Oberösterreich, 26. Jahrgang, Heft 1, 1976

mann an einem Pfeiler des kurzen Sei tenschiffes, eine zerschundene Jammer gestalt, die alles Leid der Menschen auf sich genommen hat. Hier besteht ein Kontrapunkt zum heiteren Leben von St. Woifgang, wie er stärker nicht denk bar ist, zu Ferienleben und Badebetrieb, ja selbst zu der gelösten Pracht des Pacheraitares. in der stillsten Ecke des Gebäudes steht diese kunstvolle Statue. Christus in seinem Leiden, wie er den Menschen mit verkrampften, biutverschwolienen Händen seine Fessein und verkrusteten Wunden vorweist. So stolz und überragend die Anzahl der Kunstwerke dieser Kirche auch ist, das eigentliche Interesse galt früher nicht ihnen, sondern den handgreiflichen An denken und Gedenkstätten des heiligen Wolfgang. In der Sakristei zeigte man den Pilgern seinen Kelch und Wander stab. Der Stab ist eingefaßt in kostbares Emaii, ein frühes Kunstwerk dieser Tech nik. Dann gab es auch noch den Stein, in den der Heilige seine Spuren eingedrückt hatte, und die Zeile, die ihm zur Wohnung diente. Beide Heiligtümer befanden sich früher neben der Kirche im Freien; ein Tafelbild in der Woifgangkirche zu Pipping bei München hält diesen Zustand fest. Da steht das schlichte, steinerne Hüttiein, behängt mit Votivgaben, davor der Spurenstein, links drängen sich die Mühseligen und Beiadenen heran, ein Blinder, ein Lahmer, ein Weib mit einem kranken Kind. Heute sind Stein und Zeile mit einer anmutigen Rokokokapeile über baut. Die Decke zieren farbenfreudige Gemälde des Saizburger Hofkünstlers Jakob Zanussi, die man erst kürzlich wie der freigelegt hat. Der Wolfgangbrunnen hingegen steht im mer noch neben der Kirche. Samt seinem Überbau ist er ein wichtiges Werk aus der Übergangszeit zwischen Gotik und Renaissance, ein Werk, dem schon ganz die Skepsis der kommenden Zeit anhaf tet, wenn etwa unter dem krönenden heiligen Wolfgang sich vier nackte Män ner herumtreiben, weiche die Folgen übermäßigen Weintrinkens demonstrie ren: Trunksucht, Durchfall und Biasenbeschwerden. Eine Inschrift vermeidet, der Abt habe diesen Brunnen gemacht, damit die armen Pilger, die sich keinen Wein leisten können, wenigstens ein gutes Wasser zu trinken hätten. Damit sind wir nicht nur wieder im Freien angelangt, sondern im eigentlich profa nen Bereich, auch wenn der heilige Woif gang über dem Ganzen thront. Denn er beherrscht ja doch den ganzen Ort; in den Gasthäusern findet sich überall sein Bild und in den Trachtenstuben, an den Fassaden des Gemeindehauses ebenso wie am Briefpapier der Kurverwaltung. Selbst im Hotel ,,Weißes Rößl" ist der Speisesaal mit einem Zyklus von Bildern aus seinem Einsiedlerleben geschmückt. Auch im Walinerhaus, einem in barocken Freskenschmuck prangenden Gebäude am Marktplatz, in dem der Überlieferung nach Michael Pacher gewohnt und die durch den Transport beschädigten Teile seines Aitares ausgebessert hat, gibt es natürlich eine Heiligenfigur. Sie steht an einem Ehrenplatz in der anheimeln den Konditorei, die seit jeher als Lebzeiterei den Pilgern Süßigkeiten und An denken bot. Mitten zwischen Vitrinen voll Kerzen, Spirituosen und Mozartkugein steht der Heilige, ein schönes Bild für die Selbstverständlichkeit, mit der man hier Geschichte und Geschäft ver bindet. Die Fremden, die das oft miß deuten, wissen nicht, wieviel Tradition im Volk hier weiterlebt. Sie haben noch nie die Burschen erlebt beim ,,Paschen", einem rhythmischen Klatschen, das ge radezu typisch ist für die Gegend. Sie werden auch nie bei einer Bauernhoch zeit gewesen sein, wo man streng und im Grund voller Stolz auf die Einhaltung der alten Bräuche achtet. So sind auch die Bauernhäuser zumeist in ihrer Behä bigkeit erhalten geblieben und werden in ihrer alten Form bewahrt. Der echte Woifganger liebt seine Heimat; Männer und Frauen betonen das oft ganz unvermit telt im Gespräch und unter den bisweilen recht derben Gstanzln erklingt es immer wieder: ,,Wolfgang, das liegt im Tal, das sag i allemal; san scheni Mentscher drein, da mecht i sein." In diesem Zusammenhang muß unbedingt noch auf etwas anderes verwiesen wer den. Wenn man nämlich von Musik in St. Wolfgang spricht, dann denkt man nicht an Gstanzln, dann erklingen Operet tenmelodien; der schöne Sigismund tritt auf und der gute alte Kaiser; der Leo pold schmachtet seine Wirtin an und alles jubiliert: ,,im Weißen Rößl am Wolfgang see." Das schöne Haus mit den an genehmen Terrassen und dem einzig artigen kleinen Badestrand unterhalb der Kirchenarkaden ist jedoch gar nicht der Urschaupiatz des Singspiels vom Gast haus ,,Zum Weißen Rößl", das zwei Wie ner Theaterlöwen namens Oskar Blumen thal und Gustav Kadelburg 1897/1898 schrieben, begeistert von der Schönheit der Rößiwirtin in Lauften bei Bad Ischl, die eine geborene Gandl aus St. Wolf gang war, und dem Charme des Ober kellners Leopold in der ,,Rudolfshöhe" zu Ischl. Bald übertrug sich der Schauplatz der Handlung von Lauften auf den viel attraktiveren Wolfgangsee. Das geschah 1929, als Ralph Benatzky,vom Schauspie ler Emil Jannings auf den dankbaren Stoff aufmerksam gemacht, das anspruchslose Singspiel zu einer Operette umformte. Seine zugkräftigen Melodien wurden noch durch Klänge von Rudolf Stolz an gereichert und so entstand einer der letzten durchschlagenden Erfolge der alt gewordenen Königin Operette. Hier lebt sie noch in aiter Frische und Unbefan genheit und preist die Lebensfreude und Schönheit der heiteren Welt am Wolf gangsee: ,,Die Leute tun, als ob die Schönheit ein Vergeh'n wär, sie soliten froh sein, daß es so was Schönes gibt!" So sind nun aiie Akkorde von St. Woif gang, die auf den ersten Blick gar nicht zusammenstimmen, aufgeklungen. Sollte man das alles zusammenzählen und gleichsam eine große Schiußrechnung an steilen, in der Art: Bergweit plus heiligem Woifgang plus See plus Kunst und Operette ergibt (derzeit) vierhunderttau send Nächtigungen pro Jahr? Es wäre eine große Fehlrechnung. Es gilt nicht, aiies, was uns die Jahrhunderte hinter lassen haben, zusammenzurechnen und schnell zu Geld zu machen, sondern der Rechnung weitere Posten hinzuzufügen und sie noch lange weiterzuschreiben. Entgegen mancher übeiwoliender Mei nung weiß dies die Bevöikerung von St. Wolfgang. Man ist sich der Probieme des Ortes bewußt und bemüht sich um ihre Lösung. Nicht vieie Gemeinden bau ten so früh eine Voilkanalisation, wenige schufen so baid einen Bebauungsplan. Gegenwärtig geht es darum, den Ver kehr zu entfiechten, das Landschaftsbild zu bewahren, und was dergleichen kom munale Aufgaben mehr sind. Man an erkennt aber auch die kuiturelien Ver pflichtungen. Es wurde ein hochwertiges Heimatbuch herausgegeben, alte Häuser wurden renoviert und für das 1000-JahrJubiiäum bereitet man eine Fülle von großangelegten Veranstaltungen vor. Möge dadurch das Bewußtsein, welche Verpflichtungen landschaftliche Schön heit und kuitureiler Reichtum mit sich bringen, für dauernd gestärkt werden, es wäre der schönste Sinn eines solchen Festes.

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