Oberösterreich, 25. Jahrgang, Heft 2, 1975

Das künstlerische Erscheinungsbild der zwanziger und dreißiger Jahre in Oberösterreich Hertha Schober Nach nicht zu ergründenden Gesetzen gibt es ein unaufhörliches Auf und Ab, gibt es Wellenberge und Wellentäler im Kunstleben, im regionalen wie im weit weiten. Dieses Phänomen erlebten wir in Oberösterreich besonders deutlich zu Beginn unseres Jahrhunderts. Die Nachmakartzeit hinterließ eine große Leere auf dem darstellenden Gebiet; einige wenige spannten einen dünnen Faden zu nachfolgenden Epochen, blie ben aber ohne Einfluß; so Karl Schade mit seinen Landschaften und Porträts, die zwar gutes Farbempfinden, aber doch das Nachfoigetum zeigen (er ging schon zu Beginn des Jahrhunderts nach Wien) und Albert Ritzberger, der Maler raffinier ten Lichtspieis und schöner Frauen, von Genrebildern im Zeitgeschmack. Er starb 1915 und gehörte also schon einer ver gangenen Generation an. Auch Gustav Klimt, der am Attersee erst zum Land schaftsmaler geworden ist, hinterließ kaum einen Einfluß. Der neue Malernachwuchs, der auf ein mal da war, vergaß seine Vorgänger. Diese jungen Künstler erkämpften sich ihre eigene Kunstrichtung, die ihnen gemäße Ausdrucksform, beziehungs weise sie suchten danach, denn ein ech ter Künstler schließt sich nicht einer be stimmten Richtung an, sondern er wird von ihr erfaßt, ohne daß er es oft selbst weiß. Noch waren aber auch die Jungen nicht am Zug, denn noch beherrschte der Krieg alles, viele von ihnen mußten mit dem blutigen Ringen, mit all der Begei sterung und mit all dem Elend leben. Das darf nicht übersehen werden, wenn man die nachfolgende Zeit verstehen will, denn dieses Geschehen formte und modeliierte an denen herum, die hin durch mußten. Manche, die meisten von ihnen, waren urkräftig genug, diese see lischen Erschütterungen heil zu über stehen und sich hernach mit doppelter Lebensfreude in ihr Schaffen zu stürzen, manche aber auch zerbrachen letzten Endes daran. Einer von diesen, und es war wohl einer der bedeutendsten über haupt, war Klemens Brosch; und er war auch der einsamsten einer, ihm war es einfach nicht gegeben, unbeschwert fröh lich zu sein, von seinen Sorgen zu spre chen, zu diskutieren. Zeichnen war für ihn eine Lebensfunktion wie Atmen und Schlafen, aber er war immer der Gejagte und auch der selbst Jagende. Wohl wan derte er wie manche seiner Künstierkollegen — viele gehörten dem Wandervogel an —, aber er wanderte aliein, selten einen wahrlich Auserwähiten neben sich duldend. Und selbst dann führte er keine Unterhaltung, Gedankensplitter, Wort fetzen nur, warf er hin, wie im Selbst gespräch, nicht auf Antwort wartend. Brosch war der geborene Graphiker, seine feinnervige Empfänglichkeit für alle Eindrücke waren ihm Gnade und Fluch, prägten in ihm einen Realismus, der durch die Überbetonung der Wirklichkeit zuweilen schon steril, unheimlich anmutet und ihn zum Surrealismus führte; Mystik, hochgeistige Symbolkraft liegt in seinen Zeichnungen, verstärkt noch durch die Perioden seiner Sucht; die aber hatte er aus dem Kriege mitgebracht. Damals zeichnete er alles, was er sah; das Festhaiten-Wollen war es erst, dann packte ihn der Schrecken, das Grauen schüttelte ihn und dann griff er zum Morphium, wie es der ihm kongeniale Dichter Georg TrakI schon lange tat. Auch er kam nie mehr los davon. Sein Leben war Kampf, Kampf gegen sich selbst, gegen die Not, um das Bestehen. Und dann konnte er nicht mehr; kurz vor Weihnachten 1926 gab er auf, ausgeglüht, zerbrochen an sich und an allem. Ihm im Wesen sehr verwandt war Josef Thalmann, der nach langer Kriegsgefan genschaft in Sibirien einfach nicht mehr den Anschluß fand. Zum Unterschied von Brosch ein geselliger Mensch, der nächtelange Diskussionen liebte, ein Feuergeist, ein besessen nach Ausdruck Ringender; aber er wurde zu keiner Zeit wirklich verstanden, kapselte sich in künstlerischer Hinsicht schließlich voll kommen ein und führte nur mehr ein sogenanntes bürgerliches Leben. Im allgemeinen war es ein kraftvoll gesunder Aufbruch, der durch diese Zeit ging, ein ehrliches, unermüdliches Lernen-Woiien, bei manchen auch ein Hin fabulieren in eine Welt des Un- und Unterbewußten, bei allen aber ein Stre ben nach neuen Zielen, nach noch nie vorher beschrittenen Wegen, um die Überfülle der Empfindungen auszudrükken, denn die Künstler jener Zeit waren auf eine natürliche Art sensibel, emp fänglich allem gegenüber, was die Welt, das tägliche Leben bot. Sie waren auch gesellig, fröhlich, richtige Kameraden, einige wenige ausgenommen. Einige standen durch ihren Wohnsitz etwas abseits. Da ist z. B. der große Grahpiker unseres Jahrhunderts zu nennen, der erst im frühen Mannesalter nach Ober österreich gefunden, der sich zurück gezogen hatte aus der Hektik der Gesell schaft in sein Schlößchen am Inn, In ein verzauberndes Heim; er war kein Ein samer, er hat sich nur zum Einsiedler gemacht, weil er selbst empfand, daß er ein Außenseiter bleiben müsse, er hat sich zum Einsiedler gemacht, um von dieser Position aus mit äußerst regem Geiste, mit größter Weltaufgeschiossenheit seinen Themen, seinen Traum gedanken — und das ganze Leben schien ihm Traum —, aber auch seinen philosophischen Formein nachzuspüren: Alfred Kubin, „Der Zeichner des Grau ens", „des Abgrunds", „der Dichter des dekadenten Romans", wie man ihn im mer bezeichnet haben mag; doch alle diese Beinamen bleiben an der Ober fläche des Nichtverstehens, sind vielleicht aus Ratlosigkeit geboren. Kubin dichtete mit der Feder, aber seine graphische Kunst ist nur ein Teil seines ganzen Wesens, ein Teil, ohne den sein Lebens bild nicht vollständig wäre, der aber für sich allein nicht symptomatisch ist. Seine philosophische Theorie von den beiden Wahrheiten der Menschen, vom Chaos und vom Selbst, ist der Schlüssel zu sei nem Werk, sowohl des dichterischen wie auch des graphischen, eines Werkes, in dem immer wieder der Kampf des Selbst, des Trägers des Bewußtseins gegen das Chaos, gegen die ürgewait, aus der wir kommen und in die wir alle zurück kehren, durchbricht. Und auch sein Schaffen wurde ein Ausdruck jener Zeit, vielen anderen großen Geistern quer durch Fakultäten und Zeiten verbunden. Wenn Kubin vor 40, 50 Jahren auch be reits anerkannt, fast weitweit bekannt war, so dürften wohl erst wir heute das richtige Verhältnis zu ihm gefunden haben. Von ganz anderer Art wieder erscheint Franz v. Zülow; auch er kam erst im Mannesalter nach Oberösterreich, baute sich im Mühiviertel eine kleine Keusche zu einem wahrlich märchenhaften Maler heim aus, und dem Märchen verfallen war er auch selbst in vielen seiner bildneri schen Äußerungen. Freilich, er gewann damals noch keinen besonderen Einfluß auf das oberösterreichische Kunstleben, war er doch noch persönlich stark mit Wien verbunden, trotzdem aber ist sein Schaffen aus dem Kunstbiid Oberöster reichs nicht wegzudenken. Offen allen Zeichen der Zeit, hat er seinen unver kennbaren, ganz persönlichen Stil ent wickelt, er kann mit niemandem vergli chen, kann nirgends eingereiht werden. Seine Vielseitigkeit ist unfaßbar. Von der einfachen Zeichnung, vom Papierschnitt bis zum Ölbild ist alles vorhanden; Kubis mus, Sezessionsstil, Naturalismus, alles

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