Oberösterreich, 22. Jahrgang, Heft 2, 1972

0 doch noch ein gutes Stück ins 3. Jahrhun dert hinauf. Das gilt dann auch für das Konterfei der Gattin, deren Haarbogen übrigens analog der Frauenfrisur von Ta/elabb.7 die Ohren bedeckt und, wie mög licherweise dort in gleicher Art, von einer flachgewundenen „norischen Haube" zu sammengehalten ist. Der unübersehbar kühl-klassizistische, auf Details verzich tende Zuschnitt der Gesichter bringt sie in Zusammenhang mit retrospektiven Kunst strömungen unter Kaiser Gallien und legt eine Datierung ins 3. Jahrhundertviertel nahe. Anzuschließen wäre vielleicht ein fast bis zur Unkenntlichkeit korrodierter weiblicher Hochreliefkopf, der nach Maßen, Frisur und Kopfbedeckung mit dem Frauenkopf T«- felabb. 9 zusammengeht (Tafelabb. 10; Höhe 0,23 m, Tiefe 0,125 m; Material wie Tafelabb. 2). Die folgenden dreizehn Reliefplatten fan den sich mit zwei Ausnahmen auf einem der großen Gräberfelder von Enns-Lauriacum, dem spätantik-völkerwanderungszeit lichen „Ziegelfeld", wo sie für Steinkisten gräber mitverwendet wurden; ursprünglich waren es figurierte und ornamentierte Bau glieder von Grabädikulen (Grabhäuschen), die nach Stil, Dekor und Thematik einem Werkstattkreis, den wir in Hinkunft „Werkstatt der Mysterienreliefs" nennen, zuzuschreiben sind. Mit vollem Akkord eröffnen zwei inhalt lich und architektonisch zusammengehö rende Szenen die hochqualifizierte Gruppe (Textahb. 11, 12, Tafelabb. 11 a; Höhe je 0,89 m; Material wie Tafelabb. 2). Textabb. 12 (rechte Platte): Ein nackter Mann von vierschrötig-muskulösem Körperbau schreitet kräftig nach rechts aus, der bär tige Kopf war zurückgewendet, die Linke hält eine in die Armbeuge eingelegte Keule, von der linken Schulter fällt über den lin ken Unterarm ein Umhang, der sich durch den Tierkopf unterhalb der Keule als Lö wenfell zu erkennen gibt. Es ist Hercules, dargestellt war der Schluß der Alkestissage, des antiken Hoheliedes der Gatten liebe, wo der riesige Heros Alkestis, die Gemahlin des thessalischen Königs Admetos, die an seiner Statt in den Tod ging, aus dem Hades für den Freund zurück holt. Ein sinniges Thema für Grabdenk mäler, das dann im Sinne östlicher Myste rienlehren als Allegorie der menschlichen Wiederauferstehung zu einem ewigen, se ligen Jenseits umgedeutet wurde. Der Her cules unseres Bildes blickte zurück auf Alkestis, die er an der Rechten hinter sich herführte. Die Erlösung der Alkestis durch Herakles ist eine von Euripides dramati sierte Mythenversion, wonach der Held sie an ihrem Grabe dem Tod in handgreif lichem Kampf abringt. Textabb.11 (linke Platte): Derselbe Her cules stürmt mit vorgestreckten Händen und wehendem Löwenfell aus einem Ge büsch hervor, hinter ihm steht ein über Eck gesehener, oben profilierter Pfeiler, darauf eine große Schale mit abgesetztem Fuß. Wiedergegeben war, entgegen einem früheren Deutungsversuch, die nach Euripi des unabdingbare Voraussetzung für eine glückliche Rückführung der Alkestis, der siegreiche Ringkampf des Hercules mit dem Tode. Der Pfeiler im Hintergrund deutet das Alkestisgrab an, Hercules hat im Strauchwerk davor auf den Tod, der sich, angelockt durch den Geruch des Opfer blutes in der Schale, gierig nähert, gelauert und stürzt nun mit Ringergriff auf ihn zu. Wir stehen in Ehrfurcht vor dem „provinzialen" Relief: Es ist die in der gesamten griechisch-römischen Kunst bisher einzige bekanntgewordene Illustration der Euripi- «4 'iim J. i.St',-

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