Oberösterreich, 22. Jahrgang, Heft 2, 1972

Kalksandstein mit einzelnen Geröllein schlüssen); die Fruchtschale scheint unter dem Knaben Tafelahb. 15 a wiederzukeh ren, an der Schmalseite (Textabb. 22 b) sind unten noch die Reste einer analog vegetabilen Ornamentik zu kennen. Das Grüppchen der seitengleich hochgeführten floralen Motive vertreten Tafelabb. 16 a, 18, und die bizarr gequetschten „Tisch beine" unter der ovalen Plinthe des Kna ben Textabb. 12, die auch noch unter der ovalen Plinthe der Mainas-Muse Text abb. 11 zu rekonstruieren sind, gehen mit dem barocken Doppelvolutenpaar unter dem Herculesknaben Tafelabb. 11 a zu sammen. Wie man in der „Werkstatt der Mysterien reliefs" das Tier gesehen hat, kann, abgesehen vom atypischen Vogel Text abb. 22 a, nur mit einem kleinen Beispiel belegt werden: Auf Textabb. 23 (Höhe 0,27 m; Material wie Tafelabb. 2) galop piert das ringelschwänzige Wildschwein einer Jagdszene nach links, die Modellie rung, die Art der Rahmung des konkav ausgearbeiteten Reliefgrundes verweisen den Quader in das genannte Atelier. Schlüsselfiguren für den Zeitansatz der „Werkstatt der Mysterienreliefs" sind die Diener der Tafelabb. 21, 15 b; nach Stand motiv, Tracht und Fächerform hat man sie, und damit die ganze Schule, einmal zurecht ins spätere 3. Jahrhundert datiert. Wir möchten eine noch etwas jüngere Entste hung, um 300, aus hier nicht zu erörtern den Gründen offenhalten. Etwa um die gleiche Zeit, vielleicht etwas länger, arbeitet in Enns-Lauriacum eine zweite große, aber gänzlich anders orien tierte Bildhauerschule, die wir als „Werk statt der Dreifigurenreliefs" bezeichnen. Liegt der Schaffensschwerpunkt der „Werk statt der Mysterienreliefs" auf der gemüt-, phantasie- und lebensvollen Illustrierung von Grabbauten mit Reliefs des Toten brauches und Jenseitsglaubens, so ist jetzt das einzige Thema die repräsentative Dar stellung der — meist in Dreiergruppen zu sammengefaßten — Toten selbst. Den an ders gelagerten Zwecken entspricht auch der auffallende Wechsel im Material. Ist es bei der „Werkstatt der Mysterienreliefs" das oft grobe, kavernöse und daher für die Feinmodellierung und Bemalung wohl erst mit Stuck zu überziehende Konglomerat gestein der Umgebung, so werden die kon ventionellen Büstenporträts der etablierten Lauriacenser Militärgesellschaft der Spät antike fortan nur mehr in weißen Import marmor gehauen. An der Spitze steht das von Meisterhand gefertigte Dreifigurenrelief Textabb. 24 (Höhe 0,85 m). In pretiöser, hochplasti scher, auf starke Licht- und Schattenkon traste angelegter Marmorarbeit blicken uns die zweifellos einmal bemalten Protomen zweier Männer und einer Frau würdevoll entgegen. Hauptperson ist der im Vorder grund befindliche mittlere Mann, er war. wie Dienstschwert in der linken Armbeuge, Federfutteral mit Tintenfaß am Gewand und ein mehrfach gefaltetes Schriftstück in der Linken dartun, Schreiber (Librarius) im Dienste der Legio II Italica. Die Kleidung ist die übliche militärische „Interimstracht", Ärmeltunika und Sagum mit (Fransen-) Überschlag. Die „Schwurfinger" der Rech ten liegen auf dem Schriftstück; die Haupt haare mit schönem Stirnbogen sind jetzt kurz geflockt. Voll- und Schnurrbart knapp bzw. überhängend wie bisher. Die reifere, feine Dame links dürfte wohl die Gattin sein, ihre weich gewellte Frisur mit Mittel scheitel ist vom Bund einer flachgewunde nen „norischen Haube" zusammengehalten; sie trägt Gliederhalsband, Untergewand und Umhang sowie in der Rechten einen Quittenapfel (?). Der Mann rechts gleicht im Kopftypus dem Librarius, sein Gewand ist ähnlich aber einfacher, auch er berührt im „Schwurgestus" mit der Rechten eine in der Linken gehaltene Schriftrolle. Zu „Schwurfingern" und bei Männern im mer wiederkehrendem Schriftstück ist zu bemerken, daß erstere wohl eine apotropeische, übelabwehrende Handgebärde dar stellen, letzteres jedoch, soweit es sich nicht wie beim Librarius um eine Amtsinsignie handelt, noch nicht befriedigend erklärt ist. Die Schriftrolle bedeutet weder, wie man geglaubt hat, ein Militärdiplom oder die Bürgerrechtsurkunde, da sie sich auch in Händen von Knaben (Tafelabb. 5, 6) und Sklaven findet, sie steht auch in keinem Zusammenhang mit dem „Schwören", da dieses auch auf Schwertknäufen stattfindet (Tafelabb. 7, 26). Verständlich ist hingegen wieder der Apfel in Händen von Mädchen und Frauen (auch Tafelabb. 2, 5, 26, 32), er steht als Sinnzeichen für Liebe und Unsterblichkeit. Mit der Militärtracht der Männer befinden wir uns ganz allgemein im 3. Jahrhundert. Die aus einzelnen glatten, verfließenden Rundungen bestehenden Gesichter mit ihrer gummiartig gespannten Haut, die, wie durch waagrechte Schnitte aufgeplatzt, den unregelmäßig gewölbten Augapfel freigibt, sind charakteristisch für das tetrarchische Porträt, also die Zeit um 300 und etwas später. Die Datierung wird durch den steil abgeschrägten, sonst leider zerstörten Schwertgriff des Librarius gestützt; welche Form er einst hatte, zeigt eine Soldaten büste derselben Werkstatt (Textabb. 25), es ist ein VogeI-(Adler-)kopfgriff, hier mit geschwungenem Stichblatt, wie er z. B. auch bei den Venezianer Porphyrtetrarchen von San Marco vorkommt. An dieses vom Geist des höfischen Reprä sentationsbildes der Zeit angerührte Kabi nettstück provinzialer Bildhauerkunst schließt nun eine Reihe von schlichten Ge sellenarbeiten an. Trotz des abrupten Qua litätsgefälles ist die Ähnlichkeit in Haarund Barttracht, in Kopftypus und Gesichts ausdruck,in Schmuck und Kostüm,in Kom position und Faltenstil, im parataktischen Vor- und Hintereinander und Gleichklang der marionettenhaft gehobenen und ge senkten Hände so groß, daß die folgenden Bilder für sich sprechen können. Tafel abb. 26 (Höhe 0,56 m): Mann rechts hält Schwert in der linken Armbeuge; Tafel abb. 27 (Höhe 0,385 m): Mann mit Schwert in der linken Armbeuge; Tafel abb. 28 (Höhe 0,745 m): Der Mann rechts trägt anstatt des Sagums eine Toga und am kleinen Finger der linken Hand einen Siegelring; die Figur links war eine Frau, der als männlich ergänzte Kopf ist daher falsch und schon seiner absurden Scheußlichkeit wegen zu entfernen; Tafel abb. 29 (Höhe 0,20 m): Die „Werkstatt der Dreifigurenreliefs" hat auch Grab steine mit Kindern im Kompositionsschema der Tafelabb. 4 bis 7 hergestellt, hier die linke Schulterpartie eines in der Mitte vor den Eltern befindlichen Mädchens (?); das Sagum des Vaters hat doppelten Fransen saum; Tafelahb. 30 (Höhe 0,64 m): Bei spiel für einen Zweifigurenstein (Ehepaar) aus der Werkstatt; der Mann trägt anstatt des Sagums eine Toga, nur der Zeigefinger berührt die Schriftrolle; Tafelabb. 31(Höhe 0,22 m): Der schon in Auflösung befind liche Kopf aus feinkörnigem Konglomerat geht in Umriß und Physiognomie mit dem Männerkopf Tafelabb. 30 zusammen, er wird, trotz des anderen Materials, daher ebenfalls der Werkstatt entstammen; Ta felabb. 32 (Höhe 0,69 m): Eine andere Meisterhand der „Werkstatt der Drei figurenreliefs" (Parallele zur „Werkstatt der Mysterienreliefs"!) stellt sich uns mit dem Schwerstbeschädigten Stein vor; die fleischigen Köpfe wirken lebendiger, die Gewandbehandlung ist freier als auf Text abb. 24, die Augenbildung jedoch die selbe. Der Mann rechts war nach seinen Utensilien — Griffel und aufgeklappte fünf teilige Schreibtafel — Schreiber, wahrschein lich ebenfalls im Legionsdienst; die Art, wie die Griffelspitze die gerahmte, mit Wachs überzogene Schreibfläche berührt, läßt die antike Zeilenführung erkennen, nämlich parallel zur Längsseite der Schrift fläche. Noch einmal begegnen wir dem Meißel des Prachtreliefs Textabb. 24. Das diadem tragende Kinderköpfchen im Hochrelief Tafelabb. 33 (Höhe 0,153 m; weißer Im portmarmor) stellt den Zweitältesten Sohn des Kaisers Konstantin d. Gr., Konstan tin II., im Alter von neun bis zehn Jahren dar, der zusammen mit den Reliefbüsten seines Vaters und seiner jüngeren Brüder ein Ehrendenkmal schmückte, das von der Stadt Lauriacum dem Kaiser zum zwanzig jährigen Regierungsjubiläum 326 gestiftet wurde. Es ist das einzige authentische Por trät des Prinzen und späteren Regenten, trotz der Vorlagegebundenheit des Mei sters geht es in der Kopfform, im Augen schnitt, in der Mundbildung, im schönen Stirnhaarbogen mit den noch einmal auf-

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2