Oberösterreich, 25. Jahrgang, Heft 4, 1975

□ zellentiefen als Lösungsmöglichkeit direkt anbieten: Einige Meter hinter der tragen den Fassade Passagen in die Tiefe des Hauses zu führen, die dann beidseitig von beliebig langen Schaufenstern bekleidet sein können. Ist hinter dem straßenseiti gen Haustrakt ein größerer Hof, so emp fiehlt es sich, auch diesen Hof in den Schaubereich einzubeziehen, wobei die Schaufenster hinter (nicht zwischen) den Arkadenpfeilern liegen können. Gute An sätze in dieser Richtung findet man be reits in der Salzburger Judengasse und In der Landstraße zu Linz. Eine absolute Fehlentwicklung, die es mit allen Steuerungsmitteln derRaumordnung radikal zu eliminieren gilt, sind die Super märkte auf der grünen Wiese außerhalb der Städte. Diese führen zu einer Ausblu tung und letztlich zur Vernichtung des städtischen Handels und sind somit abso lut stadtzerstörend. Das Einkaufen zu einem vollrationalisierten Funktionsablauf allein zu machen, anstatt zum Familien- ,,Einkaufsbummel" auszuwerten, zeugt genauso von einer grenzenlosen mensch lichen Verarmung, wie die ,,Architektur" der Supermärkte, die wohl die traurigsten Erscheinungen auf dem Sektor des Bau ens sind. Es wird alles gleichgemacht. Der Mensch wird zur Nummer, und dies auf allen Sektoren der neuen Menschen siedlungen. Da es aber ein Urtrieb des Menschen ist, sich zu differenzieren und so von der grauen Masse etwas abzuheben, benutzt man die Benzinkarossen als Statussymbol und Prunkwagen, um wenigstens für kurze Zeit der Misere der neuen Umwelt entflie hen zu können. Wenn weite Kreise, die ein Auto beruflich nicht unbedingt brauchen, die Aufwendungen für das Auto für etwas mehr Wohnkomfort umwidmen würden, so könnte sich heute das Wohnniveau und im Endeffekt auch die Erscheinung der Häu ser und der Städte wieder etwas „heben". Mit der Anhebung der Stadtqualität und dem Nachlassen der infolge Übermotori sierung bedingten Stadtverschmutzung durch Abgase und Lärm wären aber auch die notwendigen Voraussetzungen ge schaffen, die Städte nicht mehr - mittels Auto — fluchtartig verlassen zu müssen. Aus dem tödlichen circulus vitiosus könnte so durch eine Trendumkehr eine Wende zum Besseren werden. Sind unsere Städte noch zu retten Die schönen bunten Bilder der Illustren alten Städte Österreichs dürfen uns nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß viele dieser Städte in ihrer inneren Struk tur krank sind. Wenn die Fremden, die in der Salzburger Getreidegasse flanieren und diese ungemein reizvoll finden, ein mal das eine oder andere Hoftor öffnen würden, so kämen sie in eine ganz neue Welt, die fast eine Schockwirkung auslö sen könnte: dunkle Höfe, die luftigen Arkarden vermauert, Küchen-, Remisenund WC-Einbauten, Materiallager, Abfälle, Tristesse. Ähnlich ,,präsentleren" sich die Stiegenhäuser und leider auch manche Wohnungen. Schöne Fassaden (Gesichter) und kranke Häuser (Körper) sind ein beängstigendes Symptom! Das äußere Bild verschleiert nämlich nur eine weit gediehene innere Krise eines schon weit fortgeschrittenen Substanzverlustes. Als Leiter der 1963 begonnenen Stadtbauaufnahmen-Aktion hat der Verfasser zusammen mit seinen Assistenten und mehreren hundert Stu dierenden der Technischen Hochschule Wien nicht nur die Fassaden der Häuser in fast hundert Städten Österreichs aus gemessen und fotografiert, sondern auch die gesamte innere Struktur und den Bauzustand genau untersucht. Die innere Durchleuchtung war höchst aufschluß reich, die Diagnose eindeutig, und die Therapie konnte in manchen Fällen nur lauten: Eine öperation lohnt sich nicht mehr! Selbst wenn man radikal operie ren wollte, würden sich nach der öpera tion neue Metastasen bilden — ein hoff nungsloses Unternehmen. Aus diesem Grunde hat sich in den letz ten Jahren — von den Denkmalämtern toleriert — eine neue Therapie entwickelt: Die Fassaden erhalten, die Innere Sub stanz total auskernen und durch einen Neubau ersetzen: Im Grunde genom men kein Kompromiß, sondern eine Be wußtseinsspaltung. Doch was soll man sonst tun! Neubauten in den bekannten Rasterfassaden errichten, die sich denk bar schlecht in das Stadtbild einfügen?

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