Oberösterreich, 26. Jahrgang, Heft 1, 1976

St. Wolfgang ein Juwel in Landschaft und Kunst Peter Pfarl Wer nach St. Wolfgang fährt, kann die verschiedensten Motive dafür haben. Es kann sein, daß er den Ort als eine der lebendigsten Sommerfrischen Öster reichs aufsucht, daß er hier Spitzenwerke der europäischen Kunst besuchen will; es wäre aber auch möglich, daß es sich um einen Naturfreund handelt, der beschau liche Wanderungen in prachtvoller Berg welt liebt, oder aber Sport betreiben will an einem Platz, der dazu Möglichkeiten wie kaum ein anderer bietet. Das Ein malige an St. Wolfgang ist eben, daß die ser Ort wirklich allen alles geben kann, Ruhe und Fröhlichkeit, Kunstgenuß und Unterhaltung, dazu noch vieles mehr, was auf den ersten Blick gar nicht auffällt, eine reiche Geschichte und eine ihrer Heimat verbundene Bevölkerung, die sich auch heute noch durch liebenswerte Be sonderheiten auszeichnet. Lauter Aktivposten, lauter Superlative! Kann man über diesen Ort überhaupt schreiben, ohne in den seichten Stil der Fremdenverkehrswerbung zu verfallen? Oder geht die Schönheit dieses Raumes tiefer, in Bereiche, die nicht bloß mit Ferienstimmung zusammenhängen, son dern das Kreative im Menschen anregen? Jakob Wassermann hat geschrieben: ,,Wenn man von Ischl kommend,an Sankt Gilgen vorüberfährt, wo Mozarts Mutter geboren wurde, berührt einen die Land schaft des smaragdgrünen Wolfgangsees wie ein Präludium zu einem Hauptstück; hier ist die Quelle all der Süße und Erhabenheit, sagt man sich, mütterliche Augen haben die Schönheit getrunken, die der Seele des Sohnes wieder ent strömte. Hier ist das schlagende Herz Europas; hier teilt sich sein Rhythmus mit, seine Geschichte und eine Ahnung dessen, was groß an ihm war." Diese gepriesene Bergwelt, die den See umgibt, ist weder heroisch noch gestalt los, ihr sanfter Formenreichtum hat nir gends eine Lücke. Kaum sonst wo schließt sich der Ring, der eine Land schaft umgibt, so vollkommen. Nicht ein mal der Schafberg, den man das Wahr zeichen der Gegend nennt, spielt sich vor den anderen Bergen auf. Außerhalb die ses Raumes aber, da ragt er wie eine riesenhafte Reklametafel des Wolfgang sees auf und erregt die Sehnsucht der Menschen, die in den Ebenen wohnen, von Rosenheim in Bayern bis hinab ins Niederösterreichische. Dennoch steht der Schafberg über allen anderen Erhebungen rund um den See, seines Ruhmes und seines Ansehens wegen, und seine Lage genau in der Von Salzburg kommend,erreicht der Gast die Landschaft des Wolfgangsees, In alten Zelten Abersee genannt, im salzburgischen St. Gilgen. Der See erstreckt sich in allgemeiner Richtung Nordwest-Südost, umrahmt von einer reizvollen Mittelgebirgs landschaft, Länge 12 Kilometer. Foto: Löbl Mitte zwischen drei großen Seen macht ihn zu einer einzigartigen Aussichtswarte. Schon früh bestiegen ihn die Romantiker und überboten sich im Lobpreis seiner Schönheit. Heimine von Chezy etwa, die ihn 1833 erklomm, beschreibt die Abend stimmung dort oben mit folgenden enthusiastischen Worten, die jeden mo dernen Fremdenverkehrsprospekt trokken und dürr erscheinen lassen: „O, welch ein Bild lohnte unseren Muth! — Schweigend lag die Welt unter uns, schon in nächtliches Dunkel verhüllt, nur zwei breite Lichtstreifen im Kreise herum bezeichneten die stillen Flächen des Atter-, Mond- und Wolfgangsees. Aber im Westen schwammen noch glühend im Abendroth die fernen Fluren Bayerns; halb schon im Feuermeer versunken sandte uns die holde Sonne noch ein trautes Lebewohl zu. Und hinter uns, und neben uns standen noch einzelne Oasen im dunklen Meere der Nacht, glühend und licht, einem Seraph ähnlich der em porstrebende Dachstein mit seinen ewig erstorbenen Eisflächen." Die Aussicht vom Schafberg ist tatsäch lich dieser Bewunderung wert. Vierzehn Seen, so heißt es, vermag das Auge zu erblicken, freilich muß man da auch die seichte Lacke des Hinterschafbergsees dazurechnen, der am Fuße der tief ab stürzenden Wand in einer kahlen Hoch fläche liegt, und den fernen Chiemsee, den man nur bei gutem Wetter und auch da meist nur blinkend im abendlichen Gegenlicht ausnehmen kann. Schultes, der um 1800 unsere Gegend bereiste, ver merkt, man erkenne von hier aus den ,,Schneeberg bey Wien" und Frau von Chezy ließ sich gar von den Einheimi schen erzählen, man könne bei beson ders gutem Wetter die Türme der Münchner Frauenkirche sehen. Ais dieses Wunder der Natur immer be kannter wurde und auch die touristische Ära des Sesseltragens abgelaufen war — eine Schinderei: die Fremden ließen sich von heimischen Trägern in Sesseln auf die Berge schleppen —, legte man 1892 die Zahnradbahn an, um die interessier ten Menschen bequemer auf den Berg zu bringen. Kaiser Franz Josef, Katharina Schratt, den Herzog von Windsor und viele andere bekannte und noch viel hun derttausendmal mehr unbekannte Leute hat diese Bahn seither auf den Berg ge bracht, bis heute ohne einen einzigen Un fall. Die Überiaufenheit nährt allerdings die Skepsis manchen Besuchers: ,,Große Steine, kleine Steine, müde Beine, Aus sicht keine", schrieb einer frustriert ins Gästebuch des Hotels Schafbergspitze. Wessen Sinn aber unverbildet geblieben ist, der wird die grandiose Schönheit des Schafberges immer noch als einzigartig erleben, schon gar, wenn er es auf sich nimmt, den Bergraum zu Fuß zu durch streifen. Er wird die Schafberghöhlen fin den, die drei einsamen Seen, die düstere Nordwand des Berges und immer neue Ausblicke auf Seen, Ebenen und Gebirge. Alle Berge rund um St. Wolfgang zeich nen sich durch solche Ausblicke aus, alle besitzen darüber hinaus ihre Besonder heiten. In den Leonsberg etwa hat ein Bach eine wilde Schlucht gerissen, an de ren Ende sich im Halbdunkel eine Höhle befindet. Hier gibt es Feismalereien, höchst geheimnisvolle Zeichen, deren Al ter man nicht kennt. Mag sein, daß sie aus der Vorzeit stammen, oder daß sie erst in jüngster Zeit in den weichen Stein eingegraben wurden — ihre Form jeden falls deckt sich mit vielen prähistorischen Steinritzungen in weit entfernten Gegen den Europas. Hinter diesem Berg dehnt sich ein weiter Forst, arm an großartigen Aussichtsplät zen, aber durchsetzt mit prächtigen Al men, kleinen Kuppen, einem einsamen Moor und mehreren Gewässern, deren schönstes der Schwarzensee ist. Heute tummeln sich hier im Sommer die Bade lustigen und im Winter die Schlittschuh-

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