Oberösterreich, 23. Jahrgang, Heft 3/4, 1973

Manfred Kerle Berufsausbildung im Gewerbe Die Berufsausbildung im Gewerbe wird vor allem durch das duale System der Lehr lingsausbildung geprägt, hinter dem alle übrigen Ausbildungsformen in ihrer Be deutung weit zurücktreten. Die große Be deutung der Lehrlingsausbildung, auch „Meisterlehre" genannt, in der gewerbli chen Berufsausbildung wird verständlich, wenn man bedenkt, daß die Meisterlehre ursprünglich im Handwerk entstanden ist und ihre Entwicklung mit der Entwicklung des Handwerks immer auf das engste ver bunden war. Geschichtlicher Rückblick Die Wurzeln der Meisterlehre reichen bis in das Mittelalter zurück. In dieser Zeit stand das Handwerk in hoher Blüte, was vor allem auf die damals gebildeten frei willigen genossenschaftlichen Zusammen schlüsse von Handwerkern, die gleiche oder verwandte Gewerbe ausübten, die Zünfte, zurückzuführen war. In diesen Zünften ent stand die Meisterlehre, die nicht nur auf rein handwerkliche Ausbildung beschränkt war, sondern die Erziehung und Einord nung des Lehrlings innerhalb der Familie des Meisters und der Berufsgemeinschaft der Zunft umfaßte. Die sehr detaillierten Vorschriften der Zunft über die berufliche Erziehung erstreckten sich daher nicht nur auf die Ausbildung selbst, sondern betra fen auch das außerberufliche und private Leben. Die Vorschriften enthielten hohe Leistungsanforderungen an Meister und Lehrlinge und regelten u.a.: Voraussetzung für die Aufnahme von Lehrlingen, Dauer der Probezeit und der Lehrzeit, das Lehrgeld, die Zahl der Lehr linge, die der Meister gleichzeitig in den Betrieb aufnehmen durfte, die tägliche Ar beitszeit, die Aufteilung der Kosten für Unterkunft, Ernährung und Bekleidung zwischen Meister und Lehrlingen, die Un terweisung der Lehrlinge im Betrieb, die gegenseitigen Rechte und Pflichten,sowie die Freisprechung. Auf die Einhaltung dieser Vorschriften wurde streng geachtet und Zuwiderhandelnde mit empfindlichen Stra fen belegt. Die Zunft wachte über Ausbil dung, Recht, Ordnung, Brauchtum und Sitte. Der Weg des Handwerkers führte über Lehre, Wanderschaft, Gesellenzeit zur Meisterprüfung und Aufnahme in die Mei sterzunft. Mit dem Niedergang der Zünfte, der durch die merkantilistische Wirtschaftspolitik und direkte staatliche Eingriffe verursacht wurde, brach auch das zünftische Berufs ausbildungssystem zusammen. Der Tief punkt dieser Entwicklung wurde mit der Einführung der Gewerbefreiheit erreicht, da die Gewerbefreiheit nicht, wie erwartet, ein Wiedererstarken des Handwerks, son dern vielmehr dessen weiteren Niedergang bewirkte. Der Umschwung wurde mit der Gewerbe ordnung vom 20. 11. 1859 erreicht. Diese hob die vollkommene Gewerbefreiheit wie der auf, brachte ein einheitliches Gewerbe recht und enthält Bestimmungen über die Lehrlingsausbildung, womit der Grundstein für die heutige Lehrlingsausbildung gelegt wurde. Eine weitere Entwicklung brachte die Gewerbeordnungsnovelle von 1883, die die handwerksmäßigen von den freien Ge werben unterschied und mit der Einfüh rung eines Befähigungsnachweises zum An tritt des handwerksmäßigen Gewerbes auch direkte Auswirkungen auf die Lehrlings ausbildung hatte. Eine weitere Änderung der Vorschriften über die Lehrlingsausbil dung brachte die Novelle von 1907, die die bisherigen Bestimmungen ausbaute, das Recht der Lehrlingshaltung von weiteren Voraussetzungen abhängig und die Gesel lenprüfung obligatorisch machte. Mit dieser Novelle waren die grundlegenden Vor schriften über die betriebliche Lehrlingsaus bildung in der Gewerbeordnung verankert. Linz • Figulystr. 1 (b. Volksgarten)• Tel. 55066

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