Oberösterreich, 25. Jahrgang, Heft 2, 1975

.58" ■ »'I' * ? ♦ '*■ Diese Sprache der Sinnfäliigkeit leisten das Bild, die Figur, also Malerei und Plastik. Sie gehören In den vom Menschen ge stalteten Raum als unmittelbarer Aus druck des raumgestaltenden Menschen. Hier sei ein einfaches Beispiel angeführt: Wir betreten eine fremde Wohnung, Um welt uns fremder Menschen. Niemand Ist zu Hause. Wir sehen uns um. Wir möch ten erfahren, wer hier wohnt, wie die Menschen beschaffen sind, die hier hau sen. Das Ausmaß der Räume verrät uns vielleicht. In welchen materiellen Ver hältnissen die Besitzer leben. Auch Mö bel und technisches Gerät geben darüber Auskunft. Doch wessen Geistes Kinder die Leute sind, darüber sagen uns Ihre Bilder am allermeisten aus. Sie sagen es uns auf den ersten Blick. Sie reichen uns eine Art geistiger Visitenkarte, auf der Ihr Geschmack, Ihre Neigungen, der Inhalt Ihrer Wünsche, Ihrer Phantasien und Ihre Wertvorstellungen wie In Kurz schrift eingetragen sind. In der Wahl Ihrer Bilder haben sich diese Menschen auch für uns formuliert. — Hier könnte ein Einwand erhoben wer den: Ist denn Architektur nicht auch Aus druck des Menschen, der sie erbaut hat? Ja, gewiß. Und doch werden wir, wenn wir an unsere Beispiele der berühmten Plätze und Bildwerke zurückdenken, zugeben müs sen, daß sich das bildnerische Kunstwerk Intimer, direkter, man könnte sogar sagen humaner ausdrückt als die reine Archi tektur das vermag. Nun aber leben wir In einer Zelt, die seit Jahrzehnten unsere Umwelt In früher nie geahntem Ausmaß verändert. Die Ver änderung Ist technisch, sie Ist aber na türlich auch architektonisch. Das In West europa seit Jahrhunderten erstellte Bau volumen hat sich binnen 25 Jahren ver doppelt. Neue Städte mit ausgebreiteten Vorstädten, unzählige Siedlungen und riesige Industrieanlagen schießen aus dem Boden. Der Raum Ist dem Menschen durch ein Aufgebot starker Maschinen weltgehend verfügbar geworden. Doch die Verfügbarkelt hat sich vor allem technisch Instrumentiert. Sein Selbstver ständnis kam kaum zu Wort — oder blieb dem Bild auf den Plakatwänden über lassen. (Wir wissen Inzwischen, daß die ses Bild ein chimärisches, falsches und durch lügenhafte Illusionen verhängnis volles Bild war.) Nach zweieinhalb Jahrzehnten eifrigstem Bauens stellt sich Ernüchterung ein. Plötzlich erhebt sich der Vorwurf, man habe nicht für, sondern gegen den Men schen gebaut: die neue Bauwelse sei gesellschaftsfelndllch, sie sei Inhuman. Ich würde sagen, dieser Vorwurf schießt weit über das Ziel hinaus. Denn die ur sprüngliche Zielsetzung der neuen Wohn architekturen war durchaus human ge meint. Man versuchte doch freundliche, sonnige, hygienische Wohnungen zu er stellen, man versuchte Mühe zu erleich tern, Abschirmung zu geben: guter Wille war vorhanden. Trotzdem gibt der Effekt zu heftigen Klagen Anlaß.

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