Oberösterreich, 22. Jahrgang, Heft 2, 1972

hatte in einem Fall die spirituelle Deutung der sich selbst entzündenden Kerze als innere Erleuchtung die Weiterung zur Folge, daß Gottesleugner durch die wun derbare Entzündung einer Anzahl von Ker zen, die den Gläubigen gehörten,zum wah ren Bekenntnis und zur Buße geführt wur den. Die Vermehrung der Objekte, hier der Kerzen, stellt ein typisches Element der Legendenbildung dar, worauf wir bereits hinwiesen. Im Lichte dieser Beobachtungen wird deut lich, daß — auch wenn wir Eugipp ein ho hes Maß subjektiver Glaubwürdigkeit zu sprechen — dennoch keine seiner Nachrich ten ohne genaue Überprüfung des Kon textes auf typologische Bezüge übernom men werden kann. Tatsächlich führt die Berücksichtigung des Prozesses der hagiographischen Stilisierung mitunter zu Deu tungen, die dem Wortlaut der durch die hagiologische Perspektive verzerrten Über lieferung geradezu entgegengesetzt sind. So ergibt sich etwa, daß die Gestalt des heiligen Severin dem Vorbild alttestamentlicher Propheten und Bußprediger ange glichen worden ist. Dementsprechend ist auch die Darstellung von dem Auszug der christlichen Bevölkerung des Donauufer landes in ein Land der Freiheit nach dem Muster des biblischen Exodus gestaltet wor den, während es sich in Wirklichkeit um eine gewaltsame Evakuierung des dem Rugierkönig unterworfenen Gebietes zwischen Enns und Wiener Wald durch Odoakers Truppen gehandelt hat. Dem Schema vom biblischen Exodus zuliebe behauptet Eugipp auch immer wieder, die gesamte römische Bevölkerung hätte üfernorikum verlassen. Trotzdem ergibt sich aus einer genauen Analyse der Vita, daß dies nicht der Fall gewesen sein kann, vielmehr bestätigt sie indirekt den Befund archäologischer und sonstiger Forschungen, nach denen ein Großteil der Provinzialen vor allem im Gebiet westlich der Enns um die Städte Lauriacum (Lorch-Enns) und luvavum (Salzburg)im Lande geblieben ist. Als typologische Umformung im Sinne eines hagiographischen Motivs erweist sich auch die Darstellung eines Schlachtensieges, den der römische Kommandant des Ufer kastells Favianis (Mautern) gegen eine ger manische Streifschar errang, nachdem ihn Severin zum Angriff ermutigt hatte. Die Angabe, der Tribun habe nur sehr wenige Soldaten gehabt und diese seien kaum be waffnet gewesen, galt der Forschung bis her als Beleg für den Verfall der Limes organisation im Donauraum. Tatsächlich erweisen aber zahlreiche Parallelen aus Heiligenlegenden des 5. und 6. Jahrhun derts, die ihrerseits auf alttestamentliche Muster zurückgehen, diese spezifischen Züge als hagiologische Stilisierung. Im Zu sammenhang mit einer anderen Mitteilung des Eugipp, wonach bis zum Zusammen bruch des Römischen Reiches die Truppen am rätisch-norischen Donauabschnitt aus öffentlichen Mitteln unterhalten wurden, und mit einer Nachricht des Apollinaris Sidonius zum Jahre 467 über Abwehr erfolge der Noriker gegen die Ostgoten ergibt sich vielmehr, daß entgegen allen Erwartungen die römische Reichsverteidi gung am Donaulimes zwischen Künzing und Wiener Wald noch bis zum Sturz des letzten weströmischen Kaisers durch Odoaker im Jahre 476 intakt war. Sie muß daher nach dem Abzug der Hunnen re organisiert und, wie aus der Vita zu ent nehmen ist, vorwiegend von Einheiten ge tragen worden sein, die sich aus der ein heimischen — stark mit Veteranen durch setzten — Bevölkerung rekrutierten. Wenn nun eine Anzahl historischer Fakten — obwohl nur unter hagiographischer Über malung erhalten — bei Anwendung einer dem Gegenstand angemessenen Methode noch zu rekonstruieren ist, so müssen wir doch damit rechnen, daß wesentliche Be standteile der ursprünglichen Severintradi tion in Vergessenheit geraten sind, sofern sie sich nicht in den durch die hagiographische Konzeption vorgegebenen Rahmen einfügen ließen. Tatsächlich äußert Eugipp in dem bereits erwähnten Begleitbrief an Paschasius, Severin habe nicht gewünscht, daß über seine Herkunft und sein Vorleben gesprochen werde. Eugipp scheint dabei nicht nur, wie schon Prinz erkannte, auf die hochadelige Herkunft des Heiligen anzu spielen, sondern darüber hinaus auf eine offenbar früher bekleidete hohe Amtsstel lung:„Was nützt einem Diener Gottes der Hinweis auf seinen hohen Rang oder seine Abstammung (significatio loci vel generis), wenn er durch deren Verschweigen die Gefahr der Überheblichkeit besser vermei den kann?" Eugipp selbst räumt ein, die Sprache Severins habe ihn als Angehörigen der Bildungsschicht ausgewiesen, betont jedoch, er wisse nichts Genaues über seine Herkunft. Indessen scheint er an dieser Stelle ihm bekannt gewordene Einzelheiten zu verschweigen, folgt dabei allerdings einem in der Heiligenvita dieser Epoche weithin geübten Brauch. So sind wir denn nicht allzusehr über rascht, wenn wir in einer anderen zeit genössischen Quelle, der um 506 von Ennodius verfaßten Lebensbeschreibung des Eremiten und Mönches Antonius von Lerins lesen, Severinus sei ein „Inlustrissimus vir" gewesen. Über die Bedeutung dieser Aussage kann es kaum einen Zwei fel geben: Unzählige Zeugnisse von Zeit genossen beweisen, daß dieses Prädikat seit Mitte des 5. Jahrhunderts ein offizieller Rangtitel war, der nur noch Inhabern der höchsten zivilen und militärischen Staats ämter zugesprochen wurde und nicht ver erbt werden konnte. Auch schließt der durch 16 weitere Verwendungen dieses Rangprädikats eindeutig zu belegende Sprachgebrauch des Ennodius eine Anwen dung im allgemeinen Sinn aus. Severin muß demnach zeitweilig entweder eines der höchsten Hofämter, die Stellung eines Präfekten oder die eines Heermeisters, zu mindest des Befehlshabers der Truppen eines mehrere Provinzen umfassenden Sonderkommandos,bekleidet haben. Von dieser als gesichert anzusehenden Ba sis aus ergeben sich nun neue Perspektiven. Wenn wir noch einmal die Vita heranzie hen, ist kaum zu übersehen, daß Severin auch in der Darstellung des Eugipp faktisch als die höchste politisch-administrative In stanz der römischen Provinzen des Ost alpen-Donau-Raumes auftritt. Als solche erteilt er nicht nur militärischen Befehls habern, sondern auch den Spitzen der kirch lichen Hierarchie Anweisungen, verhandelt er mit den germanischen Fürsten wie von gleich zu gleich, ja eher noch in übergeord neter Funktion, pflegt er besonders enge Kontakte zu Odoaker, korrespondiert er mit römischen Würdenträgern des Illustris- (simus)-Ranges, verkehrt er mit prominen ten Anhängern des letzten römischen Kai sers Romulus und wird er schließlich im Mausoleum einer illustren Dame ausgerech net in dem Ort beigesetzt, den Odoaker dem Romulus nach dessen Absetzung als Aufenthaltsort angewiesen hatte. Unweigerlich muß hier die Frage nach uns anderweitig bekannten Trägern des Na mens Severinus, die der jeweils nur wenige hundert Menschen umfassenden Rangklasse des Illustr(issim)ats angehörten, ge stellt werden. In der Tat findet sich in die sem Kreis eine Persönlichkeit, deren uns bekannte Daten mit denen des Heiligen aus Norikum in Verbindung gebracht werden können. Im Jahre 461 treffen wir in Arles anläßlich eines Gastmahls den Konsul Flavius Severinus neben dem Kaiser Maiorian. Dieser hatte zum letztenmal die gewaltige Anstrengung unternommen, das weströmi sche Reich wiederaufzurichten und die gro ßenteils bereits an ostgermanische Stämme, Burgunder, Westgoten und Vandalen ver lorenen Provinzen Gallien, Spanien und Afrika zurückzugewinnen. Zu diesem Zweck hatte er ein gewaltiges Heer auf geboten, das sich fast ausschließlich aus Volksstämmen rekrutierte, die damals im Donauraum saßen. Diese neu ausgehobene Armee war ihm von einem Heermeister zugeführt worden, der bisher nicht identi fiziert werden konnte. Wie wir andererseits wissen, wurde der Konsultitel im spätrömischen Reich nur Männern zugesprochen, die bereits ein ho hes Staatsamt bekleidet hatten und somit der Rangklasse des Illustr(issim)ats bereits angehörten. Der Vorgänger des Severinus, der gallische Senator und Prätorianerpräfekt Magnus, hatte sich besondere Ver dienste um die Sicherung Galliens und die Vorbereitung des Feldzugs gegen die Van dalen erworben. Severinus dürfte hingegen aus dem italischen Adel stammen, da der

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