichtung prächtiger Ehrenpforten, das Böllerschießen, Weg versperren (Verkagern), der Umzug der Musikkapellen als ,,Wecken" nach dem Polterabend (Katsdorf) und das anstren gende Amt der Brautweiser und ihrer Gegensänger, die mit G'stanzeln alle Phasen des Hochzeitsverlaufes markie ren, stellen ein so überaus reiches und lebendiges Brauchtum dar, wie es „ech ter" nicht sein könnte. Nicht zu vergessen die wackeren Heozatblaser, von denen erwartet wird, daß sie Kirchgang-, Tafelund Tanzmusik nahezu pausenlos be streiten. Gerade die Beispiele am Hochzeits brauchtum erweisen sich so typisch als etwas, das sich wohl vor aller Öffent lichkeit vollzieht, im Grunde aber für den erweiterten Familienkreis gedacht ist. Ne ben einigen anderen Beispielen, wie etwa dem allerdings immer seltener werden den Brauch mit dem „Hapsteckn" (eine felderwirtschaftliche Organisationsmaß nahme einer Flurgemeinschaft), ist auch

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