Oberösterreich, 26. Jahrgang, Heft 3, 1976

ziehen sieht. Das sind Volkskunstwerke, wenn auch vergängliche, die unter ge schickten Händen entstehen. Die Pracht solcher Gebilde nimmt gegen Osten merklich ab, doch noch die mit schmalen bunten Bändern versehenen Buschen im mittleren Mühlviertel (Neußerling) ver raten das „Gespür" für gefällige Formen. Ebenso wie die später aufragenden Mai bäume sind auch sie nicht Selbstzweck, sondern wie aller Brauch und alle Kunst in Fest, Feier oder Alltag zwingend ein gebunden. Palmbäume werden nach ihrer Segnung zerteilt, die Büschel auf die Felder gesteckt oder in Hof und Stall angebracht und das Eßbare daran (Äpfel) an Mensch und Vieh gleich einer heiligen Wundermedizin verteilt. Ähnlich geschieht es ja auch mit Wecken und Zölten, Oster eiern und Godenkipfeln, die eben nicht alitägliche Nahrung sind, sondern Beson deres, Glück- und Segenbringendes sein sollen. So ist es mit dem Maibaum und der Fronleichnamsbirke, die im mühlviertler Volksleben beinahe unangefoch tene Positionen behalten haben. Ich habe mir eingangs die Eindrücke eines Wanderers durchs Mühlviertel zur Methode meiner Betrachtung gemacht. Hier kann und muß ich wieder darauf zurückkommen, denn wem fiele wohl auf seinen Wegen nicht die Eigentümlichkeit der Sakrallandschaft auf. Beinahe eigen sinnig verharren an manchen Dorfstraßen und Waldwegen noch die Reste eines vergangenen Volksglaubens. Ich meine die wuchtigen Gattersäulen: kaum behauene Granitblöcke mit einem Loch im oberen spitzen Teil. Wenn auch immer noch nicht gänzlich geklärt ist, welchem Zweck sie einmal gedient haben mögen, so weiß man immerhin, daß sie der be vorzugte Ort gewesen sind, wo in den Rauhnächten den Elementen ein Opfer gebracht worden ist. Mehl, Brot oder Salz sind dort den Wind- und Wetter geistern gleich einem Unterpfand als Äbwehr und Versicherung dargebracht wor den. Solche Steine sind häufig anzu treffen. Mit dem Glauben sind gerade im Mühl viertel eine ganze Menge seltsam ge formter Felsen und Steine in Verbindung zu bringen. Wackelsteine, Kultsteine, Felsspalten, Schalensteine und eine Reihe anderer Merkwürdigkeiten haben den mit den Tücken der Natur kämpfen den Menschen oft dazu gedrängt, aus Geheimnisvollem einen Nutzen abzu leiten. Änders steht es um die in Haus, Dorf, Feld und Wald allüberall anzutreffenden Zeichen, die der Christenmensch setzt. Das Mühlviertel ist eine wahre Fund grube, denn der Formenschatz der Kreuz säulen und Bildstöcke ist kaum zu über schauen; ganz abgesehen von den unter schiedlichen Motiven, warum derartige Zeugnisse frommen Denkens einst ge setzt wurden,ja heute noch errichtet wer den. Dazu kommen Haus-, Weg- und Waldkapellen, die meist als Ziele für Maiandachten und Wallfahrten dienen oder im Zuge des Kornfeldbetens auf gesucht werden. Bittgänge und Schauer messen stehen nicht selten mit diesen volkstümlichen Gebetstätten in innigem Zusammenhang. Nicht gänzlich verschwunden aus dem Bild der Landschaft sind die alten Wet terkreuze. Sie stammen meist aus der Hand der Zimmerleute, die zur Winterszeit beim Bauern auf der Stör arbeiteten. Än den langen Äbenden machten auch sie sich zu schaffen und schnitzten dann ne ben Kruzifix und Corpus alle übrigen Marterwerkzeuge hinzu. Spieße und Stangen, Hammer, Zange, Leitern, kurzum die Waffen, mit denen Christus die Welt erlöste. Ein Ziffernblatt ohne Zeiger ist auch dabei und erinnert an die Endlosigkeit der Zeit, ans Ewige also. Äuch ein Hahn sitzt meist an der Spitze des Kreuzesstammes und mahnt, daß selbst Gott in dieser Welt nicht gefeit ist vor Verrat und Kleinmut. Diese Passions oder Leiden-Christi-Kreuze waren zu folge der Änhäufung so vieler Werk zeuge, die zum Siege über den Tod ge führt haben, als geeignete, besonders kräftige Mittel gegen Unwetter und alle übrigen Gefahren gedacht, die sich ge gen das Haus und seine Bewohner rich ten konnten. Älso auch hier wird wieder die in Haus und Stube hinreichend be friedigte Schutzbedürftigkeit deutlich. In anderen Landschaften Oberöster reichs, lim Innviertel oder an der Donau, stehen solche Wetterkreuze an den We gen, im Mühlviertel bringt man sie an den Giebelseiten der Wohnhäuser an Eine Besonderheit in dieser Landschaft sind schließlich auch die hinter Glas ver sperrten Statuetten und Heiligenbilder In den Äußenmauern der Bauernhäuser. Da ist zu beobachten, daß selbst bei Neu bauten entsprechende Nischen noch im mer berücksichtigt werden. Längere Zeit stehen sie oftmals leer, am Ende aber werden sie doch mit einem Bild oder Heilszeichen besetzt. Das Bedürfnis nach Heiligenbildern, die im Typ des Sandler Hinterglasbildes ihre besondere Äusdrucksform gefunden ha ben, war und ist reichhaltig, denn die Herrgottswinkel der Stuben, die InnenDer Obermühlviertier Spielmann Franz Krieg in Hinteranger (Schwarzenberg). Foto: M. Eiersebner räume von Weg- und Wallfahrtskapellen, nicht zuletzt die Nischen vieler Bildstöcke verlangen immer noch danach. Es kann nicht verschwiegen werden, daß Stil und Geschmack stark gelitten haben. Ein ,,Bildersturm", maßvoll und mit Ver stand unternommen, könnte recht heil sam sein, wie es den Bildstöcken an sich von großem Nutzen gewesen ist, daß man sich ihrer angenommen hat, sie wieder ,,standhaft" machte und ihre Far ben auffrischte. Die ganze Landschaft ringsum hat dadurch gewonnen. Nun, beim Niederschreiben von Eindrükken und Gedanken über das Mühlviertel ergeht es mir genauso wie auf meinen Wanderwegen: ich glaube alles gesehen zu haben, entdecke aber unentwegt Neues und muß auf diese Weise ,,unvoll ständig" bleiben. Lebendiges Wallfahrts brauchtum, prächtige Prozessionen, son derbare Ält- und Neuformen im Toten brauch, Umritte und Umzüge, Wolfablas sen, Heilkunstwissen und manch „gän gige Praktik wider manche Gefahr" kön nen am Ende nur aufgezählt werden. Sie helfen auf diese Weise noch mit, das Bild einer kräftigen Volkskultur zu bezeugen. Brauch und Sitte sind im Mühlviertel da heim, sie gehören zum Werk- und Fest tag und bestimmen den Lebensgang. Nirgends jedoch habe ich wahrnehmen müssen, daß sie den Fortschritt behin dert hätten. Im Gegenteil, Ältes läßt sich mit Neuem gut verbinden. Die Mühlviertler beweisen es mir.

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