Manfred P e r 11 w i e s e r Die Welser Heide in der Vorzeit Mensch und Landschaftim Wandel der Kulturen „... Aber nichts berechtigt dazu, uns Menschen der Jetztzeit für einen Deut geschickter und klüger zu halten als die Menschen der begin nenden Nacheiszeit vor mehr als 10.000 Jahren. Viele Genetiker glauben sogar, daß die zu nehmende Zivilisation den Menschenstamm langsam degenerieren läßt. Menschen mit un günstig verändertem Erbbild, die in früheren Zeiten in ,freier Wildbahn' untergegangen wären, können heute überleben und sich fort pflanzen." (L. Sprague de Camp, Ingenieure der Antike) Über die Welser Heide hinweg wachsen sich zwei Städte entgegen. Linz und Wels haben ihre verbaute Grundfläche innerhalb weniger Jahrzehnte vervielfacht. Die Ort schaft Traun hat die Dimensionen einer Trabantenstadt erreicht. Siedlerkolonien wechseln in bunter Folge mit industriellen Betrieben oder Äckern und Wiesen, die ihrer Parzellierung entgegenharren. Es könnte sich der Eindruck begeisterter „Landnahme" aufdrängen, Neuland würde erstmals und schwungvoll in menschlichen Besitz genommen. Im modernen Sprachgebrauch ist der Un terschied nur unbedeutend: Aus Produk tionsflächen werden Produktionsstätten. Der Unterschied liegt im Produkt — und hier ist er bedeutend. Was hier verändert und umfunktioniert wird, war nahezu vierzigmal solange, wie unser industrielles Zeitalter währt, eine Landschaft mit Bestimmung: War Kultur landschaft im eigentlichen Sinn, nämlich mehr als sechstausendjähriges Acker-, Weide- und Siedlungsland. Als im Winter des Jahres 1926 in Niederperwend bei Marchtrenk ein Bauer beim Ausgraben eines Wurzelstockes auf einen jungsteinzeitlichen Siedlungsplatz stieß, war von „vorzeitlichen Funden" aus der Welser Heide, mit Ausnahme weniger zu fällig aufgelesener Einzelstücke, noch so gut wie nichts bekanntgeworden. Die Entdeckung des Bauern führte erstmals zu einer Ausgrabung. Die Ergebnisse wa ren höchst bedeutsam, und lange Zeit galt Niederperwend als wichtigster jungstein zeitlicher Fundplatz im oberösterreichischen Voralpenland. 1938 fand man beim Bau des Hörschinger Flugfeldes ein einzelnes Grab aus der Bronzezeit. Das Jahr 1939 brachte die Ent deckung eines bronzezeitlichen Siedlungs und Bestattungsplatzes bei Neubau, ebenso einer bronzezeitlichen Gräbergruppe und eines Grabes der Urnenfelderzeit bei Sankt Martin. Dazu kamen 1943 bis 1944 noch zwei Gräber der Bronzezeit bei Traun und eines der Urnenfelderzeit bei Neubau. Kurz nach Kriegsende begann man, zu nehmend rationeller und umfangreicher, die Schotter der Traun-Niederterrasse ab zubauen. Die Geländestufe wurde an vielen Stellen großflächig um 10 Meter und mehr auf das Niveau der vorgelagerten Austufe abgesenkt. Heute macht das Ausmaß die ser Abbauten immerhin Landkarten ört lich korrekturbedürftig. Die große Zeit des Schotterabbaues brachte die Ereignisse zum Uberstürzen: Zu den bis hierher bekannt gewordenen acht urgeschichtlichen Fund plätzen kamen zwischen 1949 und 1966 siebenundzwanzig weitere. Es waren dies zehn Siedlungsplätze, darunter die jung steinzeitliche Großsiedlung von RutzingHaid (neben einer bronzezeitlichen, 2 Hall statt- und 5 La-Tene-Anlagen) und 17 Be stattungsplätze (Jungsteinzeit 3, Bronzezeit 6, Urnenfelderzeit 5, Hallstattzeit 1 und La-Tene-Periode 2). Alle diese Fundplätze zwischen St. Martin und Holzleithen liegen auf der Fläche der letzteiszeitlichen Niederterrasse, meist süd lich der Salzburger (Reichs-)Straße und nahe dem Böschungsrand zur Austufe. Nahezu alle, insbesondere aber sämtliche Großfundkomplexe kamen durch den Schotterabbau zutage. Darunter sind als besonders bedeutend zu nennen: das jung steinzeitliche (bandkeramische) Gräberfeld von Rutzing (neben der gleichzeitigen Sied lungsanlage von Rutzing-Haid), das frühbronzezeitliche Gräberfeld von Haid (mit bisher 127 ausgegrabenen Gräbern), die bronzezeitlichen Gräberfelder von Holzlei then (ca. 150 Gräber) und Rudelsdorf so wie das hallstattzeitliche Flachgräberfeld von Rutzing. Es ist aber anzunehmen, in einigen Fällen auch bekanntgeworden, daß außerdem wei tere Fundkomplexe — wie kleinere Sied lungsplätze oder Gräbergruppen — im Zuge des maschinellen Abbaues unbemerkt oder ungemeldet zerstört worden sind. Wir haben also bereits ab der Jungsteinzeit (5000 bis 1800 v. Chr.) für die Welser Heide eine fortdauernde Besiedlung zu kon statieren. Es bleibt zu erwähnen, daß hiemit aber keinesfalls ein abgeschlossenes, etwa statistisch verwertbares Bild vorliegt, da es sich ja bei allen Fundstellen um Zu fallsentdeckungen nur innerhalb jener Zo nen handelt, wo in jüngerer Zeit techni sche Eingriffe in die natürliche Bodenober fläche stattgefunden haben. Eine heutige Fundkarte der uns bekanntgewordenen ur geschichtlichen Lokalitäten ist daher mehr ein Beleg moderner baulicher Aktivitäten, weniger ein verbindliches Bild prähistori scher Siedlungsräume und Besiedlungsdichte. Eines jedoch ist offensichtlich: Sel ten ist aus einem engen Landstrich eine solche Fülle urgeschichtlicher Kulturreste bekanntgeworden, wie aus dem Gebiet der Welser Heide. Die Steinaxt Baumaschinen entfernen die Humusdecke. Was Jahrtausende wertvoll, fruchtbar und lebensnotwendig war, trägt im Augenblick, da die Technik in Aktion tritt, die sach liche Bezeichnung „Abraum" und wird als solcher — weil störend — beiseitegeschafft. Gesucht ist, was Jahrtausende wertlos war — im eigentlichen Sinn auch heute noch ist —, der Abraum der Gebirge, der Schotter. Der konstruierte Bedarf macht ihn zum „wei ßen Gold". Ein steinernes Beil, eine Erdhacke aus grü nem Serpentin, wird für einen kurzen Augenblick sichtbar, um wieder im auf gewühlten Abraum „Erde" zu verschwin den. Ein Gerät, das schon vor viertausend Jahren ausgedient hatte, nachdem mit sei ner Hilfe ein Fundament menschlichen Be stehens — die Ackerbaukultur — begründet war. Es wird fortgeschoben mit eben jener — jetzt überflüssigen — Erde, die mit seiner Hilfe der Mensch zum erstenmal in Besitz genommen hatte. — Der weiße Schotter tritt zutage. Doch die gewünschte Reinheit wird noch durch dunkle, erdige Flecken beeinträchtigt. Noch einmal wird die Ma schine angesetzt: brechende Knochen, ber stende Tongefäße machen bewußt, daß hier einmal„etwas" gewesen sein muß.
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