Oberösterreich, 23. Jahrgang, Heft 3/4, 1973

ger Hinsicht auch die Bindungen zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und ihren Mitarbeitern zur Geltung kamen und sich Oberösterreich schon damals durch ein besonderes „Sozialklima" auszeichnete, gab z. B. der 1868 ins Leben gerufene „Arbei ter-Bildungsverein für die Stadt Linz und Umgebung" zu erkennen, dem jeder Arbei ter, aber auch jeder Gewerbetreibende, der nicht mehr als zwölf Gulden an direkter Steuer zahlte, als „ordentliches Mitglied" beitreten konnte. Als „unterstützendes Mit glied" war jedermann willkommen. Im Rahmen der „Förderung der geistigen und materiellen Interessen des Arbeiterstandes" wurde u. a. die Errichtung einer allgemeinen Kranken- und Invalidenkasse angestrebt. Der Verein wurde auch von der Handels und Gewerbekammer anerkannt und ge fördert, die sich damit weiterhin als An waltschaft aller in der Wirtschaft Tätigen deklarierte. Die Verlagerung des politischen Schwer gewichtes in Österreich auf die katholisch konservativen Kräfte brachte die erste große Etappe der Sozialgesetze und 1883 eine Reform des Gewerberechtes, die besonders den Wünschen des kleinbürgerlichen Handwerks entgegenkam. Zugleich mit der Wiedereinführung des Befähigungsnach weises wurde auch das gewerbliche Genos senschaftswesen (nicht zu verwechseln mit den heutigen Erwerbs- und Wirtschaftsge nossenschaften) aktiviert, das 1859 die früheren Innungen und Zünfte in einer zunächst unbefriedigenden Weise abgelöst hatte, so daß Zeitgenossen von einer „Periode der Desorganisation" sprachen. Die neuen gesetzlichen Möglichkeiten führ ten allerdings in den ersten Jahren zu einer „Organisation um jeden Preis" bzw. einer Vielzahl kleiner und kleinster Genossen schaften, in denen die verschiedensten Ge werbesparten vereinigt waren. Erst in den neunziger Jahren kam sodann die zweck mäßige „Verfachlichung" des gewerblichen Organisationswesens und eine harmoni schere territoriale Gliederung zum Durch bruch. Obwohl 1886 in Linz bereits der erste Genossenschaftsverband Österreichs ge gründet wurde, war die Aufsplitterung um die Jahrhundertwende noch immer sehr groß. 1902 wurden in Oberösterreich 659 gewerbliche Genossenschaften gezählt, hiervon 133 Fachgenossenschaften, 167 Ge nossenschaften nicht verwandter Gewerbe und 24 Kollektivgenossenschaften. Ihre Zahl erhöhte sich sogar noch auf 690, — vorwiegend jedoch durch eine Zunahme der Fachgenossenschaften um 81. Der Mit gliederstand erreichte 1908 insgesamt 36.225 Gewerbetreibende, die 24.133 ge lernte Gehilfen beschäftigten und 7612 Lehrlinge heranbildeten. Als Zentren der aktiven Kräfte des Hand werks stellten sich die Gewerbegenossen schaften insbesondere die Förderung des Gemeinschaftswesens an sich, die Verbes serung sozialer Einrichtungen, wie etwa der Kranken- und Altersversorgungskassen, und als ein weiteres Hauptziel die Schaffung zeitgemäßer Einrichtungen des gewerblichen Schul- und Weiterbildungswesens zur Auf gabe. Die hierbei in Oberösterreich ent faltete Initiative zum verbandsmäßigen Zu sammenschluß fand auch in anderen Län dern Widerhall und gab den Anstoß zu einer schließlich das ganze deutsche Sprach gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie erfassenden Bewegung. Der große Markstein aus jener Zeit der Ge werbepolitik in Oberösterreich war das 1908 in Linz eröffnete „Gewerbeförderungsinsti tut", aus dem später das heutige „Wirtschaftsförderungsinstitut der Kammer der gewerblichen Wirtschaft" hervorgegangen ist. Damals sollte es „eine Zentrale für gewerbliche Angelegenheiten jeder Art und für das ganze Land werden", dessen Pro gramm alles umfaßt, „was sich unter dem Begriff Gewerbeförderung subsumieren läßt." Damit hatte das oberösterreichische Ge werbe im ersten Jahrzehnt unseres Jahr hunderts wirtschaftlich, strukturell und organisationsmäßig einen Standard erreicht, der es befähigte, die schwierigen Versor gungsaufgaben im Ersten Weltkrieg zu er füllen und sich in den wechselvollen Zeit läuften der Inflation, der hektischen Kon junkturschwankungen in den späten zwanziger Jahren sowie schließlich der gerade für Osterreich verheerenden Welt wirtschaftskrise als ein stabilisierender Faktor zu behaupten. Der obige statistische Vergleich zwischen 1897 und 1930 erhellt trotz aller Ungenauigkeiten und Fragezeichen, die sich aus den in der Zwischenzeit erfolgten Ände rungen in der Berufsbezeichnung usw. er klären, die Tatsache, daß der schon in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahr hunderts einsetzende Strukturwandel sich in seiner Art weiter fortsetzte, wobei jedoch ein beachtenswerter Teil der großen Ge werbesparten, wie etwa die Nahrungsmittel- und Bekleidungsgewerbe, aber auch die Holzverarbeitung etc., eine hohe Be standsfestigkeit bewies. Stark war selbst in den Krisenjahren die Expansion in jenen Gewerbezweigen, die sich auf neue Entwicklungen des techni schen Fortschrittes begründeten, wie z. B. des elektrischen Energiewesens, der Motorisierung des Straßenverkehrs, der sanitären Einrichtungen in Wohnung und Haushalt usw. So stieg allein in den Jahren von 1926 bis 1928 in Oberösterreich die Zahl der Elektroinstallateure, die um die Jahrhundertwende in der Statistik über haupt noch nicht verzeichnet waren, von 250 auf 268, bei den Gas- und Wasser leitungsinstallateuren von 127 auf 134 und bei den Mechanikern, die damals noch nicht die gewerberechtliche Spezialisierung in eine eigene Gruppe der Kfz-Mechaniker kannten, von 131 auf 138. In einem Bericht über die Lehrlingssituation hieß es; „Von der berufsuchenden Jugend wird das Mechaniker- und Maschinen schlosser- sowie Elektroinstallationsgewerbe am meisten bevorzugt. Günstig ist die Lage für den Spenglernachwuchs, da sich für diesen in der im Aufblühen be griffenen Autoindustrie neue Arbeitsmög lichkeiten ergeben." In der Wirtschaftsvertretung des Landes wurde durch das Handelskammergesetz von 1920 mit einer Änderung der bisherigen formalen Unterteilung in eine Handels- und Gewerbesektion nunmehr der in den letzten Jahrzehnten eingetretenen Entwicklung in sofern Rechnung getragen, als eine Glie derung in drei Sektionen vorgenommen wurde, — für Handel, Gewerbe und Indu strie —,die vor allem auch den Erfordernis sen des notwendigen Interessenausgleiches mehr entgegenkam als der vorherige Status. Die Genossenschaften bzw. Genossen schaftsverbände blieben als fachliche Organisationen weiter bestehen und wur den dann nach 1934 im Gewerbebund zu sammengefaßt. Das Jahr 1938 brachte vor übergehend die organisatorische Verselb ständigung des Gewerbes nach deutschem Muster in Form der Handwerkskammer, die jedoch mit einer freien Standesver tretung des Gewerbestandes nichts mehr gemein hatte. Wirtschaftlich repräsentierte das oberöster reichische Gewerbe zu Kriegsausbruch mit ca. 72.000 Beschäftigten eine Potenz, die — nach Arbeitskräften bemessen — etwa um ein Fünftel über jener vor dem Ersten Weltkrieg lag. Die Produktions- und Lei stungskapazität hatte freilich wesentlich stärker zugenommen. Aber auch der Industrialisierungsprozeß in Oberösterreich war weiter vorangeschritten. Der indu strielle Beschäftigtenstand näherte sich 1938 mit 65.000 Arbeitern und Angestellten schon jenem des Gewerbes, das zudem bald nach Kriegsbeginn durch Einberufun gen, Dienstverpflichtungen usw. stärkste Einbußen hinnehmen mußte. Bis 1942 ver ringerte sich die Zahl der Handwerksbe triebe im damaligen „Gau Oberdonau" von 23.000 auf 15.430, jene der gewerblichen Beschäftigten auf rund 48.000. Trotz dieser und weiterer Beeinträchtigun gen, zu denen später noch die direkten Kriegszerstörungen kamen, war das Ge werbe nach 1945 jener Wirtschaftsbereich, dessen Anpassungsfähigkeit und Improvi sationskunst den Hauptanteil am Erfolg des ersten Wiederaufbaues aus Schutt und Trümmern hatte. Die bald wieder ca. 23.000 Gewerbebetriebe im Lande, die schon in den ersten Nachkriegsjahren rund 80.000 Menschen beschäftigten, prägten durch ihren Einsatz die große, man kann sagen „heroische Pionierzeit" des Handwerks. Auf seinen Leistungen gründete sich nicht nur

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