Oberösterreich, 22. Jahrgang, Heft 2, 1972

Fachleute untersuchen die Fundstelle, was zu retten ist, wird in behutsamer Arbeit freigelegt, klassifiziert und gedeutet, Pfo stengruben — aneinandergereihte runde Verfärbungen von nur ein bis zwei Span nen Durchmesser — lassen die Grundrisse von Hütten erkennen. Größere, rot schwarze Flecken entpuppen sich als Herd gruben, in deren Inhalt sich neben zer brochenen Gefäßen Reste von Mahlzeiten und manch vergessene oder gebrochene Werkzeuge finden. Abseits von der Sied lungsstelle liegen die Gräber der einstmali gen Bewohner; der ersten Bauern auf der Welser Heide. Wir haben nur mehr wenig Beziehung zu diesen spärlichen Relikten versunkener Vorzeit. Wir stehen auf eigenen Füßen, haben unsere moderne Welt geschaffen. Man hat Distanz — und das Beil hat aus gedient. Der wohltuende Abstand der Zeit läßt die Gerippe derer, die nicht einmal mehr als Vorfahren empfunden werden, nur noch als „interessant" gelten. Man wagt einen lau nischen Scherz. Mit Fleisch und Blut ist die Persönlichkeit und sogar die Möglichkeit angenehmen Schauderns vergangen. Für die Wissenschaft wird das „Gerippe" zum Skelett eines Steinzeitmenschen und als solches wie alle übrigen Reste zur In formationsquelle. Alles, was heute über die Urgeschichte des Menschen bekannt ist, be steht aus gefundenem und ergrabenem Wissen. Mehr und mehr wird die Wissen schaft spezialisiert. Mitunter wird sie wohl auch zum Selbstzweck. Es mehren sich die Antworten auf diffizile Probleme — und es mehren sich die Fragen über das, was uns eigentlich bewegt. Eine oft gestellte und gar nicht unberech tigte Frage ist die nach dem eigentlichen Sinn und Zweck der anscheinend so un produktiven Vorgeschichtsforschung. Eine — und nicht die letzte — der möglichen Ant worten sollte diese sein: Die Gegenwart ist nur der Mittelpunkt unseres überschau baren Horizontes. Wollen wir uns von der Gegenwart nicht kritiklos und blind trei ben lassen, wollen wir feststellen, welchen Weg wir gehen, die Richtung vielleicht so gar steuern, so ist es nötig, den Weg zu kennen, den wir gekommen sind. Die Ant wort auf das „Wohin" liegt nicht zuletzt in der Kenntnis des „Woher". Wasser und weites Land Die Eiszeit war vorüber. Mit dem wärme ren Klima, dem Zurückweichen der Glet scher und dem allmählichen Aussterben der kaltzeitlichen Großtierwelt war das Ende der altsteinzeitlichen Jägerkulturen gekomDer Schlaf als „Lebensfunktion" in der urzeit lichen Bestattungsform. Hockergrab einer jun gen Frau aus dem frühbronzezeitlichen Gräber feld von Haid bei Hörsching. — Foto; Pertlmen. Mit dieser frühen, einschneidenden Umweltveränderung hatte die Menschheit in ihrer älteren Existenzform den ersten empfindlichen Rückschlag erlitten. Die unausbleibliche Entdeckung des nun wohl einzig möglichen Lebensweges, die revolutionierende „Erfindung" des Acker baues und der Tierzucht, war — wie die meisten epochemachenden Erfindungen — ein Diktat der Not. Seine erste Wirtschafts revolution bezahlte der Mensch mit dem Verlust des ersten Teiles seiner vollkom menen Freiheit. Fortan war er räumlich und zeitlich gebunden; an ein Stück Land, an Jahreszeiten, an den Lauf des Wassers und der Sonne, an Anfang und Ende seines Tages. Die Welt war unendlich groß. Aber sobald der Mensch nur ein kleines Stück davon in Besitz nahm, schmolz sie für ihn zusam men auf die Größe eines Ackers und einer Weide. Und die Revolution geht weiter. Die Welt schrumpft weiter, bis auf das Aus maß von vorgeschriebenen Quadratmetern, die dem großen Revolutionär „Mensch" — pro Kopf — als kleine Wohnfläche zuste hen. Eines aber scheint uns zu bleiben; eine gewisse Sehnsucht nach Weite, nach der großen ungebundenen Freiheit. Sie bentausend Jahre Seßhaftigkeit und die ganzen Früchte der Revolution waren nicht genug, die verborgene Erinnerung an ein hunderttausendjähriges Nomadenleben aus zulöschen. 'f.. 'i

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