Oberösterreich, 25. Jahrgang, Heft 3, 1975

Lebendiger Krippenbrauch im Saizkammergut Elfriede Prillinger Im ehemaligen Templum Sacrae Urbis auf dem Forum in Rom — schon seit dem sechsten Jahrhundert als katholi sche Kirche den heiligen Ärzten Cosmas und Damianus geweiht — ist eine neapo litanische Krippe, die größte und eindrucksvoilste der Stadt, aufgebaut. Man betrachtet sie mit größtem Vergnügen und fühlt sich als Oberösterreicher bei ihr nahezu daheim. Denn sie könnte genauso gut wie in der Ewigen Stadt in Ebensee stehen — so sehr hat auch in ihr das Leben des einfachen Voikes seinen natürlichen Bezug zu den heiligen Mysterien einer übernatürlichen Geburt gefunden. An der Krippe in dieser römi schen Kirche mit so großer Vergangen heit werden aber auch jene geistigen Wurzeln greifbar, die in kaum mehr erin nerbarer Verflechtung die kultischen Vorsteliungen der Menschheit im Laufe von Jahrtausenden gebildet haben. Urerlnnerungen und Urängste wurden von Gene ration auf Generation vererbt, bis sie schließlich Eingang fanden in der gleich universalen wie unvorstellbaren christli chen Erhöhung des Menschen zur gei stigen Freiheit, weiche sich in der iapidaren Botschaft an einfache Hirten er eignete: Friede den Menschen, die guten Wiliens sind. Guter Wilie — als Wille zur Gemeinschaft, als Wille zur Überwindung persönlicher Egoismen und habgierigen Eigensinns —, das soll ab diesem Zeit punkt Erlösung sein. Was entspräche solchem guten Willen besser als die Ehrfurcht vor dem Über irdischen. Seit erdenklichen Zeiten ge schah diese Hinwendung an die außer menschlichen Mächte in den verschieden sten Formen und Zeichen. Und wenn sich auch der Ausdruck der kultischen Feiern ständig wandelte, das Wesen jeder der artigen Überlieferung blieb doch immer dasseibe: der Versuch einer Verbindung mit dem Kosmos. Und weil eine solche Verbindung über jedes Begreifen geht, vermochte sie sich stets nur in Metaphern zu äußern: in geheiligten Bräuchen mit tiefreichender Bedeutung. Die Zeit der mittwinterlichen Sonnen wende muß für die Menschheit der Gebirgsländer von Anbeginn an eine ein schneidende Erfahrung gewesen sein, denn eine Fülle kultischer Bräuche, die der Vertreibung der finsteren Mächte und der Anrufung des Lichtes dienten, ent sprangen der Angst vor dem Schwinden des Sonnenlichts. Aus gleicher Urangst entwickelte sich in Rom das Fest des Sol Invictus — der Geburt der unbesieglichen Sonne; die gleiche Überwindung der Dunkeiheit liegt im christlichen Be reich als Kind in der Krippe. Diese Krippe selbst ist nun das letzte Bild in einer langen Kette menschlicher Versuche, ein Bindegiied zwischen sich und dem Über irdischen zu finden. Aber sie ist beson ders im Salzkammergut noch Immer ein gebettet in die frommen Zeichen aus iängst überlebter vorchristlicher Zeit. Und es ergibt sich, daß das alies ganz gut zusammenpaßt: das Heidnische aus äitester Zeit und die christliche Überiieferung. Denn es ist alles am selben Stamm gewachsen. Zwar finden wir die Zeichen der Bräuche im zwanzigsten Jahrhundert oft nur mehr in spärlichen und unbewußten Anklängen. Aber schon, wenn wir nur ein wenig und ganz vorsichtig den Vorhang einer vor dergründigen ästhetischen Erscheinung aufheben, kommen die Mittwinterbräuche unserer Vorfahren wieder ans Licht. Der Schmuck des Hauses mit den weihnacht lichen Zweigen aus Efeu, Kirsche, Hasel, Mistel, Eibe, Tanne und Schradl ist nicht nur Dekoration, sondern heute noch un bewußter Antrieb, uns durch die uralte Bedeutung dieser Zweige zu schützen und gegenüber den Mächten des Alis zu deklarieren (nach Franz Lipp). Ahnlich ist es mit den Gebäcken der weihnachtlichen Festzeit, die einfach ,,dazugehören". Wozu? Wir können darauf kaum mehr Antwort geben; denn es waren die Men schen der Vorzeit, die instinktiv und direkt die Anstöße der Natur erlebten; sie prägten die Zeichen, die wir noch heute in der feiertäglichen Küche gebrau chen: den Kreis, den Stern, die Brezel form des kleinen Backwerks. Ehemals waren sie Rauhnachtsgebäcke mit beson derer Lebenskraft — heute erfreuen sie uns wohl nur mehr aus formalen Grün den. Was aber fasziniert: diese kleinen Formen sind noch vorhanden, sie sind noch immer in unserem instinktiven Gefühi verankert. Genauso ist es mit dem geflochtenen Zopf aus Milchbrotteig oder mit dem Störilaib und dem Kletzenbrot - sie wurden ursprünglich aus den letzten Früchten der Erde gebacken und sollten daher die Kraft des Überlebens erwirken — genauso wie der Lebkuchen, der aus dem Honig und den Gewürzen magische Kräfte vermitteln sollte (s. Ernst Burgstaller). Wenn wir heute für die weih nachtlichen Feiertage Vorräte backen —, weil ,,etwas da sein muß" für unvorher gesehene Besucher —, wissen wir gar nicht mehr, daß in diesem Gedanken der Wunsch unserer weitentfernten Ahnen wieder heraufsteigt, die Percht mit ihren Kindern oder die Wilde Jagd gnädig zu stimmen. Denn wenn die himmlischen Mächte an den erdgewachsenen Speisen der Menschen teilnehmen, dann ereignet sich bereits in der uralten heidnischen Vorstellung eine absolute Communlo mit dem All, in der das Böse seine zerstöre rische Kraft verliert. Die Krippe ist die direkte Fortführung solcher kultischer Wünsche und Gedan ken. Auch sie ist — zumindest als Gleich nis — nicht erst in unserer Zeitrechnung erschienen. ,,Das Wachsen des Christen tums hat sich weder im Raum- noch im Zeitlosen vollzogen ..." (nach Otfried Kastner), seine Wurzeln liegen in den Anfängen der Menschheit. Bereits die Antike kennt die Krippe (Korb oder Futterbehälter) als Stätte des Geheimnis ses und sie weiß auch um die mystische Geburt. Schon damals legten die Men schen ihre Hoffnung in dieses Bild. Vielleicht war gerade der Mensch des Salzkammergutes solchen Geheimnissen und Hoffnungen besonders verbunden - denn ihm ist seit Jahrhunderten die Krippe das große Spiel der weihnacht lichen Zeit. Wenn die Gegenreformation im siebzehnten Jahrhundert eine solche Entwicklung bewußt begünstigte, dann wohl nur vom Äußerlichen her — der Anstoß traf sicher eine bereits lang vor handene Bereltschaft. Jedenfalls hat sich seither die Krippe als eine Art weihnacht licher Hausaltar entwickelt, der noch heute mit liebevoller Hingabe betreut wird. Es mögen in manchen Häusern an die vierhundert Figuren, Häuser, Bäume und Tiere sein, die, während des Sommers sorgsam verpackt, darauf warten, daß der Dezember kommt. Da wird dann wie jedes Jahr die große Schlafstube aus geräumt, um auf einer Fläche von sechs, acht oder gar zehn und mehr Quadrat metern wieder jener großen vieifältigen und doch so familiär-heimlichen Welt Platz zu machen, in der man das eigene kleine Sein samt allen Mühen und Not wendigkeiten, mit allen Nebensächlich keiten und der ganzen geliebten heimatiichen Landschaft einem übernatürlichen Geschehnis gegenüberstellt. Dabei kann es durchaus geschehen, daß sich einiges ein wenig vermischt — wodurch das himmlische Jerusaiem etwas mensch licher, nämlich ebenseerisch oder ischlerisch wird, während die Alm mit den Lämmern und Kühen und das Bauern-

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2