Oberösterreich, 25. Jahrgang, Heft 3, 1975

Inhaltsverzeichnis Dr. Franz Carl Lipp Oberösterreichs Volkskultur zwischen Brauchtumspflege und Folklorismus Dr. Franz Grieshofer An Punkt ha i g'schoss'n, da Bölier hat kracht — Schützentradition im Salzkammergut 11 Dr. Benno Hubensteiner Das Innviertel als bairische Landschaft 19 Elfriede Prillinger Lebendiger Krippenbrauch Im Salzkammergut 25 Denkmaipflege Eva Kourek — Vitus Ecker Denkmalpflege im Bezirk Rohrbach 35 Landeskunde Rudolf Walter Litschei Der Klingenschmied Ferdinand Ridler — Porträt eines Oberösterreichers 41 Historische Kunst Sepp Waiiner E. T. Oompton In Hinterstoder — Die Beziehungen des großen Alpenmalers zu Oberösterreich 47 Volksbildung Dr. Rudolf Fochler „Lieder im Leben der Leute" — Ein Versuch zur Erfassung des Liedbestandes der Gegenwart 51 Wirtschaft und Brauchtum Dr. Helene Grünn Der Arbeiter im Strukturwandel 57 Kulturelle Termine 63 Bücherecke 64 Umschlagbild: Die Wiener Burgschauspielerin Mathilde Wiidauer, nach einer Lithographie von J. Kriehuber, 1849, in Ischler Tracht (Leihgabe Dr. Franz 0. Lipp). M. Wildauer mußte die Rolle der „Mandl" im „Versprechen hinterm Herd" wieder holt vor Kaiser Franz Joseph in dessen Ischler Sommertheater spielen. Die Dar stellung von Kriehuber ist eine der ältesten Dokumentationen des berühmten rosa Ischler Dirndls, das als ,,Stamm mutter" aller späteren österreichischen Dirndltrachten und in mehrfacher Hin sicht auch des ,,Austrian look" gelten kann.

Kulturzeitschrift Kulturzeitschrift Oberösterreich 25. Jahrgang, Heft 3/1975 Vierteljahreszeitschrift: Kunst, Geschichte, Landschaft, Wirtschaft, Fremdenverkehr Erscheinungstermine: März, Juni, September, Dezember Eigentümer, Herausgeber und Verieger: Oberösterreichischer Landesveriag; Redakteur: Dr. Otto Wutzel; verantwortiich für den Inhalt im Sinne des Pressegesetzes: Dr. Elfriede Wutzel; Grafische Gestaltung: Herbert Friedl; Druck: Oö. Landesveriag Linz; sämtliche 4020 Linz, Landstraße 41, Ruf {0 72 22) 78 1 21. Jahresabonnement (4 Hefte): S 148.— ; Einzelverkaufspreis:S 45.—. (Aiie Preise inkl.8 "/o MWSt.)

Oberösterreichs Voikskuitur zwischen Brauchtumspfiege und Foikiorismus Franz Carl Lipp Volkskultur — Brauchtumspflege — Fol klorismus: um sicher zu sein, richtig verstanden zu werden, seien einige Bil der, Begebenheiten und Erfahrungen der letzten Jahre dieser zeitgenössischen Be trachtung vorangestellt. Zum ersten: echte Volkskultur. Ich möchte sie an drei Beispielen auf zeigen. Zwei Partner, es müssen nicht unbedingt Bauern sein, sondern können aus allen anderen Schichten der Bevölkerung kom men, werden über einen Rechtsfall oder einen Kaufabschluß mündlich einig. Sie besiegeln ihre Vereinbarung mit einem Handschlag. Das ist ältestes Rechts brauchtum, niemand denkt sich etwas dabei, keine Satzung schreibt diese Geste vor, es ist einfach ,,so der Brauch". Würde man es nicht tun, empfände man es als Unhöfllchkeit oder Mangel ebenso wie einen nicht erwiderten Gruß, eine ver sagte Teilnahme am Begräbnis des Nach barn oder Freundes oder die unbegrün dete Ablehnung des „Beistandes" bei Hochzeit oder Taufe. Dieses Beispiel ist beinahe europäisch-allgemein, obwohl es auch da sehr wohl gegendweise Sonder ausprägungen geben kann. Ein anderer mehr oder weniger allge meiner Brauch, der noch fleißig ohne ,,Anleitung" geübt wird, ist das Auf stecken des Firstbäumchens bei voll endeter Dach- oder Firstgleiche. Indu striearbeiter der VÖEST-Alpine pflegen ihn ebenso wie Zimmerleute aus dem Hausruck- und Innviertel, die zusätzlich noch — ebenfalls als durchaus wild wachsendes Herkommen — den Brauch des Firstbaumstehlens, der Firstbaum versteigerung, des Ausbringens von ,,Richtsprüchen" und dgl. kennen und üben. Das waren Beispiele aus dem ein fachen Sozialverhalten und dem Arbeits leben. Das dritte Beispiel könnte ebenso aus dem Trachtenleben — eine Großmutter im Salzkammergut strickt ihrem Enkel kind grüne, gemodelte Strümpfe, ein jun ger Förster bestellt dort beim Lederhosenmacher eine ,,siebennahtlge" schwarze Lederhose —, wie aus dem weiten Feld des religiösen oder des profanen Brauchtums, der Volksmusik und des Volksliedes gebracht werden. Das ,,Einiblasen" des Brautpaares in die Kirche und das „Heimblasen nach dem Mahl", die Palmprozessionen in fast allen Orten des Landes mit von Pfarre zu Pfarre anders gebundenen Buschen, die mannigfachen Arten von Fronleichnams bräuchen, wobei das Einflechten des .. Auf den größten „Palm" ist man auch im Innviertel stolz! Das Brauchtum des Palmsonntags hat sich in Oberösterreich überall noch lebendig erhalten (Leihklischee aus: Rudolf Fochler: Von Neujahr bis Silvester, erschienen Im Oö. Landesverlag).

„Kranzeis" In das Fensterkreuz oder das Aufhängen am Türstock oder unter dem Dach noch fast „gedankenlos" überall geübt wird. Diese Beispiele mögen zur Illustration dessen dienen, was unter unreflektiertem, ohne Selbstbesplegelung, ohne gedruckte Vorschrift und ohne den fast zwingenden Bezug auf Publi kum, Fotodokumentation und Presse und ohne Übertragung in Rundfunk und Fern sehen ausgeübtem Volksbrauch zu ver stehen ist. Damit ist aber auch schon angedeutet, was heute bereits weltweit — d. h. auch in unserem Lande ob der Enns — unter ,,Volks- und Brauchtum" verstanden wird. Man hat dafür auch die passende Bezeichnung zur Hand, die dem eng lischen Sprachgebrauch entlehnt Ist: Folklore (In diesem Fall deutsch aus gesprochen). Das Phänomen dieser gan zen Scheinwelt der Folklore Ist unter dem Begriff „Folklorismus" bekannt. Über den Folklorismus Ist viel diskutiert und gesprochen worden', besonders seit seine Auswüchse sich immer mehr in den Vordergrund und das echte, d. h. unreflektierte, unbeeinflußte, einfach über lieferte Brauchtum zurückdrängten. Fol klore, von W.ü. Thoms 1846 In die Wissenschaftssprache eingeführt, be zeichnete an sich etwas völlig Harmloses, nämlich das Volkswissen (Volksweisheit in Sprichwörtern und Redewendungen). Später rechnete man auch noch die Volks erzählung, Sage und Märchen dazu. Erst die kritiklose Gegenwart übertrug den Begriff ,,Folklore" von der geistigen Überlieferungswelt — dem selbstverständ lich das Brauchtum und das weite Feld der Volksmusik und des Volkstanzes zuzurechnen sind — auch auf die der Sachgüter wie Tracht, Haus, Volkskunst — um nur einiges davon zu nennen. Das Jahr ist nicht genau nachweisbar, seit dem es auf einmal neben dem bisher unbeachteten, einzig für sich selbst und seine eingeborene Gesellschaft dahin lebenden Volkstum eine von Fremden beachtete, beobachtete, ja gesuchte Fol klore gab. Es mögen, besonders in An wendung auf die Naturvölker in ihren überseeischen Kolonien, Briten gewesen sein, die der Sache des Folklorismus den Weg bereiteten. Erst als das ,,Volk" zum Gegenstand und Objekt der For schung und Wissenschaft wurde, als es interessant zu werden begann und — das ist der ,,springende Punkt" — als das „Volk" sich seiner selbst bewußt und aus einem von Überlieferung Getragenen, manchmal Ergriffenen, ja Besessenen zu einem Schauspieler wurde, der nicht mehr für seine Gruppe allein (im Keim ist dieses Schauspielmäßige manchen Brauchtums von der Sache selbst her natürlich da), sondern auch für das breite Publikum der Zuschauer und Zuhörer und das Heer der Fotografen solcher Schaubräuche agierte. Die überaus komplexe Natur des Men schen mit seinen mindestens zwei Seelen in der Brust reagierte auf die neue Situation des Entdecktseins ebenso viel fältig wie verschieden. Es kam gegend weise zur Abkapselung, das Volkstum ging ins Ghetto. Manche Bräuche, deren man sich bisweilen zu schämen begann, wurden nicht mehr oder nur mehr im Verborgenen ausgeübt. Im großen und ganzen entschied sich aber gerade der darstellungsfreudige bajuwarische Öster reicher (aber nicht nur dieser) zu zwei Reaktionen: erstens, sich gerne und mit Humor „entdecken" zu lassen und zwei tens, sich die Lust an der Folklore nicht nur etwas kosten,sondern auch bezahlen zu lassen. Besonders die letztgenannte Spielart brachte den „Folklorlsmus", wie die Volkskunde — neuerdings auf manchen deutschen üniversitäten ,,Ethnosoziologie", ,,Kulturanthropologie" oder „euro päische Ethnologie" genannt — diese „zweite Welt" der Volkskultur, die „Volkskultur aus zweiter Hand" (damit ist das bereits Sekundäre ausgedrückt) bezeichnet, in Verruf. Seit die Manager des Fremdenverkehrs Folklore als Haupt zugnummer ihrer Vergnügungspro gramme entdeckt haben, scheinen die letzten Tabus der interessant gewor denen „Volks-Menschen" gefallen zu sein. In Oberösterreich, um bei dem Bei spiel zu bleiben, begann diese Entwick lung bereits vor dem ersten Weltkrieg mit den ,,Original Ober- bzw. ünterinnviertlern", herumreisenden ünterhaltungsgruppen, die ihr Gegenstück in den Zillertaler oder Tiroler,,Nationalsängern" hatten. Der reflektorische Zug des Fol klorismus verband sich bald mit den restaurativen. In der Romantik wurzeln den Bemühungen um „Erhaltung und Wiederbelebung" des alten Brauchtums. Musterbeispiel für diese Spielart sind die in den achtziger Jahren des 19. Jahr hunderts in Oberbayern gegründeten Trachtenvereine, deren Modell sehr rasch auch auf Österreich ausgedehnt und zu nächst bis auf Einzelheiten des Regle ments der oberbayrischen Trachten und Tänze (Schuhplattler) übernommen wurde. Es hat einer umfassenden und schwierigen Bildungsarbelt bedurft, um die österreichischen, natürlich auch ober österreichischen Trachtenvereine von diesem oberbayrischen Modell zu lösen und ihnen ein heimisch-überliefertes zu grundezulegen. Selbstverständlich be dient sich das Management des Fremden verkehrs mit Vorliebe des vereinsmäßig organisierten und daher ,,greifbaren" Brauchtums, um die vom Publikum ge wünschten Programme zu gestalten. Was da — nicht nur von Vereinen, sondern häufig auch von Folklore-Profis — ge boten wird, reicht vom schlichten, an spruchslos gestalteten ,,Heimat-Abend" über den ,,Tyroler-Abend" (der auch z. B. in Oberösterreich stattfinden kann) über die Miß-,,Dirndl"-Wahlen bis zu erfun denen Bräuchen wie „Sautrog-Regatta", inszenierten Bauernhochzeiten und Rekordleistungen wie das längste Alp horn, die größte Kuhglocke, den dichte sten Gamsbart, um von der stärksten Lei stung im Vertilgen von Knödeln oder in der „Löschung" der größten Anzahl von Maß Bier, von Preisjodeln, Preisrangeln, Wettfensterln usw. ganz zu schweigen. Diese Erscheinungen sind insgesamt wenig erfreulich. Gemeinsam ist ihnen mit dem ursprünglichen, gewachsenen und somit wirklich echten Volkstum höch stens nur mehr der allgemein mensch liche Drang zum Superlativ, der sich ja bisweilen, jedoch eher selten, auch dort geltend machen kann. Es verfälscht das wahre Bild des arbeitenden, mehr nach Innen gekehrten und durchaus nicht immer zu „Hetz" und ,,Gaudi" aufge legten Volkes vollständig, wenn immer nur der Aspekt selbstgefälliger Markt schreierei und peinlicher Selbstentblö ßung herausgestellt wird. Leider sind, es kann nicht verschwiegen werden, manche unserer bundesdeutschen Gäste in dieser Hinsicht gerne ansprechbar. Sie kommen ja, vorbereitet durch entspre chende Werbeschriften, bereits in der ,,Rollenerwartung" eines ewig fensterlnden und schuhplattelnden biederen Alpenvolkes, wie es das Weiße-RößlKlischee In alle Welt hinausposaunt hat, besonders zu den Glesekes von Berlin und Düsseldorf. Auf derselben Linie der in zahlreichen Varianten nachgespielten oder vorge gaukelten Operettenscheinwelt unserer geschäftstüchtigen Folkorlsten liegt der in den Souvenirläden als Volkskunst an gebotene Andenkenkitsch, den breit zu schildern wohl überflüssig sein dürfte.

i % Maibäumchen auf einem Donauschlepper am ersten Mai (Leihkiischee aus: Rudolf Fochler: Von Neujahr bis Silvester, erschienen im Oö. Landesverlag). Unten: Altes, echtes Hochzeitsbrauchtum aus Geisern — die Hochzeitsgäste bei der Gratulation an das Brautpaar, beim sogenannten ,,Weisen". Foto: W. Fettinger fi Aus der Fülle des Brauchtums im November ein Biidbeispiel: das ,,Woifablassen" am Martinitag, ein noch erhaltener Hirtenbrauch in Klaffer im oberen Mühlviertei (Leihklischee aus: Rudolf Fochler: Von Neujahr bis Silvester, erschienen im Oö. Landesverlag)

Goiserer Hochzeitspaar in alter Tracht beim traditionellen Brauttanz. Foto: W.Fettinger .kysi/-- r

Hier hat sich seit dem Ende des 19. Jahr hunderts qualitativ kaum etwas geändert, nur daß die Streuung eine wesentlich größere, der Bedarf ein nahezu unstill barer und der ,,Einfallsreichtum" geradezu erschütternd ist. Auch scheut man sich heutzutage keineswegs mehr, „billige" südosteuropäische oder gar ostasiatische Erzeugnisse als ,,made In Austria" anzubieten, d. h. schon die in ländischen Importfirmen sind dazu über gegangen, ,,echte österreichische Volks kunst" in Japan erzeugen zu lassen. Gibt es einen Weg aus diesem Teufels kreis, in dem die Wirtschaft ein so ge wichtiges Wort mitzureden hat oder ist es von vornherein aussichtslos, den Kampf gegen diese Verlogenheit aufzu nehmen? Mit der Tatsache der „zweiten Welt" der Volkskultur muß man sich abfinden. Wir müssen, ob wir wollen oder nicht, mit dem Folklorismus leben. Die permanente Aufklärung, erleichtert durch Rundfunk, und Fernsehen (dieses hat die letzten Bastionen überwunden), hat in Europa den letzten Schleier vor der Unschuld einer ihrer selbst noch nicht bewußten Volkskultur weggezogen. Diesen zwangs läufigen historischen Vorgang zu be dauern, ist ebenso unfruchtbar wie sinn los und, auch von der Sache selbst her gesehen, nicht einmal berechtigt. Neuere Forschungen haben den Doppelcharakter volkskulturellen Geschehens, dem auch ein starker Zug zur bewußten Darstel lung, ja zur Selbstdarstellung innewohnt, erkannt. Ein „gesundes", d. h. strukturell und mengenmäßig gegenüber den Fremd einflüssen ausgewogenes Volkstum (ein -ff ■ i'' ^ f - Links: Der,,Schafsuchertag" auf der Hütteneckalm bei Geisern am letzten Samstag im September jeden Jahres — das innere Saizkammergut ist noch eine Landschaft echten lebendigen Brauchtums. Foto: Dr. W. Maresch Rechts: Ursprüngliche Gestaitungsfreude im häuslichen Bereich in der Bad Ischler Krippenlandschaft der Ortschaft Perneck. Foto: H. G. Prillinger

gutes Beispiel ist das innere Saizkammergut, besonders das Ausseerland) kann noch genügend viel Selbstbew/ußtsein entwickein, um sich in seiner Eigenart gegenüber der Alierweitszivilisation zu behaupten. In diesem Akt der Selbstbehauptung durchdringen sich je doch bereits die gesunden primären An lagen des Volkscharakters mit den sekundären Strebungen zu Assimilation und dem durchaus legitimen Bemühen, einen Ausgleich zwischen Überiieferungsweit und modernem Tagesbedarf zu fin den. Das Beispiel Ausseerland, begün stigt durch eine Summe glücklicher Ver hältnisse, die mit den Stichworten ,,Vorbiidgebung" und wirklicher ,,Voiks-Biidung" umschrieben werden können, be weist, daß es grundsätzlich möglich ist, einen Ausgleich zu finden. Auch in Ober bayern gibt es einzelne Zentren, die wenigstens für ihre familiär erfaßbaren Gemeinschaften — Beispiel: Berchtes gadener Weihnachtsschützen, welters noch die gewachsenen Bauernschaften im Chiemseer-, Tegernseer-, Ammer gauer- und Aligäuer-Raum - den Be weis der Möglichkeit voikskuiturelien Le bens in diesem Jahrhundert erbracht ha ben. Es ist aber gar nicht notwendig, ins „Ausland" zu gehen. Die Steiermark und das Land Salzburg, Kärnten, teilweise auch das Land Tirol, Vorarlberg, ja mit einigem Abstand sogar das „Land um Wien" liefern gegenwärtig noch viele und schöne Beweise eines nicht entarteten, eines keineswegs prostituierten, gewach senen und gleichzeitig gepflegten Voikstums. Damit ist das Stichwort für diese dritte, für die erstrebenswerte Möglichkeit gegenwärtiger Voikskultur erneut gefal len. Worin kann solche „Pflege" beste hen? Erstens Im Erkennen und Wissen um das eigentlich Echte. Es ist Sache der hiefür zuständigen Volkskunde, der ihrerseits die Aufgabe einer möglichst gestreuten, aber ebenso gezielten Wis sensverbreitung zukommt. Zweitens in der Vermeidung der größten Sünden foikloristischer Entartungen. Der Frem denverkehrsfolklorismus, die um Geld vorgeführte Show erfundener, aber als „original" angepriesener Bräuche muß immer wieder als solcher entlarvt wer den. Drittens, positiv: dem einzelnen Menschen kann das schwierige und heikle Geschäft der Anpassung unzeit gemäß gewordener Formen der Volks kultur an die Gegenwartserfordernisse

f- ] vtVi • '\ "'fc 'I :.,/ \^ * ■ i Wi ^iM Links außen: Ein Musterbeispiei von Trachtenfoikiorismus — daneben iinks innen: erneuerte Mühiviertier Tracht. Rechts: Die Bewegung der Trachten erneuerung, angeregt und geieitet vom Verfasser dieser Abhandiung, Dr. Franz C. Lipp, hat Oberösterreich zu einem ideaien Trachtenland gemacht(im Biid: neue Mühiviertier Tracht). nicht zugemutet werden; dies können nur gewisse Kulturzentren besorgen, in denen verantwortete Wissenschaft und künstlerische Einfühlungsgabe Hand in Hand gehen. Zu diesem Zweck sind z. B. in Österreich eine wissenschaftlich ge lenkte Trachtenerneuerung (die Einklei dung der Musikkapellen folgt denselben Grundsätzen) und die ,,Heimatwerke" ins Leben gerufen worden. Wie sieht es in Oberösterreich aus? Die Anfänge zur Voikstumspflege sind so alt wie die Volkskunde in diesem Lande selbst. Gerade ihr Begründer in Ober österreich, Anton Freiherr von Spaun, übrigens auch der Begründer des ober österreichischen Landesmuseums, hat die „Lieder und Weisen des Salzkammer gutes" nicht aufgezeichnet, um sie im Archiv verschimmein zu lassen, sondern um sie am Leben zu erhalten. Er war es auch, der im großen Linzer Volksfest von 1833 durch eine Art Volkstumsrevue aus allen Vierteln des Landes den gewiß schon damals fälligen Beitrag zum ,,Selbstverständnis" des Volkes von Oberösterreich leistete. Später haben Männer wie Josef Gaisberger, Hugo von Preen, Adalbert Depiny und Hans Gommenda, jeder auf seinem Gebiet und in seiner eigenen Art, zur Lebendig-Erhaitung der oberösterreichischen Volkskuitur beigetragen. Der Akzent lag in diesen Jahren eben stark auf „Erhaltung" und „Wiederbelebung". Es war eine vor nehmlich restaurative Einstellung, die noch manches durch sittliche Verpflich tung der einzelnen Träger und Über lieferer am Leben erhalten zu können glaubte. Die veränderte Situation nach dem zwei ten Weitkrieg machte neue Methoden und Wege der Voikskulturpflege erforder lich. Eine wichtige Voraussetzung bot die Errichtung einer eigenen VolkskundeAbteilung am oberösterreichischen Landesmuseum. Von ihr aus wurde nach skandinavischem und Schweizer Vorbild ein Heimatwerk gegründet und die Trach tenerneuerung auf breiter Basis in die Wege geleitet. Dazu mußten auch die ideologischen und ,,sozio-kultureilen" Voraussetzungen geschaffen werden. Der Verfasser hat sie in seinen beiden Schriften: ,,Angewandte Volkskunde als Wissenschaft", Graz 1949, und „Von Restauration zu Innovation", Linz 1974, zusammengefaßt. Man darf ohne Über treibung sagen, daß manche der neuen Methoden Schule gemacht haben, so die Verbreitung der erneuerten, d. h. neu an die Gegenwartsverhältnisse angepaß ten Trachten durch die sogenannte „Trachtenschau" (von der seit 1950 viele Hunderte im ganzen Lande durchgeführt wurden) oder etwa die Anregung in Tracht zu heiraten und die Bereitsteilung hiefür geeigneter ,,Brauttrachten". Der Anstoß zu dieser heute ganz Osterreich und Süddeutschland erfassenden Bewe gung ging nachweislich von Oberöster reich aus. Eben zur Zeit der Abfassung dieses Be richtes kann auch die Aktion der Ein kleidung oberösterreichischer Blasmusikkapelien in erneuerte Tracht als abge schlossen gelten. An die Stelle von letzt lich dem Militär entlehnten Uniformen vertreten nun Musikkapellen in Tracht ihre jeweiligen Orte und Gemeinschaften. Hand in Hand mit der Pflege der Sach güter: Haus, Wohnung, Tracht, die sich primär das Heimatwerk angelegen sein läßt, ging und geht auch die Volksmusik pflege, die Pflege des Volkstanzes und der Bräuche. Auf diesem Feld hat Ober österreich stets bedeutende Pioniere auf gewiesen. Von jetzt Lebenden mögen die Namen Hans Bachl, Lois Blamberger, Hermann Derschmidt (und Familie), Her mann Edtbauer, Lois Neuper und Ludwig Pasch für die vielen stehen, die mehr im Verborgenen größere Gemeinschaften durch Volkslied, -musik und -tanz zusam menhalten. Die Pflege dieser geistigen Überlieferungsgüter, zu denen natürlich

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auch Volkssprache und Mundart zu stel len sind, hat sich mit zunehmendem Er folg das ,,Institut für Volksbildung und Heimatpflege" (gegr. 1955) angelegen sein lassen. Das lebendige Brauchtum hat Rudolf Fochler in seinem Handbüchleln ,,Von Neujahr bis Silvester, volks tümliche Termine In Oberösterreich" dar gestellt und damit auch den ,,Erwach senenbildnern", aber auch den „einfach Interessierten" ein Handbuch gegenwär tigen Brauchverhaltens in Oberösterreich mitgegeben. Rudolf Fochler meint selbst dazu: ,,Immer wieder scheinen bisher nicht bekannte Bräuche oder zumindest Veranstaltungen auf, aus denen sich ein Brauch entwickeln kann. Aber gerade diese Tatsache beweist, daß unsere Volkskultur nicht tot Ist: sie läßt Über holtes fallen und schafft kontinuierlich Neues. Und dieses Neue dominiert..." Damit kann diese nur In den Grundzügen gestreifte kritische Gegenwartsschau über die Volkskultur In Oberösterreich mit einem Hoffnungsschimmer schließen. Vieles, wenn nicht alles, was In diesem Feld auf Zukunft gerichtet Ist, ist eine Sache der besseren Bildung, um den ein wenig belasteten Begriff der ,,Volksbil dung" zu verallgemeinern. Wenn es z. B. gelingt, eine folklorlstlsche Superlatlv- ,,Gamsbartolymplade" auf einen volks tümlicheren, aber gewiß auch handfesten ,,Gams]aga-Tag"zu reduzieren, wenn der ORF nicht nur nimmt, sondern auch gibt, wie dies bei den gern gesehenen und gehörten Musikantentagen der Fall Ist, wenn heute In Oberösterreich mehr Gold hauben In einem Jahr von Ihren Eigen tümerinnen selbst gestickt werden als vor fünfzig Jahren getragen wurden — die Beispiele ließen sich verdreifachen —, so sind das Zeichen eines verheißungs vollen Gesinnungswandels, der sich jen seits der Schlachten, die der Folklorlsmus an den Zentren des Fremdenver kehrs austrägt, bereits vollzieht. Wir glauben sehr an das „Rettende" Im letzten Augenblick, das sicher auch dem Lande Oberösterreich als einem Land des Maßes und der gesunden Mitte zuteil werden wird. Anmerkungen: 1 Hans Moser, Vom Folklorismus in unserer Zelt, Zeitschrift für Volkskunde, 58. Jg., 1962, S. 177 ff. Ders., Der Folklorismus als Forschungs problem der Volkskunde, Hess. Blätter für Volkskunde, Bd.55, 1964, S.9ff. Hermann Bausinger, Volkskunde. Von der Altertumsforschung zur Kulturanalyse. Darm stadt, o. J., S. 159 ff. Linzer Schutzengell Apotheke

An Punkt han i g'schoss'n, da Böller hat kracht Schützentradition im Saizkammergut Franz Grieshofer Als am Beginn des 19. Jahrhunderts die Städter, beflügelt von der romantischen Idee, auszogen, das Land und seine Leute zu entdecken, gehörte das Salz kammergut mit seiner ,,pittoresken" Landschaft und seiner altartigen Kultur zu den bevorzugtesten Reisezielen. In zahlreichen schriftlichen und bildlichen Dokumenten wurden die Erlebnisse und Eindrücke festgehalten, die heute zu den hervorragendsten Quellen der Volks kunde zählen. So findet man in dem Buch ,,Reisegefährte durch die öster reichische Schweiz" von Johann Steiner 1820 den Hinweis, daß neben den ver schiedenen Volksbräuchen, wie den vier Ständen, den Glöcklern und Sternsän gern, der Faschingshochzeit, den vier Jahreszeiten und dem Schwerttanz, das Schießen auf den privilegierten Schieß stätten oder einmal mit Bewilligung der Obrigkeit auf den Gäuwirtshäusern das vorherrschende Volksspiel sei. Ganz be sonders hebt Johann Steiner aber das „uralte adeliche Bolz- hier Pallesterschießen" hervor. Ohne Zweifel bildet das Schützenwesen und im speziellen das Armbrustschießen mit seinen bunten Bräuchen eine Beson derheit des Salzkammergutes. Trotzdem mutet die Euphorie Johann Steiners einigermaßen verwunderlich an, wenn man bedenkt, daß keine 20 Jahre vorher das Armbrustschießen noch verboten war. ,,Da die kreisämtliche Currenda dd. 12. April d. J. (1802) Nr. 1879 bei Abstel lung der öffentl. Spiele an Sonn- und Feyrtägen vor geendeten nachmittägigen Gottesdienst, daß ist von 4 Uhr Nach mittag in der Gattung der Spiele keinen Unterschied machet, so versteht sich von selbst, daß auch daß EIßschüssen, dann Stahlschüssen, und andere was immer Namen habende öffentliche Spiele unter der Gattung der verbothenen Spiele... begriffen, folglich nicht zu gestatten Seyen." Besonders anschaulich schildert uns der Bericht zweier Landgerichtsdiener beim Pflegamt Wildenstein die damalige Situation. Diese beiden hatten zur Zeit des nachmittägigen Gottesdienstes an Sonn- und Feiertagen die umliegenden Gasthäuser und verdächtigen Orte zu inspizieren. Dabei kamen sie auch zum Huthaus(Forsthaus)des Neef im Weißen bachtal bei Goisern, worüber sie folgen den Bericht erstatteten: ,,Als wir um V24 Uhr nachmittag, wo der Gottesdienst noch kaum beendet war, von den übrigen Orten, wobey sich aber nichts anstößiges zeigte, zu dem Huthaus kamen, da trafen wir mehrere Gäste im Zechen an, worun ter sich der Putz in Wildpfad, Sagschrei ber Pilz in Weißenbach, Pernkopf und der Bergzuseher Deubler befanden. Ge spült haben sie nicht, wohl aber befanden sich ober des Neef Haus in dem Wald, allwo gewöhnlich (!) Stach! geschossen wird, mehrere junge Purschen, welche sich zum Stachelschüssen applizierten und hiezu alles vorrichteten, worunter sogar der Bergmeistersohn Michael Kessler von Ischl war, der vermutlich aus der Ursache dahin gekommen seyn wird, weil sie daselbst ein größeres Best als wie sonst gewohnlich auszuschießen hatten beschlossen. Den 1.9.1802. Joh. Paul Meingassner,Joh. Georg Gruber." Sicher handelt es sich hiebei um einen der sogenannten ,,Winkelschießstände", die bis ins 19. Jahrhundert immer wieder durch strenge Verordnungen verboten wurden. So ergingen in den Jahren 1747 und 1754 an die Gemeinden Erlässe, ,,daß außer denen in gewissen Städten und Märkten erlaubten ordentlichen (= privilegierten) Schießstätten in keinem einschichtigen Haus, noch weni ger aber in denen Bauers-Häusern und Taffernen oder Schank-Häusern einiges Scheiben- oder anderes Schießen ..., weder auch das mindeste Feuer-Schießen in denen Rauchnächten oder bey Pro zessionen, Umgängen und Hochzeiten abgehalten werden dürften." Daß diese Bestimmungen der theresianisch-josefinischen Ära, die leider nichts an Aktualität einbüßten, auch im Salzkammergut zur Anwendung gelangten, geht nicht nur aus dem Verbot einer Winkelschießstätte in Obertraun hervor, sondern auch aus dem Bericht des Salzamtmannes A. V. Riethaler, der im Jahre 1783 das obere Salzkammergut besuchte und fest stellte: ,,Bei meinem letzten Aufenthalt hab ich unliebsam wahrnehmen müssen, daß die unberechtigten und aller Orten durch allerhöchste Generalien abgestell ten Winkelschießstätten zum Teil noch bestehen, auf solchen sogar an Werk tagen polizeiwidrige Zusammenkunft ge halten, geheime Schießen gegeben und hierauf halbe Nächte gezecht und ge lärmt werde..." Er verordnete, daß die bestehenden Winkelschießstätten abzu schaffen seien und jene Leute, die in Zukunft ein Schießen veranstalteten, 24 Reichsthaler zu zahlen hätten. Bis zur Wende zum 19. Jahrhundert wurde streng zwischen den ,,privilegier ten" und den ,,Winkel"-Schießstätten unterschieden. Dem entsprach auch eine strenge soziale Trennung. Denn es war kaum denkbar, daß ein Berg- oder Salinenarbelter Mitglied einer privilegier ten Schießstätte gewesen wäre. In diese Gesellschaften hatten nur Bürger (Salz fertiger) und die Beamten des Salz wesens Zutritt. Ihr Privileg bestand darin, daß sie vom Kaiser einen sogenannten ,,Vortl" zum Ausschießen erhielten. Im Mittelalter bestand dieser ,,Vortl" aus einem feinen Tuch, später aus Geld. Es gehört übrigens zu den Besonderheiten des Schützenbrauchtums im Salzkammer gut, daß die Preisfahnen in Form von bunten Seidentüchern bis in die Gegen wart erhalten blieben. Darüber hinaus ist der ,,Vortl" auch für die Erhellung der Geschichte des Schützenwesens von gro ßer Bedeutung. Die Ansuchen um das Privileg geben nämlich Aufschluß über die Existenz von Schützengesellschaften. So ersucht die Gmundner Schützengesell schaft 1567 Kaiser Maximiiian II, er möge ihnen wiederum den ,,Vortl" gewähren, denn ,,als man vor Jahren bey Eur. Röm. Kay. Mst. Salzwesen zu Gmundten an den Feirtägen mit dem Stachel geschossen, ist den Schützen aus dem Salzambt daselbst, jährlich ein Kaiserlicher be willigter VortI, von Euordern geben wor den." Da aber das Stachel-(= Armbrust-) Schießen abgenommen habe und anstatt dessen das Schießen mit der Büchse in Übung und Brauch gekommen sei, bittet die Gesellschaft, den ,,VortI" auf das Scheibenschießen zu übertragen. ,,Sintemal dann Eur. Röm. Kay. Mst. solche Ritterliche Kunst zubefuedern allergenedigst genaigt, auch bey anndern Stedten VortI geben." Etwa den ,,Püxenschüzen und Schiesfreinth bey fürstl. Gamergut und Salz Sieten zu Aussee", die 1585 an die Gesellschaft von Innerund Vordernberg ein Ladschreiben zu einem ,,freygesöllen Schiessen umb merrer Khurzweill, Nachberschaft und Freindschafft willen" richten. Sehr inter essant ist das Ansuchen der Mondseer Schützen aus dem Jahre 1602, in dem die Beweggründe zur Errichtung einer Gesellschaft angegeben werden. Nicht die defensio, wie man allgemein an nimmt, sondern die ,,ritterliche Kurzweil", die sportliche Unterhaltung, steht dabei im Vordergrund. Außerdem stellen sich die Schützen die Aufgabe, am Festtag des heiiigen Sebastian, den sie zu ihrem Patron wählten, eine Messe zu stiften und an der Fronleichnamsprozession im ,,Schützenröckhl" teilzunehmen. Nach dem Ende der bayrischen Pfandherrschaft im Jahre 1628 erhielten die Gesellschaf ten von Gmunden, Ebensee, Ischl und

St. Wolfgang ihren „VortI" bestätigt bzw. neuerlich verliehen. Halistatt bekam sein Privileg 1620, doch existieren auch hier frühere Nachrichten über eine Gesell schaft. 1665 erteilte Kaiser Leopold I. dem Markt Lauften ,,sammt der Gemaine zu Geisern" die Bewilligung zur Errich tung einer Schießstätte außerhalb des Ortes und gewährte ihnen dazu einen jährlichen ,,Vorti" von 12 Gulden. Im Gedenken daran findet seit dieser Zeit alljährlich um den 15. November das ,,Leopoidi-Schießen" statt, das wegen seiner Urwüchsigkeit seinesgleichen sucht. Lauffen bewahrte nämlich seine „offenen" Scheibenstände und damit die hariekinartigen „Zieler", die mit viel Spaß und Schabernack bei genauer Einhaltung Ihrer Gebärdensprache die Treffer an zeigen. Für die Schützen aus Geisern war es natürlich eine Benachteiligung, nach Lauffen zum Schießen gehen zu müssen. Sie erreichten daher 1696, daß der ,,Vorti" von Lauffen geteilt und eine Hälfte ihnen zugesprochen wurde. Im selben Jahr er hielt auch Gösau einen ,,VortI". Damit findet man am Ende des 17. Jahr hunderts in allen größeren Orten des Salzkammergutes eine privilegierte Schießstätte, die jedoch nur der ,,besseren" Gesellschaft vorbehalten war. So verwahrt sich noch 1820 die privile gierte Schützengesellschaft von Ischl beim Salzoberamt auf das entschie denste, daß eine neue Gesellschaft, die sich „junge Schützen" nennt und außer einem einzigen Bürger - nämlich dem Wirt —, einem Schichtenschreiber und einem Jäger nur aus jungen k. k. Arbei ter-, Handwerker- und Bauernburschen besteht, den „Vorti" für sich reklamiert. Einige Jahre vorher hätten die Burschen kaum gewagt, mit einem derartigen An sinnen an die Obrigkeit heranzutreten. Die kleinbäuerliche Bevölkerung konnte ihrer Schießleidenschaft nur im Verbor genen frönen. Ihre Schießstätten waren meist nur provisorisch, in den entlegen sten Winkeln oder auf schwer zugäng lichen Anhöhen zu finden. Man griff da her auch auf die Armbrust zurück, die übrigens in keiner Weise mit jener des Mittelalters zu vergleichen ist und nur eine Reichweite von 13 Metern hat. Abge sehen davon, daß sie weniger Kosten verursacht, besitzt sie weitere Vorteile, die ein Vierzeiler beredt zum Ausdruck bringt: Stahöschlaßn, alter Brauch, ohne Pulver, ohne Rauch, leiser Druck und leiser Knall, weitum beliabt im ganzen Tal. Man wußte sich eben der Obrigkeit zu entziehen! Umso erstaunlicher ist es, daß in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gerade das Armbrustschießen zur ,,ur alten und adeligen" Rarität emporsteigt. Was war geschehen? Auf der Suche nach dem Besonderen stießen die Reise schriftsteller auf das Armbrustschießen, dem im Salzkammergut auch der Hoch adel seine wohlwollende Aufmerksam keit schenkte. Insbesonders Erzherzog Johann, der oft im Salzkammergut weilte, besuchte gerne die Schießstätten. Am 25. und 26. Juli 1840 gab er aus Anlaß des Namenstages seiner Frau, Anna Piochl, auf der Schießstätte im Ausseer ,,Prater" ein ,,Kugel- und Stahel-Schießen". Auch auf dem ,,Prater" in Ischl, der eigentlich erst durch die Errichtung einer Schießstätte begründet wurde,fand unter erzherzoglichem Protektorat ein Schie ßen statt. Erzherzog Maximilian veran staltete aus Anlaß der Genesung seines Onkels Erzherzog Rudolf, Fürsterz bischof von Olmütz, 1827 ein großes Volksfest, das er selbst durch Kugeiund Boizschießen eröffnete. An dieser Stelle sei auch an die ,,Maximilian-Feste" in Ebenzweier in Altmünster erinnert, bei denen ebenfalls immer Armbrustschützen auftraten. Derartige Feste, auf denen sich das ,,Volk" zu produzieren hatte, stan den damals beim Adel hoch in Mode. Selbst Linz erlebte im Jahre 1833 ein solches Volksfest, worüber Anton Ritter von Spaun berichtet: „Ein heimisches Volksvergnügen, das heute noch nicht erloschen ist und z. B. in Ebensee eifrige Pflege findet, ist das Armbrustschießen. Ein Schießstand war für die ganz jungen Schützen aus dem Salzkammergut ein gerichtet. Knaben von 11 bis 15 Jahren ' ■ : i' -s'-. iß I 'W- i -"A Ä Wi ■ ■ ^ , ..p 1 Historische Bilddarstellung aus Ischler Privat besitz: Erzherzog Franz Carl mit seinen Söhnen, den „Salzprinzen" des Volksmundes, bei einer Schießübung mit dem ,,Baiester". Foto: Verfasser

Ein Fahnibaum mit den „Besten" für die Stachelschützen auf einem der vielen Schieß stände in Bad Geisern, die besonders im Herbst ihre hohe Zeit erleben, wenn zu den ,,Schützenmählern" geladen wird. : % Geschmückter Hut und Armbrust — der Stolz der Stachelschützen im Salzkammergut, die in Schützengesellschaften zusammenleben und liebevoll viele Schießstände erhalten. Fotos: W. Fettinger f»M M und einige Jugendliche schössen hier mit Bogen aus Eschenholz auf 22 Schritte, sie trugen grüne Schamper, schwarz lederne Beinkleider, grüne Strümpfe und Bundschuhe, die Hauptzierde aber, die jeder mit Stolz trug, war der grüne Hut mit Gamsbart, mit Adlers- oder Schild hahnfedern." Ein besonders köstliches Bilddokument kaiserlicher Volksverbundenheit bewahrt eine Ischler Familie auf. Es zeigt die drei ,,Salzprinzen" mit ihrem Vater Erzherzog Franz Carl bei der Schießübung mit dem ,,Baiester". Die „Entdeckung" und An erkennung des Armbrustschießens durch die ,,höchsten Herrschaften" führte dazu, daß sich die Schützen ihrer Handlungen bewußt wurden und deshalb an den alten Schützenbräuchen festhielten. Obwohl das Schützenleben von jeher streng ge regelt war, bewirkte die Traditionspflege, daß sich das Schützenreglement Im Salz kammergut seit dem 17. Jahrhundert kaum veränderte. Nach wie vor beginnt am Ostermontag der Schießbetrieb, dem bis zum ersten Weltkrieg ein feierlicher Schützenauszug mit Trommel und Pfeifen vorausging. Die diesbezügliche Bestim mung enthält eine alte Schützenordnung, die im Heimatmuseum von Goisern auf bewahrt wird: 3tens sollen an dem Tag des angelangt werdenden Kranzlschüssens sämtliche Hr. Schützen mit ihrem vorjährigen zweyen Schützenmeistern In Ordnung einen Auszug In das hiesige Wildensteinische Pflegamt halten, und vor ihnen die Schießscheiben durch den Ziller, dann die Schützeniaad durch den Schüt zenschreiber hertragen lassen, wo sie sodann an den jeweiligen Titl. Herrn Pfleger als Oberschützenmeister und Poiizeyvorsteher daß ansuchen zu ma chen haben, daß dieser mit ihnen in die Schießstadt hinabziehe, und die Schüt zenordnung wortdeutlich verlese. Da sich die obrigkeitlichen Verhältnisse veränderten, verlagerte sich der Schüt zenauszug, den man in Goisern in unge brochener Tradition beobachten kann, an den Schluß der Schießsaison, die je nach

Blick auf einen historischen Schießstand in Bad Geisern mit Gedenkscheiben, die an die festlichen Anlässe eines Schützenjahres erinnern. Foto: W. Fettinger mmm m 1

Zu den wichtigsten Personen am Schießplatz gehört der „Zieler", rot-weiß gewandet, mit Spitzhütel, der in einer überlieferten Gebärden sprache die Treffer anzeigt. Er schwenkt den Hut, kniet sich nieder oder wälzt sich gar zum Schützen hin, juchzt. Jede Gebärde hat ihren Sinn. Fotos: W. Fettinger P - /-■ J?' Gesellschaft an einem der drei goldenen Sonntage (= Sonntage nach Michaeli) endet. Um an den regelmäßigen „Kranzlschießen" teilnehmen zu können, müssen sich die Schützen in die Schützenlade eintragen lassen. Nur eingeschriebene Mitglieder dürfen um das jeweilige ,,Kranzlbest" schießen, das früher aus dem ,,Vortl" genommen und heute von den Schützen selbst bestritten wird. Die Umlage, die dafür eingehoben wird, be rechtigt außerdem, am Schützenmahl, das unbestritten den Höhepunkt im Schützenjahr darstellt, teilzunehmen. Dazu begeben sich die Schützen eine Woche vorher zu ihrem Wirt, um das Mahl „anzudingen". Auch die ,,Ladmän ner" sind unterwegs. Ahnlich wie die Hochzeitslader gehen sie mit einem blumengeschmückten Ladstock zu den ,,Mahlleuten", d. s. Inaktive Schützen und Nachbarn, um sie zum Mahl einzuladen. Am Vortag wird noch die Schießstätte auf Hochglanz gebracht. Unter der Anleitung des Zielers binden die ,,Bolztrager" aus Tannenreis und Herbstblumen Girlanden, mit denen sie die Scheibenwand, den „Panzer", schmücken. Das Wahrzeichen des Festes bildet aber der ,,Fahnlbaum", an dem die Armbrustschützen unver brüchlich festhalten. Mit einer Salve von Böllerschüssen wird das Mahischießen eröffnet. Zunächst gilt es nämlich die Sieger und — was noch wichtiger ist — den Letzten zu ermitteln. Darin liegt ja das Wesensmerkmal der Schießkon kurrenzen im Salzkammergut, daß sie nicht sportlicher, sondern gesellschaft licher Natur sind. Es geht nämlich nicht darum, die meisten Treffer zu erzielen. sondern den schönsten ,,Punkt", das beste ,,Blattl". Und das ist wiederum nicht so sehr vom Können als vom „Reim", vom Glück, abhängig. Die Abhängigkeit von äußeren Umständen und Zufällig keiten, denen die Schützen mit vielerlei geheimnisvollen Rezepten und auch mit ,,Zielwasser" zu begegnen trachten, schafft gerechte Voraussetzungen, die auch schlechte und bereits zittrige Schüt zen hoffen lassen. Hierin liegt das Ge heimnis des Schützenwesens im Salz kammergut. Der Tiefschuß sollte daher vom kulturellen und gesellschaftlichen Standpunkt nicht durch das sportliche Kreisschießen verdrängt werden. Das Schießreglement sorgt aber noch weiter für ausgleichende Gerechtigkeit. So kann das ,,Kranzlbest" von einem Schützen nur einmal während der Saison gewon nen werden, an den folgenden Sonn tagen erhält immer der nachfolgend Best plazierte den 1. Preis. Beim Mahl schießen ist es nun aber so, daß die Preise vom Ersten bis zum Vorletzten gleich sind. Jeder erhält ein seidenes Trachtentuch, das er sich selbst aus suchen darf. Der Letzte aber, der an diesem Tag keinen ,,Reim" hatte, be kommt ein weißes Leintuch — die ,,Schneiderfahne" —, auf das Schere und Bügeleisen appliziert sind. Jeder Schütze trachtet daher, nicht ,,Schneider" zu wer den. Erschwerend wirkt, daß ihm nur eine sehr beschränkte Anzahl von Schüs sen zur Verfügung steht, doch werden die jeweils besten Ergebnisse auf der Inventionsschelbe, auf der Mahlscheibe und auf der Laufscheibe (,,laufende Gams"), die besonders viel Geschick-

_>A. »T tu. »1» Besondere Brauchtumsbedeutung besitzt der Schießstand der Lauffener Schützen, der auf eine alte Überlieferung zurückblicken kann. Er liegt romantisch am Südfuß der Katrin und Ist durch ,.offene" Scheibenstände ausge zeichnet. Wie bei den „Stachelschützen" zeigen auch auf dem Lauffener Schießstand die Zieler die Treffer mit bestimmten Gebärden an. Bei einem besonderen Treffer wird die ,,Sau" hervorgeholt, bei einem ,,Vierer" kracht der Böller. Fotos: Verfasser lichkelt verlangt, zur Gewinnermittiung herangezogen. Auf der Mahlscheibe bil det nicht ein ,,Blatti" das Ziel, sondern ein 22 mm dicker ,,Zapfen". Wird der „Zapfen" getroffen, löst er automatisch einen Böllerschuß aus. Nun tritt der Hauptzieler in Aktion. Je nach der Güte des Schusses vollführt er seine Faxen. Wiederholt betrachtet er den Schuß und weckt die Hoffnungen des Schützen. Er schlägt Purzelbäume, springt in die Luft, gräbt sich in das vor dem Stand aufge breitete Tannenreisig ein und wirft seine Kappe mit dem Fuchsschwanz in die Luft. Diese Handlung verfolgen die Schüt zen besonders aufmerksam, denn sollte er die Kappe nicht auffangen, wissen sie, daß jetzt der schönste Schuß ge fallen ist — zumindest so lange, bis er seinen Hut neuerlich wegwirft. Die Tref feranzahl gibt er durch ,,Juchizer" be kannt. Danach richtet sich dann die Kreis melodie, die von der Schützenmusik ge spielt wird. Mitten unterm Schießen kann es passieren, daß der Zieler Reißaus nimmt und mit dem ,,Zapfen" auf einen Baum klettert oder ins Wirtshaus ent flieht. Da bleibt den Schützen dann nichts anderes übrig, als ihn mit einer guten Jause wieder herabzulocken oder ihn mit der Musik nach Bezahlung der Zeche abzuholen. Bei den Scheibenschützen in Lauften, wo die Entfernung zum Scheibenstand 150 Schritte beträgt, gibt der Zieler die Treffer durch bestimmte Gebärden bekannt. Er hebt die Hand, verneigt sich und zieht seinen Hut. Bei einem Vierer kracht wie der der Böller. Außerdem stehen die Figurenscheiben auf — bemalte Scheiben klappen nach vorne. Auch hier richtet sich das Gehaben des Zielers nach der Güte des Schusses. Er läuft einmal um die Scheibe, ein zweitesmal, nimmt An lauf zu einem drittenmal... läßt es aber bleiben. Also ein ,,Zweimalgeher", der dem Schützen signalisiert, daß sein Schuß ca. 1000 Teile, in denen die Ab weichung vom Zentrum (,,Nullteiler") ge messen wird, aufweist. Beim nächsten Treffer steigert er sich zu einem dritten Umgang, er holt die ,,Sau" oder das „Bierkrügl" (Giückssymboie aus Pappe), er lehnt sich mit dem Rücken an die Scheibe (,,Anlieger" = ca. 250 Teile). Wenn er dann noch seine Kollegen her beiruft, damit auch sie „einischaun", und wenn sie daraufhin gemeinsam ein Tau mel erfaßt, bei dem sie die Kappen weg werfen, sich im Gras wälzen und wo möglich sogar die Hose abziehen, um den Schützen den nackten Hintern zu

■'' V -w C:5F^ Bei keinem festlichen Schießen darf im Saizkammergut die traditionelle Schützenmusik — zwei Seitelpfeifer (Schwegeipfeifer) und Trommler — fehlen. „Neuner-Messe" in der Ortschaft Lasern (Bad Goisern). Die „NeunerMesse" ist der übermütige Nachklang zu einem „Schützenmahi". Fotos: W. Fettinger

zeigen, dann ist wiederum eindeutig der beste Schuß gefailen. Hat der letzte Schütze sein Schußpensum absolviert, zieht sich das Komitee zur Auswertung zurück. Anschließend formie ren sich die Schützen mit ihren Frauen und Mädchen zum Schützenzug. Voran der Laternträger, dann der Zieler mit der bemaiten Scheibe. Ihnen folgt die aus zwei Schwegelpfeifern und einem Trommier bestehende Schützenmusik, die sich nur im Salzkammergut(von wo sie neuer dings durch gute Pflege wieder aus strahlt) erhalten hat, weil hier das Schüt zenbrauchtum kontinuierlich weiteriebt. Hinter den „Fahnibuben", die von den Schützen angeheuert werden, um die ,,Beste" zu tragen, schreiten der Schüt zenmeister und der an diesem Tag be sonders wichtige Kassier, dahinter an schließend der lange Zug der Schützen. Abwechselnd mit der Musik verkünden die ,,Fahnltrager" mit lautem Geschrei das Nahen des Schützenzuges: Heint is amal lustig, heint is amal ra, heint ham ma a Schitznmahl und an Tanz a. Beim Gasthaus heißt der Wirt die Schüt zen herzlich willkommen und geleitet sie in den Tanzsaal. Ehe sich die Schützen aber niedersetzen, spielt die Musik zum Schützentanz auf. Dann wird das Mahl aufgetragen, das seit jeher aus einer Leberknödeisuppe und einem ,,Bratl" be steht. Die Mehlspeise mit Kaffee ist be sonders den Frauen als Entschädigung für das ,,Haushüten" zugedacht. Eine ,,Geigenmusik", die inzwischen die Schwegein und die Trommel ablöste, untermalt das Essen mit den sogenann ten ,,Suppentänzen". Hinterher wird natürlich fleißig zum Tanz aufgespielt. Dazu noch zwei interessante Beobach tungen: Es haben nur geladene Gäste Zutritt. Sollten Mitglieder anderer „Passen" versuchen, die Tanzfläche zu betreten, werden sie kurzerhand hinaus geworfen. Außerdem muß jeder Schütze beim Tanzen seinen Hut tragen, der an diesem Tag mit einem schönen ,,Mahibuschen" aus Aipenblumen und Ros marin geschmückt ist. Am nächsten Tag wird ,,blau gemacht". Am Vormittag lassen sich die Schützen das nächtlicherweile beim Heimweg ge stohlene Kraut von der Wirtin zubereiten. Mancher verstimmte Magen kommt dabei wieder ins Gleichgewicht. Es ist übrigens Ehrensache, an dieser Zusammenkunft, auch „Neuner-Messe" genannt, teilzu nehmen, bei der es immer äußerst turbu lent zugeht. Es wird gesungen und ge pascht, gestichelt und viel Unsinn aus geheckt. Erst am Abend trennt man sich. Am folgenden Samstag kommt es zu einer Revanche beim „Nachschießen", das mit einer „Nachzeche" endet. Kaum anderswo in Österreich hat das Schützenbrauchtum die Tradition so un mittelbar bewahrt wie im Salzkammergut. Hier hat sich nicht nur die Armbrust er halten, es gilt auch der Zentrumschuß, vom Zieler gebührend angezeigt, weiter hin als erstrebenswertestes Ziel. Hier er tönen noch die Schwegein zum eindring lichen Rhythmus der Trommel, winken die bunten Seidentücher als ,,Best". Ais Ausdruck der nachbarlichen Verbunden heit vereint man sich am Ende des Schüt zenjahres beim Mahl. Trotz ständiger Entwicklung vollzieht sich das Schützenleben nach ungeschriebenen Gesetzen der Überlieferung und gesell schaftlichen Ordnung. Es hat bis heute nichts von seiner urwüchsigen und zu gleich noblen Volkstümlichkeit verloren. LINZ BakM-^ADOtheke Linz • Flgulystraße 1 (beim Voiksgarten) • Teiefon 55066

Das Innviertel als bairische Landschaft Benno Hubensteiner Das erste Mal ins innviertel gekommen bin ich gieich nach dem sogenannten „Anschiuß" — im 38er Jahr. Auf einem Schulausflug, und natürlich nach Braunau am Inn. Den Hauptbesichtigungspunkt mußte dabei ein Wirtshaus abgeben, draußen in der Salzburger Vorstadt, die Front voller Fahnen und Girlanden. „Das Geburtshaus des Führers", hieß es. Frei lich, das eigentiiche Geburtszimmer war eng und noch dazu verstelit durch eine Bronzebüste und die üblichen Lorbeer bäume. Es gingen immer nur sechs Buben hinein. Die anderen standen war tend in der dicken Sonne und neigten zu Aufsässigkeit und Drängeiei. Es war eine Situation, die unsere Lehrer mit guten Worten allein nicht mehr glaubten steuern zu können. Aber ob das nicht bioß ein Spuk gewesen ist, diese Begegnung von Braunau 1938? Ein Dutzend Jahre später, als wir mit einem alten Autoveteranen ein zweites Mal über die Grenze kamen, ließen wir die Stadt einfach liegen und fuhren hin ein in ein gewaltiges, schier unermeßiiches Bauernland. Überall leere Sonntagsstraßen, Sandstra ßen, mit verblühenden Apfelbäumen an den Rändern. Die Mattig zog sanft dahin, immer unter silbergrauen Erlen. Dazu rauschte ein so gewaltiger Regen nieder, daß die Wälder rauchten und die Wiesen nur so strotzten vor Grün. In Ried, in der dämmrigen Nebenkapelle der Pfarr kirche, standen wir vor dem SchanthalerÖlberg, und in Reichersberg, ais wir über den weiten Stiftshof gingen, steckte der Himmel für einen Augenbiick die weiß blaue Fahne auf. Abends dann, im Be hagen eines Schärdinger Gasthofes und beim Wachauer Wein, stieg uns die erste Ahnung auf von einer großen, fast unbe kannten bairischen Landschaft, die eben das ,,Innviertel" heißt. Bis ich 1956 als junger Dozent nach Passau zog, und die Ahnung zur Gewiß heit wurde. Die Hügel, Äcker, Wiesen; die Wirtshäuser, Klöster, Kirchen — sie lagen auf einmal vor der Haustür. An fernen Horizonten aber blauten die gro ßen Wäider, wo einst die Räuber gehaust hatten, der ,,Bruder Biankes" oder der „Druckerfranzi". In Zwickledt bei Wernstein flössen Alfred Kubin die geheim nisvollsten Bilder in seine Zeichenfeder, und mitunter ging noch ein echter, großer Dichter durch das Land. Er hieß Richard Billinger. Keine Spur von „Blut und Bo den", sondern das Äußerste an Exzentrik, und dazu der ganze deutsche Ex pressionismus von 1923: Die Au, die grüne Au, die Weiden, wiidumgangen, der Himmel, siegesblau, wo Schloß und Klöster prangen! Der Inn, der grüne Inn kommt aus Bergestälern. Durch meine Adern rinn' sein Zorn, den Dämme schmälern! Der Inn, der grüne Inn fließt durch die Heimataue. Sein Herz ich mir gewinn', wann seiner Wog'ich traue. Selbstverständlich gehört das Innviertel heute zum Land Oberösterreich. Aber die Grenze an Inn und Salzach ist nicht alt. Daß Flüsse trennen, meinen ja höch stens Generäle, Diplomaten, Zöllner, Kar tenzeichner und Obergeometer. In Wirk lichkeit verbinden die Flüsse das Hüben und das Drüben, und unser altes Kur bayern hat sich mit seinen Konfinien erst im weiten Bogen von Sauwaid, Haus ruckbergen und Kobernaußer Wald fest gefahren. Bis 1777 mit Max Iii. Josef die altbayerische Linie des Hauses Wit telsbach erlosch und Kaiser Josef II. dem neuen Kurfürsten in München mit massiven Erbansprüchen und Tauschplä nen beizukommen suchte. So massiv, daß die europäischen Kabinette in Be wegung gerieten und ringsum die Armeen aufmarschierten. Erst 1779, im Frühjahr, kam es zum Friedensschluß von Teschen, der den Kaiser mit dem bayerischen Land hinter Inn und Salzach entschädigte — immerhin 38 Quadrat meilen und 80.000 Seelen. Und war das Ganze bisher ein Stück des alten Rent amtes Burghausen gewesen, so kam jetzt, mit der oberösterreichischen Lan deseinteilung, der neue Name ,,innvier tel" auf. Natürlich holten sich die Bayern anno Napoieon das Land wieder zurück, und nun wurde die Montgelas-Bezeichnung ,,innkreis" amtiich, die bis heute am damaligen Markt Ried hängengeblieben ist. In Ried, wo am 11. September 1811 als Sohn eines königlichen Landrichters Ludwig Freiherr von der Pfordten ge boren wurde, der bayerische Minister präsident von 1866... Auf dem Wiener Kongreß haben sich dann die bayerischen und österreichi schen Diplomaten um das Innviertel und das Land Salzburg eine erbitterte Schlacht geliefert. Definitiv abgetreten wurde erst mit dem Münchener Vertrag vom 14. April 1816 — nachdem Feldmarschalleutnant Baron Bianchi bereits mit einem ganzen Korps zwischen Atter see und Donau aufmarschiert war. Man muß diese alten Geschichten ken nen, damit einem klar wird, warum und wieso das Innviertel Zug um Zug das Gegenstück ist und das Spiegelbild zum niederbayerischen Rottal. Der Innviertier Vierseithof — Haus, Stall, Stadel, Schupfe zum Rechteck zusam mengeschlossen! — reicht bis in die Ge gend von Mühldorf hinauf. Der Unter landler Dialekt aber zieht sich, wenn auch mit vielen Brechungen, von Lands hut bis herüber nach Ried. Und ge rade aus Groß-Piesenham bei Ried ist unserer gemeinsamen altbayerischen Mundart im 19. Jahrhundert ein echter Klassiker erwachsen: Franz Stelzhamer. Man muß Stelzhamer lesen, laut lesen, um zu hören, wie dieser Dialekt in den hundert Jahren seit Stelzhamers Tod ab geflacht ist und sich verhochdeutscht hat, hüben und drüben. Die eigene Verwal tung der Gemeinden seit 1870 sei daran schuld und die Schulschreibe, hat ein germanistischer Fachmann 1942 gemeint, dazu die allgemeine Wehrpflicht, die Eisenbahn und das Zeitunglesen. Nun, wir müßten heute sagen, auch der Film, der Funk, das Fernsehen, das Autofah ren und das Fliegen, überhaupt das Zu sammenrücken und Kleinerwerden dieser unserer Welt. Vielleicht ist der Tischlermeister, Geigen bauer, Musikant, Dialektdichter und Dia lektrezitator Hans Schatzdorfer, gestor ben 1969 am Heiligen Abend, der letzte gewesen, der den Innviertier StelzhamerTon noch voll beherrscht hat, im eigenen Gedicht wie am Vortragspult in Schär ding oder in Linz. Ein seltenes Original, dieser Hans Schatzdorfer, im selben Groß-Piesenham geboren wie Stelzhamer — nur daß es ihn nicht in die Ferne trieb, sondern daß er in der kleinen Heimat sitzen blieb. Sogar den österreichischen Professoren titel mußte man ihm von Wien hinaus schicken aufs Dorf. Wir sind im frühen Jahr nach GroßPiesenham gefahren, über Lohnsburg herüber und über Pramet, hinein in den Winkel, den der Kobernaußer Wald und der Hausruck hier machen. Das Dorf selber liegt dann in einer Senke ver steckt, und zunächst sieht man nur lauter Apfel- und Zwetschkenbäume. Uberhaupt fehlen die großen Vierseithöfe, und den Ton geben die kleinen, wettergebräun ten Häusel an. Gerade noch. Denn schon hat sich da oder dort ein Neubau dazwischengeschoben. Natürlich 08/15. Ein

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