Oberösterreich, 23. Jahrgang, Heft 1, 1973

Anton Wilhelm Oberösterreichische Eisenbahngeschichte und oberösterreichisches Eisenbahnmuseum Sämtliche Aufnahmen; M. Eiersebner In der Baugeschichte der europäischen Eisenbahnen stehen Oberösterreich und Linz an erster Stelle. England kann zwar mit der 1825 eröffneten,fünf Meilen langen Strecke Stokton—Darlington den Primat für sich in Anspruch nehmen, auch Frankreich auf die 1827 fertiggestellte Kohlenbahn von St. Etienne nach Andrezieux hinweisen. Die durch Franz Anton Ritter von Gerstner 1825 begonnene Holz-Eisenbahn Budweis— Linz und ihre 1836 beendete Verlängerung nach Gmunden mit einer Gesamtlänge von 200 Kilometern verdient jedoch mit Recht die Bezeichnung: erste kontinental-europäi sche Eisenbahn. Ihr Bau kostete 2,3 Mil lionen Gulden, der Wagenpark umfaßte im Jahre 1836 über 500 Frachtfahrzeuge und 60 Personenwagen. Die Bahn beförderte in diesem Jahr 170.000 Personen und 100.000 Tonnen Güter, darunter 15.000 Tonnen Salz. Durch Überwindung bedeutender Höhen unterschiede und ihre zahlreichen Kunst bauten war die Bahn Urbild aller später erbauten Gebirgsbahnen. Anton Ritter von Gerstner machte, wie wir heute wissen, einen Grundfehler, indem er sein großes Vorhaben verkehrt begann. Hätte er zu erst die Flachstrecke Linz—Gmunden in Angriff genommen und ausgeführt, wäre er Herr der Lage geblieben. So aber ver sagten seine Vorstellungen mit den Schwie rigkeiten einer Überwindung der Wasser scheide Moldau—Donau. Bei dem Mangel an Erfahrungen und echten Vorbildern bereitete der Bahnbau zu große Schwierig keiten. Hinzu kamen die Anfeindungen der Grundbesitzer, Anrainer, Salzfuhrwerker und der am Salzhandel beteiligten Ge schäftswelt. Die Geldgeber bezichtigten ihn der Verschwendung, hatte er doch darauf gedrungen, die Trasse so zu gestalten, daß sie später auch für Lokomotiven befahrbar war, denn der Triumph der Lokomotiven stand knapp bevor. Viele hielten Franz Anton Ritter von Gerstner sogar für ver rückt und bestaunten die Geduld seiner Auftraggeber. So mußte er sich im Jahre 1829 mit dem Verlust seines Vermögens von seinem Werk ins Ungewisse zurück ziehen, vereinsamt starb er 1840 im Alter von 44 Jahren zu Philadelphia. Spät erst haben ihn Vaterland und Wissenschaft in den Olymp des Geistes aufgenommen und als Begründer unseres Eisenbahnwesens erkannt. Nach ihrem 1836 erfolgten End ausbau und einer bis 1840 abgeschlossenen Konsolidierung des Betriebes hatte die Pferdebahn auch einen vollen finanziellen Erfolg. Ihr offizieller Name lautete K. K. Privilegierte erste österreichische Eisenbahngesellschaft, sie war und blieb trotz großartiger Namensgestaltung eine altväterlich biedermeierliche Einrichtung mit heute unvorstellbaren Mängeln und Unzu kömmlichkeiten. Im Betrieb fehlte die Fern meldung, der Morsetelegraf war erst seit 1846 aktuell. Es gab keine sanitären Ein richtungen, im Notdurftsfall kamen die Passagiere, besonders Frauen, in peinliche Verlegenheit und wurden zusätzlich als zimperlich verlacht. Das Personal, die Bahnknechte, waren ganz und gar auf Trinkgeld eingestellt, Bakschisch spielte eine bedeutsame Rolle. „Bahnodeur" wa ren Knoblauch und Schnapsgeruch, denn gerade in dieser Zeit grassierten Faulfieber und Cholera. (Die geschlossene Volks meinung bezeichnete den Genuß von Schnaps und Knoblauch als wirksamstes Mittel gegen Ansteckung, besonders auf Reisen.) Ein unvergessenes Ereignis blieb die Einführung des Eokomotivbetriebes im Jahre 1855 auf der Strecke Linz—Gmunden. Die Bahn führte damals in Wels über den Josefplatz und dort war der Bahnhof neben einem Uhrturm eingerichtet. Sooft nun der Zug mit der Dampf und Ruß speienden Lokomotive „Wels" über den belebten Platz fuhr, bestaunte das Publikum dieses Ungeheuer, viele bekreuzigten sich, um keinen Schaden zu nehmen, man konnte nur ahnen, wer diese Räder trieb, der „Gott sei bei uns!" Schließlich gewöhnte man sich auch daran. Die Betriebsdauer der Bahn währte auf der Strecke Linz— Gmunden 20, auf der Pferdebahnstrecke Budweis—Linz volle 40 Jahre. Mit der Eisenbahn, der Einführung der Dampf schiffahrt 1837, des Morsetelegrafen im Jahre 1846 und den industriellen Gründun gen begann in Oberösterreich ein deutlich spürbarer Aufschwung. War unser Heimatland durch Gerstners Holz-Eisenbahn schon in den Genuß eines geregelten Uberlandverkehrs gekommen, so drängte jetzt die Wirtschaft nach einer großangelegten, länderverbindenden Staatseisenbahn. Besonders die oberösterLokomotive Wels der Ersten k. k. privilegierten österreichischen Eisenbahngesellschaft für die Strecke Linz — Gmunden

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