Oberösterreich, 25. Jahrgang, Heft 3, 1975

Das Innviertel als bairische Landschaft Benno Hubensteiner Das erste Mal ins innviertel gekommen bin ich gieich nach dem sogenannten „Anschiuß" — im 38er Jahr. Auf einem Schulausflug, und natürlich nach Braunau am Inn. Den Hauptbesichtigungspunkt mußte dabei ein Wirtshaus abgeben, draußen in der Salzburger Vorstadt, die Front voller Fahnen und Girlanden. „Das Geburtshaus des Führers", hieß es. Frei lich, das eigentiiche Geburtszimmer war eng und noch dazu verstelit durch eine Bronzebüste und die üblichen Lorbeer bäume. Es gingen immer nur sechs Buben hinein. Die anderen standen war tend in der dicken Sonne und neigten zu Aufsässigkeit und Drängeiei. Es war eine Situation, die unsere Lehrer mit guten Worten allein nicht mehr glaubten steuern zu können. Aber ob das nicht bioß ein Spuk gewesen ist, diese Begegnung von Braunau 1938? Ein Dutzend Jahre später, als wir mit einem alten Autoveteranen ein zweites Mal über die Grenze kamen, ließen wir die Stadt einfach liegen und fuhren hin ein in ein gewaltiges, schier unermeßiiches Bauernland. Überall leere Sonntagsstraßen, Sandstra ßen, mit verblühenden Apfelbäumen an den Rändern. Die Mattig zog sanft dahin, immer unter silbergrauen Erlen. Dazu rauschte ein so gewaltiger Regen nieder, daß die Wälder rauchten und die Wiesen nur so strotzten vor Grün. In Ried, in der dämmrigen Nebenkapelle der Pfarr kirche, standen wir vor dem SchanthalerÖlberg, und in Reichersberg, ais wir über den weiten Stiftshof gingen, steckte der Himmel für einen Augenbiick die weiß blaue Fahne auf. Abends dann, im Be hagen eines Schärdinger Gasthofes und beim Wachauer Wein, stieg uns die erste Ahnung auf von einer großen, fast unbe kannten bairischen Landschaft, die eben das ,,Innviertel" heißt. Bis ich 1956 als junger Dozent nach Passau zog, und die Ahnung zur Gewiß heit wurde. Die Hügel, Äcker, Wiesen; die Wirtshäuser, Klöster, Kirchen — sie lagen auf einmal vor der Haustür. An fernen Horizonten aber blauten die gro ßen Wäider, wo einst die Räuber gehaust hatten, der ,,Bruder Biankes" oder der „Druckerfranzi". In Zwickledt bei Wernstein flössen Alfred Kubin die geheim nisvollsten Bilder in seine Zeichenfeder, und mitunter ging noch ein echter, großer Dichter durch das Land. Er hieß Richard Billinger. Keine Spur von „Blut und Bo den", sondern das Äußerste an Exzentrik, und dazu der ganze deutsche Ex pressionismus von 1923: Die Au, die grüne Au, die Weiden, wiidumgangen, der Himmel, siegesblau, wo Schloß und Klöster prangen! Der Inn, der grüne Inn kommt aus Bergestälern. Durch meine Adern rinn' sein Zorn, den Dämme schmälern! Der Inn, der grüne Inn fließt durch die Heimataue. Sein Herz ich mir gewinn', wann seiner Wog'ich traue. Selbstverständlich gehört das Innviertel heute zum Land Oberösterreich. Aber die Grenze an Inn und Salzach ist nicht alt. Daß Flüsse trennen, meinen ja höch stens Generäle, Diplomaten, Zöllner, Kar tenzeichner und Obergeometer. In Wirk lichkeit verbinden die Flüsse das Hüben und das Drüben, und unser altes Kur bayern hat sich mit seinen Konfinien erst im weiten Bogen von Sauwaid, Haus ruckbergen und Kobernaußer Wald fest gefahren. Bis 1777 mit Max Iii. Josef die altbayerische Linie des Hauses Wit telsbach erlosch und Kaiser Josef II. dem neuen Kurfürsten in München mit massiven Erbansprüchen und Tauschplä nen beizukommen suchte. So massiv, daß die europäischen Kabinette in Be wegung gerieten und ringsum die Armeen aufmarschierten. Erst 1779, im Frühjahr, kam es zum Friedensschluß von Teschen, der den Kaiser mit dem bayerischen Land hinter Inn und Salzach entschädigte — immerhin 38 Quadrat meilen und 80.000 Seelen. Und war das Ganze bisher ein Stück des alten Rent amtes Burghausen gewesen, so kam jetzt, mit der oberösterreichischen Lan deseinteilung, der neue Name ,,innvier tel" auf. Natürlich holten sich die Bayern anno Napoieon das Land wieder zurück, und nun wurde die Montgelas-Bezeichnung ,,innkreis" amtiich, die bis heute am damaligen Markt Ried hängengeblieben ist. In Ried, wo am 11. September 1811 als Sohn eines königlichen Landrichters Ludwig Freiherr von der Pfordten ge boren wurde, der bayerische Minister präsident von 1866... Auf dem Wiener Kongreß haben sich dann die bayerischen und österreichi schen Diplomaten um das Innviertel und das Land Salzburg eine erbitterte Schlacht geliefert. Definitiv abgetreten wurde erst mit dem Münchener Vertrag vom 14. April 1816 — nachdem Feldmarschalleutnant Baron Bianchi bereits mit einem ganzen Korps zwischen Atter see und Donau aufmarschiert war. Man muß diese alten Geschichten ken nen, damit einem klar wird, warum und wieso das Innviertel Zug um Zug das Gegenstück ist und das Spiegelbild zum niederbayerischen Rottal. Der Innviertier Vierseithof — Haus, Stall, Stadel, Schupfe zum Rechteck zusam mengeschlossen! — reicht bis in die Ge gend von Mühldorf hinauf. Der Unter landler Dialekt aber zieht sich, wenn auch mit vielen Brechungen, von Lands hut bis herüber nach Ried. Und ge rade aus Groß-Piesenham bei Ried ist unserer gemeinsamen altbayerischen Mundart im 19. Jahrhundert ein echter Klassiker erwachsen: Franz Stelzhamer. Man muß Stelzhamer lesen, laut lesen, um zu hören, wie dieser Dialekt in den hundert Jahren seit Stelzhamers Tod ab geflacht ist und sich verhochdeutscht hat, hüben und drüben. Die eigene Verwal tung der Gemeinden seit 1870 sei daran schuld und die Schulschreibe, hat ein germanistischer Fachmann 1942 gemeint, dazu die allgemeine Wehrpflicht, die Eisenbahn und das Zeitunglesen. Nun, wir müßten heute sagen, auch der Film, der Funk, das Fernsehen, das Autofah ren und das Fliegen, überhaupt das Zu sammenrücken und Kleinerwerden dieser unserer Welt. Vielleicht ist der Tischlermeister, Geigen bauer, Musikant, Dialektdichter und Dia lektrezitator Hans Schatzdorfer, gestor ben 1969 am Heiligen Abend, der letzte gewesen, der den Innviertier StelzhamerTon noch voll beherrscht hat, im eigenen Gedicht wie am Vortragspult in Schär ding oder in Linz. Ein seltenes Original, dieser Hans Schatzdorfer, im selben Groß-Piesenham geboren wie Stelzhamer — nur daß es ihn nicht in die Ferne trieb, sondern daß er in der kleinen Heimat sitzen blieb. Sogar den österreichischen Professoren titel mußte man ihm von Wien hinaus schicken aufs Dorf. Wir sind im frühen Jahr nach GroßPiesenham gefahren, über Lohnsburg herüber und über Pramet, hinein in den Winkel, den der Kobernaußer Wald und der Hausruck hier machen. Das Dorf selber liegt dann in einer Senke ver steckt, und zunächst sieht man nur lauter Apfel- und Zwetschkenbäume. Uberhaupt fehlen die großen Vierseithöfe, und den Ton geben die kleinen, wettergebräun ten Häusel an. Gerade noch. Denn schon hat sich da oder dort ein Neubau dazwischengeschoben. Natürlich 08/15. Ein

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