Oberösterreich, 22. Jahrgang, Heft 2, 1972

bereitung des Vandalenfeldzugs und der Aufstellung des donaugermaniscben Heeres in Verbindung zu bringen ist. Wenn dies richtig ist, mufi der Konsul im Jahre 461 auch in den Sturz Maiorians hineingeris sen worden sein. Tatsächlich spricht auch Eugipp von den Gefahren einer weiten Reise, denen Severin auf wunderbare Weise entgangen sei. Man ist versucht, dabei an eine Flucht in das Gebiet des oströmischen Reiches zu denken. Ein weiteres Indiz für die Identität von Konsul und Heiligem stellen die Todesdaten dar. Wie Chastagnol bemerkte, ist das Todesjahr des Konsuls zwischen Ende 481, dem Zeitpunkt seiner Designation, und 490 anzusetzen. Der Hei lige aber starb, wie Eugipp überliefert, am 8. Jänner 482! Die einen gewissenhaften Forscher ange sichts dieser letztlich nicht zwingenden Schlüsse immer wieder beschleichenden Zweifel, ob so entscheidende Tatsachen in der Lebensbeschreibung des Heiligen wirk lich hätten unterdrückt werden können, werden durch die Überlegung gedämpft, daß Eugipp in jedem Falle — ob er nun davon wußte oder nicht — das am schwer sten wiegende Faktum, die Zugehörigkeit Severins zur Rangklasse des lUustrJissimjats, nicht erwähnte. Wenn er diesen Um stand verschwieg, kann er ebensogut auch den Konsultitel unterdrückt haben, der zu jener Zeit nicht mehr als eine spezifische Ehrung darstellt, die den Aufstieg in die Rangklasse der Illustres-Illustrissimi be reits voraussetzt. Auch müssen wir beden ken, daß bei Abfassung der Vita ein hal bes Jahrhundert seit diesem Konsulat ver strichen und inzwischen auch das weströmi sche Reich längst zugrunge gegangen war. Weniger Anstoß als das Verschweigen des Konsultitels dürfte der Umstand erregen, daß ein Heermeister oder Konsul sich der Anachorese ergibt, Kirchen und Klöster gründet und ein heiligmäßiges Leben führt. Prinz wies schon auf zahlreiche Fälle hin, in denen Angehörige des Senatorenstandes aus der „heißgelaufenen Maschinerie" des spätantiken Staatsapparats ausscherten, um nach strenger asketischer Schulung in einem Kloster zu den höchsten Rängen der kirch lichen Hierarchie aufzusteigen. Andere Glieder der römischen Aristokratie grün deten Klöster und Kirchen auf ihren Be sitzungen, die bereits alle Merkmale von Eigenkirchen trugen. So erbaute der all mächtige Minister am oströmischen Kaiser hof, Rufinus, gegen Ende des 4. Jahrhun derts auf seinem Landbesitz neben einem prunkvollen Mausoleum eine Kirche mit dazugehörigem Kloster, das er mit ägypti schen Mönchen besetzte. Zur selben Zeit hören wir von der Gründung des Klosters Primuliacum, das der vertraute Freund und Biograph des heiligen Martin, Sulpicius Severus, auf seinem Landgut anlegte. Von dem Zeitgenossen des Severin, dem Heer meister Flavius Theodobius Valila besitzen wir gar noch die Gründungsurkunde einer Kirche auf seinen umfangreichen Besitzun gen im Raum von Tivoli. Im Lichte dieser Beobachtungen sind wir fast versucht, auch die Klostergründung Se verins bei Favianis (Mautern) als eine Art von Hauskloster anzusehen, zumal die Mönche später die Verpflichtung empfan den, den Leichnam ihres Gründers an den neuen Standort der Klostergemeinde zu überführen, um dort das Seelenamt am Grabe des Stifters weiterhin versehen zu können. Wenn Severin im übrigen, wie Eugipp sagt, auf die von ihm erstrebte Anachorese ver zichtete, um den Menschen des Donaulan des in ihrer Not beizustehen, werden wir an den allmächtigen Comes Africae und späteren Heermeister Bonifatius erinnert, den der heilige Augustin selbst von seinem Vorhaben abbrachte, sich ins Kloster zu rückzuziehen. Augustin begründete seinen Rat damit, Bonifatius könne in seiner ver antwortungsvollen Stellung besser zum Wohle der christlichen Bevölkerung wirken. Demnach werden wir in Severin fortan eine Persönlichkeit sehen, die zunächst in lei tender Funktion des römischen Staatsorga nismus tätig war, im Umbruch der Zeiten, wie dies Ladner beschrieb, eine innere Be kehrung erlebte, jedoch das ursprünglich angestrebte Ziel einer Verwirklichung des kontemplativen Ideals in der Anachorese wieder aufgab zugunsten einer aktiven Für sorgetätigkeit, die unter vollem Einsatz sei nes Ansehens und seiner Fähigkeiten der notleidenden Bevölkerung an der Donau wirksamen Schutz zu bieten vermochte. So fand sich Severin nach der durch den Zu sammenbruch des weströmischen Reiches verursachten Auflösung der Limesorgani sation und dem Abreißen der Bindungen an die Zentralgewalt an der Spitze eines mehr oder weniger autonom gewordenen Gebie tes, dessen Verwaltung und Verteidigung er in eigener Verantwortung und mit eige nen Kräften zu organisieren hatte. In die ser Stellung ist er wiederum mit einer An zahl spätrömischer Statthalter zu verglei chen, die — von der Zentralgewalt mehr oder weniger im Stich gelassen — die ihrer Oberleitung anvertrauten Gebiete zu eige nen Herrschaftbereichen ausbauten, wobei teilweise sogar Tendenzen einer Dynastie bildung erkennbar sind. So wirkte in Nord gallien Aegidius und später dessen Sohn Syagrius, in Spanien Nepotianus, in Dalmatien dessen naher Verwandter Marcelli nus, dem später sein Neffe Nepos nach folgte. Letzterem wurde sogar zeitweise die weströmische Kaiserkrone zuteil. Neben diesen spätantiken Lokalherrschern im zerfallenden Westreich steht Severin wie keine andere Gestalt unmittelbar auf der Grenzscheide zum Mittelalter. Einerseits Angehöriger der höchsten Adelsklasse des Imperiums und hoher Beamter im Dienste des Kaisers, stellt er sich nach innerer Be kehrung und einem vorübergehenden Auf enthalt in einer Wüste des Ostens wie derum den Forderungen seiner Gegenwart, um — durchdrungen von der Hoffnung auf eine innere Erneuerung der Menschheit im christlichen Glauben — sein segensreiches Wirken in dem von den Nöten der Völker wanderung besonders hart geprüften Grenzland an der oberen Donau zu begin nen. Er macht dabei keinen Unterschied zwischen Römern und Germanen, befinden sich doch auch unter seinen Mönchen Bar baren, auch versagt er diesen selbst dann nicht Linderung ihrer Leiden, wenn sie Arianer sind. Severins Wirken im Ost alpen-Donau-Raum würde letztlich unver ständlich sein, wenn dies, wie es die nach Italien geflüchtete Mönchsgemeinde später darstellte, im Bewußtsein der endgültigen Räumung dieser Gebiete geschehen wäre. Severins Tätigkeit setzt vielmehr ein siche res Wissen um die in der Zukunft frucht bare Verschmelzung von Germanentum, römischer Kultur und christlicher Verkündi gung voraus, die Gewißheit, daß die im christlichen Glauben vereinten Völker eine neue Welt schaffen würden, welche den inneren und nicht aufzuhaltenden Verfall der spätantiken Zivilisation überdauern sollte. So erweist sich Severin als Seher, Prophet und Verkünder eines neuen Men schenbildes, einer neuen Auffassung von den Aufgaben des Staates, einer neuen Form der Verwirklichung menschlicher Ge meinschaft in christlicher Nächstenliebe. Sein Streben ist zugleich ein Vermächtnis an die Nachwelt, eine Aufgabe, um deren Verwirklichung wir noch immer ringen. Literatur Chastagnol, A., Le senat romain sous le regne d'Odoacre,Bonn 1966. Diesner, H. J., Severinus und Eugippius; in: Kirche u. Staat im spätrömischen Reich. Auf sätze z. Spätantike u. zur alten Kirche, Ber lin 1963, S. 155-167. 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