Oberösterreich, 24. Jahrgang, Heft 3, 1974

Landschaft,Naturschutz,Raumordnung Naturschutz aus ungewöhnlicher Sicht Alfred Tisserand Dr. Alfred Tisserand Ist seit vielen Jahren Präsident der Landesgruppe Oberösterreich des Österreichischen Naturschutzbundes, Vize präsident und Präsidialmitglied des gesamt österreichischen Naturschutzbundes. Der belllegende Essay soll den jetzt herr schenden Trend Im Naturschutzbund heraus stellen. Unter Beibehaltung der konservativen Pflege einzelner Details wird eine Hinwendung zu einer großzügigen ökologischen Betrach tung der Situation angestrebt. Xenophon übermittelt uns In seinen Memorabillen eine Diskussion zwischen Antiphon und Sokrates. Hier steht zu lesen: ,,lch halte dich für einen gerech ten Mann, aber nicht für einen Weisen; du scheinst diesbezüglich mit mir einer Meinung zu sein; wenn jemand zu dir kommt und sich von dir beraten läßt, verlangst du kein Geld von Ihm, obgleich du ein Haus oder Irgendein anderes Besitztum von Wert nicht umsonst oder unter seinem Wert weggeben würdest. Würdest du nämlich deinen Worten Ir gendeinen Wert belmessen, dann müß ten diejenigen, die sie zu hören be gehren, dir auch den Wert deiner Worte entgelten. Du bist also ein gerechter Mann und betrügst niemanden aus Hab sucht; andererseits aber bist du kein Welser, denn deine Worte haben keinen Wert." Wer Sokrates war, Ist derzeit noch als bekannt vorauszusetzen. Wer Antiphon war, sollte aber erläutert werden. Er war professioneller Sophist, der seine Rat schläge verkaufte. Die Verkäufllchkelt einer Sache oder Dienstleistung be stimmt Ihren Wert. Die Unentgeltllchkelt auch unschätzbar wertvoller Dienstlei stungen oder Güter macht sie zumin dest Im Bewußtsein der Menschen wert los. Diese einleitende Betrachtung zeigt sehr deutlich, wie gewisse menschliche Ver haltenswelsen über zweieinhalb Jahr tausende hinweg gleich geblieben sind. Die Betrachtung soll hier nicht der Weis heit eines Denkers der Antike, die er ohne Entgelt veräußerte, gewidmet sein, sondern jenen Gütern, die bis vor kur zem für unerschöpflich galten und, well sie größtenteils kostenlos waren, für wertlos angesehen wurden. Sachzwänge härtester Art führen die Menschen da hin, zu erkennen, daß Luft, Wasser und Boden durchaus nicht unerschöpflich sind und daher höchste Wertschätzung und Intensivsten Schutz erfordern. Vor allem aber erlebt man mit peinlicher Deutlichkeit, daß nicht nur die Menge, sondern auch die Qualität von Luft, Was ser und Boden eine doppelte Wohlfahrts funktion haben. Einerseits Ist Ihre Rein heit eine unerläßliche Voraussetzung für unser Wohlbefinden und unsere Gesund heit, andererseits Ist zum Beispiel die Industrielle Produktion und die ganze Zivilisation an das Vorhandensein von solchen Grundstoffen, wie es das Wasser Ist, gebunden. Wer mir bisher gefolgt Ist, wird vielleicht sagen: Dieser Mann verwechselt die Be griffe ,,Umweltschutz" und ,,Naturschutz". Ich muß mich mit diesem Vorwurf näher auseinandersetzen. Die natürlichen Grundlagen unserer physischen und ge sellschaftlichen Existenz sind keine ab strakten Begriffe. Die Grundgüter Boden, Luft und Wasser, die der Umweltschutz des Menschen halber schützen will, fin den sich nur In einem sehr konkreten Zusammenwirken, und zwar In ökologisch gesunden Landschaften. Und nun Ist das Stichwort gefallen: Öko logie. Was vorausschauende Menschen gefühlsmäßig erkannten, Ist durch eine neue Wissenschaft, die Ökologie, voll bestätigt worden. Nämlich daß alles In der Natur In untrennbarer Schicksalsge meinschaft lebt. Jede Veränderung In einem natürlichen WIrkungsgefüge be wirkt entweder langsam oder sofort zahl reiche weitere Veränderungen vieler an derer Wirkungsketten, die oft auch mit wissenschaftlichen Methoden erst Im nachhinein erkennbar werden. Banale Beispiele beweisen dies. Werden Tiere, die eine Art Gesundheltspollzel sind, aus gerottet, so breiten sich Seuchen unter jenen Tieren aus, die nunmehr von Ihren vermeintlichen Feinden befreit wurden. Dieses Problem ist einfach und noch zu meistern. Es gibt aber komplizierte und erschreckende Beispiele zu diesem The ma. Der Mensch bemüht sich, um die rasch wachsenden Massen seiner Gat tung zu ernähren, die Insekten niederzu halten. Es erscheint dies als durchaus sinnvolles Verhalten im Kampfe gegen den Hunger der Welt. Dazu benützt der Mensch Tötungsmittel für Insekten, die etwas freundlicher auch als Pflanzen schutzmittel bezeichnet werden. Die ton nenweise erzeugten und In stetigem Stro me über die Erde ergossenen Chemi kalien gelangen unweigerlich In die özeane. Es Ist ein anerkanntes Faktum, daß manche dieser Pflanzenschutzmittel das Wachstum des Phytoplanktons hem men. Phytoplankton Ist der Name für die pflanzliche Klelnlebewelt der Meere, welches die Futterbasis für das gesamte Leben In den Meeren darstellt. Was aber ebenso schwer wiegt: Das Phytoplank ton produziert ca. 60 Prozent des Sauer stoffes der Welt. Vielleicht Ist es an den beiden Beispielen gelungen, die Verflechtungen von Ur sachen und Wirkungen In den ökologi schen Systemen verständlich zu machen. Wir selbst sind schicksalhaft In die Rie senspiralen von Ursache und Wirkung, die Quelle neuer Ursachen werden, ein bezogen. So wie es für die Menschen des Mittelalters ein Schock war, hören zu müssen, daß die Erde nicht der Mittel punkt des Kosmos sei, ebenso werden wir uns damit abfinden müssen, unserer unumschränkten Herrscherrolle abzu schwören. Denn jede Art von Lebewesen, das In Irgendwelcher Welse das Gleich gewicht störte, wurde bislang von den der Natur Innewohnenden Gesetzen grausam reduziert oder gar ausgelöscht. Wo steht es geschrieben, daß wir nicht dereinst zu den Tausenden vor uns aus gestorbenen Arten gehören werden? Ge rade die Macht, die wir durch unsere Intellektuellen Fähigkelten errungen ha ben, und die globale Ausbreitung unserer Zivilisation bringen uns dieser Gefahren zone nahe. Erschwerend Ist, daß die Hemmwirkungen der Moral sich nicht In gleichem Maße mitentwickeln. Nur ein Umdenken von kopernlkanlschem Aus maße, das den Verzicht auf zügellosen Raubbau, auf ungehemmte Expansion einleitet, kann unser Schicksal noch po sitiv beeinflussen. Es erhebt sich die Frage, welche Rolle spielen Gesetze Im allgemeinen und Ge setze bezüglich Natur und Umweltschutz im besonderen? Diese Bemühungen um Gesetzesnovelllerungen, deren Qualität übrigens Immer beachtlicher wird, sind von größter Bedeutung. Nur notorische Besserwisser können hier von kosmeti schen Versuchen sprechen. Die In Qberösterrelch Im Gange befindliche Novelllerung des Naturschutzgesetzes stellt eine wichtige, bisher nur wenig beachtete Tat sache heraus. Neben der unorganisier ten, durchaus nicht Immer dem Ge meinwohl dienenden wirtschaftlichen Ex pansion, die wir hier vorläufig ausklam mern wollen, Ist eine Hauptursache der Zerstörung der Landschaft die soge nannte Stadtflucht. Wer persönlich die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zunehmende Verschlechterung der Lebensqualität dortselbst am eigenen Leibe verspürt hat, besitzt das Recht und die Pflicht, offen darüber zu sprechen. Die einfachste und plausibelste Alternative des Städters war bislang die Flucht aufs Land. Wer Immer dem giftigen Atem, dem Lärm, dem von Hast und hysterischem Tempo 51

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