Oberösterreich, 25. Jahrgang, Heft 2, 1975

Landschaft, IMaturschutz, Raumordnung Baukunst — ohne Kunst? Alois Dorn Die Abbildungen stellen eine Auswahl von der Ausstellung in der Hypo-Galerie Linz, 6. März bis 7. April 1975, „Architektur und Planung" — ,,Form / Figur / Farbe", dar. Wenn wir uns über die Baukunst, also die Architektur und über die Bildenden Künste, über ihre wechselseitigen Be ziehungen und Abhängigkeiten klar wer den wollen, so ist es am besten, wir stellen uns etliche berühmte Plätze — etwa die piazza Navona und den Campidoglio in Rom, die place Vendome in Paris, den Graben und den Stefanspiatz in Wien und die Umgebung des Salz burger Domes als rein architektonische Szenerien vor, so, als wären da keinerlei Bildwerke vorhanden, keine figurenge schmückten Brunnen, keine Reiterstand bilder, Portaipiastiken und auch keine Pestsäulen oder Obelisken. Wie würden diese Plätze dann auf uns wirken? An ihren Architekturen hätte sich nichts ge ändert, ihre Funktionalität hätte keine Einbuße erlitten. Trotzdem würden wir spüren: sie haben etwas Wesentliches verloren, sie wären leerer und auch kälter geworden, sie hätten an Reiz und Anziehungskraft eingebüßt. Nun aber steilen wir uns die umgekehrte Situation vor: wir fänden die uns wohl bekannten Kunstwerke, den Marc Aurel, den Neptunbrunnen, die Figuren des Hei dentors in ganz anderer Umgebung, etwa zwischen Bahn- und Rangiergeieisen, in kleinen privaten Gärten oder vor einem Supermarkt. Was wäre aus ihnen ge worden? Vermutlich kämen sie uns fremd und entstellt, entwürdigt vor, etwa wie abgestellte Theaterrequisiten, wie Attrap pen aus Pappmasche; sie hätten ihr eigentliches Wesen mit ihrem Rahmen verloren, denn ohne diesen Rahmen er schienen sie uns im genauen Sinne des Wortes nicht am Platz. Nicht am Platz. Das heißt: sie brauchen den ihnen angestammten Platz, in den sie hineinkomponiert wurden. Sie leben nicht nur aus sich selbst, sie brauchen ihre Bindung in die Architektur. Sogar die besten architektonischen Ge staltungen sind irgendwie auf die Er gänzung durch die Bildende Kunst ange wiesen, einerseits; andererseits gewin nen sogar hervorragende Bildwerke ihre volle Wirkung erst im und durch den architektonischen Rahmen. So wäre wie der einmal der alte Satz bestätigt, daß die Architektur die Mutter aller Bildenden Künst sei. Nun aber könnte man sagen: Diese Be ziehung ist keineswegs erwiesen, sie besteht nur in Gewöhnung und Vorurteil. Im Zeitalter der Technik gelten andere Maßstäbe: hier Architektur mit ihren ratio nalen Erfordernissen, dort die Bildende Kunst als Bewältigung eher ästhetischer. also individueller und irrationaler Pro bleme, saubere Trennung und damit basta! Dieser Einwand zwingt uns zu neuen Überlegungen: Raum und Zeit sind die Kategorien, mit denen der Mensch seine Umwelt auf nimmt, auf die er schaffend und sie er füllend antwortet. Die Kategorie der Kau salität, also der Ursächlichkeit, hilft dem Menschen, das, was er in Zeit und Raum wahrnimmt, seiner Herkunft nach zu er klären. Nur so konnte sich der homo sapiens in der Welt heimisch machen. Die Zeit gliedert der Mensch nach Stun den, Tagen, Wochen, Monaten, Jahren, er gliedert sie weiter in Arbeitszeit und Feste. So setzt er einen gewissen Rhyth mus. Künstlerisch versucht er die Zeit in Dichtung und Musik zu bewältigen. Jede Kultur hat die Bewältigung der Zeit versucht und jeder Hochkultur ist diese Bewältigung auch in einem gewissen Umfang gelungen. Noch wichtiger aber, weil noch lebens notwendiger als die Ordnung der Zeit, ist für den Menschen die Herrschaft über den Raum, in dem er lebt. Denn er lebt ja auch von diesem Raum. So ist sein Bedürfnis, den Raum, die Umwelt zu gestalten, von überragender Bedeutung. Durch die Gestaltung seiner Umweit hofft der Mensch Schutz und Geborgenheit zu gewinnen, aber auch Entfaltung seiner Selbst und Repräsentation. Im selbstge stalteten Raum erwartet er sich mitmenschiiche Begegnung ebenso wie Ab schirmung. So bestimmt die Architektur als Hintergrund beinahe jeder mensch lichen Betätigung das Seibstverständnis: sowohl der Gruppe, als auch des einzelnen. Aber worauf soll sich dieses Selbstver ständnis stützen? Zuerst auf Herkunft, Geschichte, Erfahrung — hier kommt die Kategorie der Kausalität ins Spiel. Doch dem Blick in die Vergangenheit entspricht konsequent auch der Aufruf zur Zukunft. Denn wir leben ja nicht nur durch Wir kung, sondern wir wollen weiter wirken. Wie aber wirken? Wieder werden wir auf unser Seibstverständnis angesprochen. Wieder werden wir aufgefordert, dieses Seibstverständnis zu formulieren. Formulieren heißt ausformen. Ausformen heißt bilden. Bilden heißt bildnerisch ge stalten. Es bedarf also zur Formulierung des Selbstverständnisses einer eigenen Sprache, einer sinnfälligen Sprache, eines Ausdrucksmitteis, das jedermann versteht, das jedermann anspricht, und zwar augenblicklich.

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