Oberösterreich, 24. Jahrgang, Heft 3, 1974

Landeskunde Wesen und Auftrag der Mundartdichtung am Beispiel Stelzhamer Franz Braumann Franz Stelzhamer beginnt seine umfang reiche und tief symbolgeladene Alters dichtung, das Reimepos ,,s' Waldfräuerl", im ersten Gesang mit den folgenden Versen: Oft stelln s' ma die Frag Und höbn's Rauwetzen an, Und ih mecht iahn 's do sagn. Wo ih das Zeuglat her hon? Mit dem ,,Zeuglat" sind Franz Stelzhamers mundartliche Dichtungen gemeint. Statt uns dann eine kurze eindeutige Aufklärung zu geben, erzählt er in 147 vierzeiligen Strophen eine sehr mysti sche Geschichte aus seiner Jugend, halb Erinnerung, halb Traum, in der ihm von einem wunderschönen Mädchen die Er füllung aller seiner Wünsche und dazu übermenschliche Fähigkeiten verspro chen werden, wenn er diesem namen losen Wesen für immer die Treue halte. Aber er müsse alles, was ihm das Leben bringe, mit dem ,,Waldfräuerl", diesem Geistwesen, teilen, das er nur in Augen blicken sehen, aber nicht fassen kann. Stelzhamer läßt das Waldfräuerl spre chen: Und wannst willst und wannst magst. Schlag dein Sächerl zu mir. Ih toal ehrlih und redlih Das Meine mit dir! Franz vermag auf einmal aus der Zeit herauszuschreiten, tritt in die Räume der Vergangenheit und der Zukunft ein, überwindet aber auch die räumlichen Schranken und kann in der Zauber schnelle der Gedanken an jeden Ort ge langen, wohin er sich wünscht. Aber wie konnte das möglich werden? Weil ihm die geheimnisvolle Erscheinung seine festgebundene Seele gelöst hatte. Das ,,Waldfräuerl" erklärt das dem Staunen den so: Aber d' See!, die sitzt aschling Bon Mensch'n in'n Hirn. Ja,sie kann sih bon zehnten Nöt umdrahn und rühm. Schau, und dir mach ih's ledig Und lös ihr an Knopf, Damit s' liegn kann und sitzen, Wia s' will in dein' Kopf. Franz erfährt noch viel vom ,,Waldfräu erl", schreitet an ihrer Hand durch alle Lebensalter bis hin zu dem Haus des Glücks, in das er eintritt und darüber sagt: 's Fenster is offen Und zwen Pappelbäm stehnt, wia dih ziemt, kam drei Schritt von da sunnseitign Wändt. Mitten in die Höhe seiner Entrückung hinein hört er einen menschlichen Anruf nach ihm aus der Ferne; sein Bruder ruft ihn nach Hause zurück. Die Erscheinung ist fort. Aber die Verheißung des „Waldfräuerls" bleibt, und die Fragenden müs sen sich mit dieser seltsamen Erklärung abfinden, ,,wo er sein Zeuglat — seine Dichtungen — her hat". Franz Stelzhamers „Waldfräuerl" wurde später als Symbol der erwachten und befreiten Phantasie gedeutet, geweckt durch die Landschaft seiner Herkunft, dem wälderumrauschten Winkel ,,übern Hausruck", befreit, als er die Lebens enge sprengte durch sein Wanderleben und zugleich aber auch hinabstieg ,,zu den Müttern" und den Quellen der Spra che ihrer Welt. Franz Stelzhamer war zu allererst Dich ter, nicht etwa sogleich Mundartdichter, geworden. Er war auch nicht in der hei matlichen Umgebung von Piesenham mit der Kunst, von der die Dichtung nur eine Form des Ausdrucks ist, bekannt gewor den. Diese Welt öffnete sich ihm erst auf dem Gymnasium der Benediktiner in Salzburg, wo er erkennen lernte, welche Macht und Gewalt in der Sprache der großen Dichter zum Vorschein kam. Und da es die hochdeutsche Sprache war, in der er mit diesen Schätzen konfrontiert wurde, hielt er anfangs die hochdeutsche Sprache für das einzig gemäße Aus drucksmittel der Sprachkunst, der Dich tung. Zehn Jahre lang schrieb er von den er sten Anfängen an, die bis in sein fünf zehntes Jahr zurückreichten, alle seine Gedichte in hochdeutscher Sprache. Ihre Inhalte lebten von dem Schwung der Ju gend und der glühend aufgenommenen Sentimentalität der eben aufblühenden, aber nicht bis in ihre dämonischen Tie fen verstandenen Zeitströmung der Ro mantik. Sein erstes im Salzburger Intelligenzblatt abgedrucktes bekanntes Gedicht beginnt: ,,Sei mir gegrüßt zum letzten Male, Traute Stadt Im flußdurchschäumten Tale! Eingehüllt in düstere Nebel glänzen Licht mit Morgenstrahl der Türme Spitzen Zeichendeutend mir beim wehen Scheiden nach." Franz Stelzhamer nahm mit diesem Ge dicht zum zweitenmal von Salzburg und gleichzeitig von seiner ersten und un sterblichen Geliebten Antonia Nikoladoni Abschied. Er zählte damals 25 Jahre und fühlte sich durch und durch als Städter und „Intelligenzler". In seiner Innviertler Mundart zu dichten, die ihm ja seit dem ersten Mutterlaut vertraut und ein geboren war, das kam ihm damals auch nicht entfernt in den Sinn. Es mußte fast noch ein ganzes Jahrzehnt vergehen, bis in ihm, eigentlich gegen seine äußeren Absichten, die Dichtung in der Mundart zum Durchbruch kam. Sein Ziel war damals das Jus-Studium an der Universität Wien. Er hatte es dabei viel schwerer als heute. Es gab nur spärlich Stipendien. Auch von dem armen Eltern haus in Piesenham war keine Unterstüt zung mehr zu erhoffen, seit er mehrmals die Schulen gewechselt hatte und eigent lich alt genug war, sich selber sein Brot zu verdienen. In seinen späteren Lebens erinnerungen schrieb Franz Stelzhamer über diese harte Zeit: ,,Wirklich seltsam muß ich anzusehen gewesen sein, wenn ich durchhungert im dünnen, schlottrigen Gewändchen so hinschritt im nässelnden Dezemberwetter. Aber in der großen, vollgedrängten Hauptstadt, wo die Augen fürs Einzelne erblinden und nur die Mas sen wahrnehmen ... wußte kein Mensch mein stündlich wachsendes Elend ..." Es ist hier nicht beabsichtigt, alle harten und bitteren Stationen von Franz Stelz hamers Lebensweg aufzuzeigen. Nur jene seien erwähnt, die später für ihn als Dichter entscheidend wurden. Aus seiner Entwicklung mögen dann auch vielleicht Erkenntnisse über Wesen und Auftrag der Mundartdichtung in der Ge genwart abgeleitet und aufgezeigt wer den. Nach einer schweren Erkrankung durch ein Nervenfieber schwebte er monatelang im Wiener Allgemeinen Krankenhaus zwischen Leben und Tod. Er konnte nicht weiterhin nach seiner endlichen Gene sung von Almosen leben und nahm ne ben seinem Studium die Stelle eines Hauslehrers bei der Familie des Apothe kers Michael Ostertag an. Die Dichtung gab er jedoch nicht ganz auf. Neben Liebesliedern an verschiedene weibliche Wesen schrieb er damals die stark auto biographische Novelle ,,Die Rückkehr vom Tode". Doch Geld brachte sie ihm nicht ein, denn sie wurde erst elf Jahre später gedruckt. Nach einem halbjährigen Intermezzo als Hauslehrer in Bielitz in ÖsterreichischSchlesien kehrte Stelzhamer nach Wien zurück, doch nicht, um das unterbrochene Jusstudium zu vollenden, sondern als Gasthörer an der Akademie der Bilden den Künste. Er hatte junge Maler ken nengelernt, und Maler zu werden, er schien ihm nun weniger aussichts- und 38

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