Oberösterreich, 24. Jahrgang, Heft 4, 1974

Bücherecke Zwei Neuerscheinungen der Edition Tusch Die Edition Tusch in Wien ist zu einem festumrissenen Begriff im österreichischen Kunst buch der Gegenwart geworden. Heuer — 1974 — sind zwei neue Verlagstitel erschienen, die in besonderer Weise das oberösterreichische Kunstpublikum interessieren sollten. Karl Rössing. Die Linoischitte von Kristian Sotriffer. Mit einem voiiständigen Werkkataiog 1949—1974 von Elisabeth Rücker. — Wien: Edition Tusch 1974, 132 Seiten mit 88 Seiten Abbildungen, Ladenpreis S 480.—. In einem Brief 1919 schrieb Rainer Maria Rilke über einen Ausstellungsbesuch in der ,,Secession", bei dem ihm zwölf ,,Münchhau sen-Bilder" von einem Graphiker auffielen: er heißt Karl Rössing ... Der Name wäre zu merken". Aus 1963 ist der seltene Fall anzuführen, daß ein Lehrer ein Buch über seinen Schüler herausgab. F. H. Ehmcke ver öffentlichte: Karl Rössing. Das Illustrations werk in 182 Holzschnitten. In der Zeit vom 15. Mai bis 23. August 1970 wurde von diesem Künstler, der 1897 in Gmunden zur Welt kam, kurzzeitig In Linz lebte, mit einer Linzerin verheiratet ist, in Deutschiand jedoch die meiste Zeit seines Lebens als Lehrer und freischaffender Künstler wirkte, im Linzer Schloßmuseum eine groß angelegte Ausstel lung gezeigt. Er schreibt darüber selbst: ,,1960 Obersiedlung nach München, wo 1913 mein künstlerischer Weg begonnen hatte. Der Kreis schloß sich aber erst ganz im Mai 1970, Schloßmuseum Linz." Darauf folgten wichtige Veranstaltungen in Reutlingen, Hamburg, vor allem in Nürnberg im Germanischen National museum im Rahmen der Albrecht-Dürer-Gesellschaft. Nunmehr legt die Edition Tusch als Band XI ihrer Reihe ,,Österreichische Graphik der Gegenwart" ein Buch über seine Linol schnitte vor, das sein Lebenswerk ab 1949 behandelt. Kristian Sotriffer schrieb einfüh lend und exzellent die Interpretation, Dok tor Elisabeth Rücker vom Germanischen Na tionalmuseum In Nürnberg unterzog sich mit Gewissenhaftigkeit der schwierigen Aufgabe des Werkverzeichnisses, das bis zum heutigen Tag reicht und 300 Nummern umfaßt. Für die Wissenschaft und den Sammler wird hier ein veriäßlicher Wegweiser geboten. Im nächsten Jahr ist eine Rössing-Ausstel lung in der Albertina, Wien, festgelegt. Somit rundet sich die Präsentation eines graphi schen Lebenswerkes, das von großem Ge wicht ist und zur gültigen geistigen und künst lerischen Aussage in der Gegenwartskunst erhoben werden darf. Karl Rössing ist ein Weltbürger, bekennt sich aber stets mit Liebe zur österreichischen Geburtsheimat. Hier fühlt er Heimat! Karl Rössing ist nicht nur Graphi ker, Künstler, er ist auch Denker und geist reicher Rethoriker. In seiner Selbstdarstellung schreibt er einen Satz, der am besten zu seinem Werk hinführt: ,,Was erwarte ich von der Zukunft? Die Gewißheit, daß es nicht nur nach unten geht. Die Hoffnung, daß eines Tages nicht mehr von morgens bis abends vom Geld geredet wird — und daß der Schmetterling dann wieder befreit von mei nem Arbeitstisch davonfiiegen kann." Der Schmetterling, die bedrohte Kreatur, ist Sinnbild seines Gestaltens. ,,Vogelspuren zur Mondfinsternis" sind Symbol einer leidvollen Lebensbejahung. Und der Geist steigt mit ihm empor aus dem Trümmerfeld des klassi schen Abendlandes. Kristian Sotriffer schreibt von ,,Epitaphen gegenwärtiger Vergangen heit". Die Jugend und Lebensmitte gehörten dem Holzstich und der Buchillustration. Aus dieser Zeit stammt die Freundschaft zu Alfred Kubin, mit dem ihn gleiche literarische Interessen, aber auch der Glaube an eine gemeinsame Weltkultur verbanden. In einem Lebensalter, da sich andere zur Ruhe setzen, vollzog er einen neuen Beginn. Er befreite sich vom Kleinformat, vom graphischen Dienen zum freien Bildgestalten im vielfärbigen Linol schnitt. Technisch wird er hier — wie seiner zeit im Holzschnitt — zu einem einsamen Meister, in der Bildwelt zu einem tiefen Den ker. Die Sehnsucht zum Tafelbild wird be stimmend. Im Linzer Katalog schrieb ich: ,,Was Maler malen, druckt er von seinen Plat ten ab. Es entstehen Bilder, die Fresken glei chen". Diese Wende begann 1949, läßt sich in Zeit abschnitte gliedern, das Schaffen ist jedoch noch lange nicht abgeschlossen. Weisheit des Alters wird mit jugendlicher Hingabe bekannt gegeben. Österreich muß diesen Künstler zu seinen Großen zählen. Hanns Waiiner. Papierschnitte. Mit Texten v. Carl Hans Watzinger und Peter Baum. — Wien: Edition Tusch 1974, 84 Seiten mit 30 ganzseitigen Reproduktionen, Ladenpreis S 320.-. In der Linzer und oberösterreichischen Öffent lichkeit war Hanns Wallner als Pädagoge, Kunstkritiker und Kunstschriftsteller wohl be kannt. Als Mitglied der Kunstjury des Landes öberösterreich übte er jahrelang in sehr menschlicher Form ein strenges Amt. Bekannt war auch vielen sein umfassendes kunst geschichtliches Wissen, genährt von Reisen und einer umfangreichen Hausbibliothek. We nige wußten jedoch von seinen persönlichen künstlerischen Bemühungen. Er wollte ja ur sprünglich Künstler werden. Die materiellen Verhältnisse zwangen ihn jedoch zum Lehr beruf, den er in der Folgezeit gerne ausübte und in dem er es zu hohem Ansehen brachte. Mit 65 Jahren, nach seiner Pensionierung, konnte er schließlich seinen Jugendtraum er füllen und sich schöpferisch betätigen. Es war ein Anfang in einem Alter, da sich andere nur mehr der Ruhe hingeben. Und es entstand kein dilettantisches Werk, sondern eine Lei stung, die international auf dem Gebiet des Papierschnittes eine Marke darstellen kann. Wie nur wenige von Hanns Wallner als Künst ler etwas wußten,so ist auch unser Wissen um den Papierschnitt sehr gering. Er stellt eine künstlerische Technik dar, die nur in kurzen Perioden geübt worden ist und nur einige wenige Höhepunkte besitzt. Wallners Werk dürfte einer dieser Scheitelpunkte im Papier schnitt sein. Carl Hans Watzinger skizziert den Lebens weg dieser sehr dynamischen Persönlichkeit, beschreibt sein Wirken als Lehrer im Mühl viertel, in Lambach, Steyr und Linz, seine Zeit als Lehrer an der österreichischen Schule in Konstantinopel und Smyrna, wo er zum erstenmal dem chinesischen Scherenschnitt begegnet ist, wie auch seine Leistungen als Kunstkritiker und Kunsthistoriker, von denen besondere Erwähnung die 1961 erschienene Monographie über Demeter Koko verdient. Peter Baum verfaßte einen sehr informativen Essay über die Entwicklung des PapierScheren-Schnittes und die Stellung von Hanns Wallner innerhalb dieser selten geübten künstlerischen Technik. Wir erfahren von den europäischen Anfängen dieser Schnittbilder im 16. Jahrhundert, von ihrer Blütezeit im Biedermeier, die in manchem künstlerisch fragwürdig war, und schließlich von der Neu belebung dieser Technik im Jugendstil durch Franz Gizek. In diese Entwicklungsreihe ist nun Wallners Werk einzuordnen, das durch seine Groß formate (70 X 70 und 97 X 67) und besonders durch seine künstlerische Qualität hervor sticht. 30 Bildbeispiele eröffnen eine über raschende Bildwelt von geometrischer Strenge, ornamentaler Sachlichkeit, oft auch von tiefer Symbolik. Mit der Herausgabe dieses Kunstbuches ver helfen Verlag und Autoren einer interessanten Persöniichkeit des oberösterreichischen Kunstlebens zu einer späten Würdigung. Ein Spezialgebiet der helmischen Volkskunst Otfried Kastner: Ranzen, Gürtel, Federkiel. Alte volkstümliche Lederkunst. — Linz: Ober österreichischer Landesveriag 1974, 84 Seiten Text, 8 Färb- und 96 Schwarzweißabb., La denpreis S 248.—. ötfried Kastner setzt seine Tätigkeit als Schatzgräber der oberösterreichischen Volks kunst fort. Im Heft 3/4 des Jahrganges 1973 unserer Zeitschrift veröffentlichte er zum er stenmal eine kurze Abhandlung über ,,Ober österreichische Ledergürtel". Nunmehr legt er im ÖÖ. Landesverlag einen reizvollen Lieb haberband vor, wie sie heute gerade auf dem Gebiet der Volkskunst für Geschenkzwecke populär geworden sind, der sich mit dem gleichen Thema befaßt, das in treffender Formulierung unter dem Begriff Lederkunst zusammengefaßt wird. Gemeint sind die vie len schönen Beispiele, die einst wichtige Bestandteile der heimischen Tracht waren, in erster Linie von Männern getragen wurden, dann und wann aber auch für die Frauen mode wichtig waren, nicht zu vergessen das Prunkgeschirr im Pferdestall. Heute ruhen diese kleinen Kostbarkeiten alter Schmuck freude und alten Lebensstils in Museen, Hei mathäusern und Privatsammlungen. Die wis senschaftliche Literatur über sie ist nicht sehr umfangreich, für öberösterreich hat Kastner Neuland eröffnet. Er durchwanderte, wie einst

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