Oberösterreich, 23. Jahrgang, Heft 3/4, 1973

Franz Pisecky Das oberösterreichische Gewerbe in historischer Sicht Oberösterreich besitzt mit seiner 1951 von der Kammer der gewerblichen Wirtschaft herausgegebenen zweibändigen „Wirt schaftsgeschichte des Landes Oberöster reich" eine wirtschaftshistorische Landes kunde, wie sie kein anderes Bundesland aufzuweisen hat; eine universell zusam menfassende Geschichte des oberöster reichischen Gewerbes ist jedoch bisher ebensowenig geschrieben worden wie etwa eine solche für Gesamtösterreich. Dabei geht es in diesem Zusammenhang nicht nur um ein Stück Landesgeschichte in wirtschaft licher Beziehung, sondern ebenso auch in kultureller, technologischer, gesellschaftli cher und politischer Hinsicht. Die Kontinuität in der Entwicklung des oberösterreichischen Gewerbes läßt sich bis in das Mittelalter zurückverfolgen, wo sich von der zunächst „geschlossenen Hauswirt schaft", die auch die meisten handwerk lichen Versorgungsarbeiten und zugleich die für den Verbrauch der bäuerlichen Er zeugnisse erforderlichen VeredelungsVor gänge umfaßte, allmählich die vorerst über wiegend ländlichen Gewerbezweige ab spalteten und verselbständigten. Aus ihnen entwickelte sich auch eine Vielzahl jener gewerblichen Produktionszweige, welche, wie etwa die in späteren Jahrhunderten weit verbreitete Leinenweberei,so z. B. aber auch die Hafnerei, die Brauer, Köhler usw., nicht nur für den örtlichen Bedarf produ zierten, sondern ebenso für den Fernhandel, und damit der Wirtschaftsstruktur des Landes ein ganz bestimmtes Gepräge ver liehen. Ein eigenes Kapitel sind ferner die Bootsbauer, Glashütten, Papiermühlen, sowie insbesondere die Eisen- und Sensen erzeugung, welche schon frühzeitig industrielle Merkmale in das Geschehen brachten und als ein Ansatz dafür gewertet werden können,daß in den meisten Produk tionsbranchen, die heute industriell be trieben werden, dem Handwerk die ent wicklungsmäßige Vaterschaft zuerkannt werden muß. Es wäre auch verfehlt, an nehmen zu wollen, daß etwa nur Salz, Eisenwaren und Mühlviertier Leinen in früheren Jahrhunderten oberösterreichische Exportartikel waren. Es zählten hierzu ebenso Erzeugnisse der Gerber und Lederer, der Holzwarenerzeuger sowie zahlreicher anderer Gruppen, die sonst üblicherweise nur für die Deckung des örtlichen Bedarfes tätig waren und sind. Das Zunftwesen, — der Kampf um die Zunftfreiheit und Zunftpolitik beeinflußte hierbei Generationen lang die Beziehungen zwischen Landesfürsten, Grundherren und Städten, sowie innerhalb der Siedlungen das Verhältnis zwischen den handelstrei benden Bürgern und den produzierenden Gewerbetreibenden, die über ihre Zunft sich eine Mitsprache in der Gemeinschaft sichern wollten. Für den Kulturhistoriker von Interesse ist es, daß u. a. die schul mäßig betriebene bürgerliche Lieddichtung des Meistergesanges auch in Oberösterreich beheimatet war und etwa Hans Sachs vor allem zur Welser Meistersingerschule in engem Kontakt stand. Das Zeitalter des Merkantilismus brachte nicht nur die Entstehung von Manufakturen und staatlich privilegierten frühindustriellen Großunternehmungen, sondern im Zusam menhang mit einer forcierten Förderung von Handel und Produktion unter der Kaiserin Maria Theresia auch eine recht liche Neuorganisation der Gewerbe. Sie wurden nunmehr in Kommerzialgewerbe eingeteilt bzw. in solche, die für einen größeren Absatzmarkt und für den Export tätig und damit im Sinne der merkantilistischen Grundsätze für die Erreichung einer aktiven Handelsbilanz von Bedeutung waren, sowie in eine zweite große Gruppe der sogenannten Polizeigewerbe, die, wie z. B. Schneider, Schuster, Wagner, Maurer und dergleichen, vornehmlich der örtlichen Bedarfsdeckung dienten. Zugleich trat eine weitgehende Lockerung der zünftischen Bindungen ein, wie etwa der durch die Zünfte festgelegten Beschränkung in der Zahl der Betriebe, der Beschäftigten oder des Produktionsquantums, — Regelungen, die in einer Zeit der Abkehr vom einstigen Grundsatz des nur „auskömmlichen Da seins" immer mehr als fortschrittsfeindlich empfunden werden mußten. Aus den letzten Jahrzehnten des 18. Jahr hunderts stammen auch die ersten amt lichen, allerdings zum Teil durch verschie dene Zählsysteme ziemlich ungenauen Ge werbestatistiken, die immerhin schon mancherlei Anhaltspunkte für die wirt schaftliche Struktur im Lande und hier wiederum für jene des gewerblichen und handwerklichen Bereiches vermitteln. Laut den in den Jahren 1754 bis 1760 ange fertigten „Tabellen über die in allen vier Vierteln des Landes Österreich ob der Enns befindliche Anzahl der Professionisten, Künstler und Handwerker" wurden 20.156 selbständige Meister gezählt, die in 128 Berufen tätig waren. Die Zahl der Fabriken war noch völlig unbedeutend; 1782 wurden vier registriert und 1806 insgesamt 27. Die amtliche Statistik, die ab 1830 geführt wurde, unterschied in späterer Folge zwi schen Polizei- und Kommerzialgewerbe, wobei hier auch die Handelsgewerbe mit gezählt wurden. Die Gesamtzahl der Gewerbe in Oberöster reich betrug hiervon 1830: 37.467 1835: 36.849 1846: 39.914 Polizei gewerbe 22.747 25.278 Kommerzial gewerbe 14.132 14.636 Die Summe aller Fabriken in Oberösterreich erreichte Wenn auch dieser Statistik noch manche Ungenauigkeiten anhaften, zeigt sie doch an, daß das Zeitalter der Frühindustriali sierung in Oberösterreich vor allem von zwei Entwicklungsrichtungen gekenn zeichnet war, — einerseits von einer starken Zunahme der Zahl der neuen Fabriken, andererseits von einer erheblichen Ver mehrung der Polizeigewerbe, also der für den örtlichen Bedarf arbeitenden Betriebe, die zumeist identisch waren mit den Kleinst unternehmern bzw. Alleinmeistern. Die Fabriken waren in der überwiegenden Zahl noch Manufakturen, in denen die Er zeugung handwerklich vor sich ging. So standen 1841 in Oberösterreich erst zwei Dampfmaschinen in Betrieb. Trotz der relativ bescheidenen Ausstattung der Fabriken verzeichneten sie einschließ lich der zahlreichen Heimarbeiterschaft etwa in der Textilproduktion einen be-

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