Oberösterreich, 22. Jahrgang, Heft 2, 1972

ARCHÄOLOGIE IN OBERÖSTERREICH Manfred Pertlwieser Die Welser Heide in der Vorzeit — Menschen und Landschaft im Wandel der Kulturen Dr. YJalter Kunze Pfahlbauten am Mondsee Dr.Fritz Eckart Barth Die Erforschung des prähistorischen Salzbergwerkes in Hallstatt Dr. Gerhard Winkler Römische Inschriften aus Oberösterreich Dr. Gerhard Winkler Römerzeitliche Forschung in Oberösterreich Dr. Lothar Eckhart Römische Bildhauerschulen in Enns Dr.Hannsjörg Uhl Der römische Soldat im Spiegel oberösterreichischer Bodenfunde Dr.Friedrich Letter Das neue Bild des norischen Severin Dr. Kurt Holter Wels im Übergang von der Spätantike zum Mittelalter Dipl.-Ing. Ernst Fietz Der unerforschte Kürnberg bei Linz Dr. Fritz Felgenhauer Ausgrabungen im Bereich des karolingischottonischen Königshofes und der bambergischen Bischofsburg zu Attersee Schriftleitung: Dr. Otto Wutzel Fachliche Beratung:Dr.Gerhard Winkler Das nächste Heft der Zeitschrift „Ober österreich" (Sommerheft 1973, Erschei nungstermin Juni 1973)behandelt das Thema: Verkehr in Oberösterreich Umschlag: Morgendämmerung der Me tallzeit: Gewand- und Schmucknadeln aus Bein, Eberzähnen und Bronze, Grab funde aus Haid. — Foto: Max Eiersebner nach einer Idee von Manfred Pertlwieser Kulturzeitsdirift OBERÖSTERREICH Kunst, Geschichte, Landschaft, Wirtschaft, Fremdenverkehr. Halbjahreszeitschrift. Erscheinungstermine Juni und Dezember. 22. Jahrgang, Heft 2, Winterheft 1972/73. Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Oberösterreichischer Landesverlag; verantwortlich für den Inhalt im Sinne des Pressegesetzes: Doktor Otto Wutzel, sämtliche Linz, Landstraße 41, Ruf 26 7 21. — Druck: Oö.Landesverlag Linz. — Jahresabonnement (2 Hefte) S 60.— Einzelverkaufspreis S 35.—.

Manfred P e r 11 w i e s e r Die Welser Heide in der Vorzeit Mensch und Landschaftim Wandel der Kulturen „... Aber nichts berechtigt dazu, uns Menschen der Jetztzeit für einen Deut geschickter und klüger zu halten als die Menschen der begin nenden Nacheiszeit vor mehr als 10.000 Jahren. Viele Genetiker glauben sogar, daß die zu nehmende Zivilisation den Menschenstamm langsam degenerieren läßt. Menschen mit un günstig verändertem Erbbild, die in früheren Zeiten in ,freier Wildbahn' untergegangen wären, können heute überleben und sich fort pflanzen." (L. Sprague de Camp, Ingenieure der Antike) Über die Welser Heide hinweg wachsen sich zwei Städte entgegen. Linz und Wels haben ihre verbaute Grundfläche innerhalb weniger Jahrzehnte vervielfacht. Die Ort schaft Traun hat die Dimensionen einer Trabantenstadt erreicht. Siedlerkolonien wechseln in bunter Folge mit industriellen Betrieben oder Äckern und Wiesen, die ihrer Parzellierung entgegenharren. Es könnte sich der Eindruck begeisterter „Landnahme" aufdrängen, Neuland würde erstmals und schwungvoll in menschlichen Besitz genommen. Im modernen Sprachgebrauch ist der Un terschied nur unbedeutend: Aus Produk tionsflächen werden Produktionsstätten. Der Unterschied liegt im Produkt — und hier ist er bedeutend. Was hier verändert und umfunktioniert wird, war nahezu vierzigmal solange, wie unser industrielles Zeitalter währt, eine Landschaft mit Bestimmung: War Kultur landschaft im eigentlichen Sinn, nämlich mehr als sechstausendjähriges Acker-, Weide- und Siedlungsland. Als im Winter des Jahres 1926 in Niederperwend bei Marchtrenk ein Bauer beim Ausgraben eines Wurzelstockes auf einen jungsteinzeitlichen Siedlungsplatz stieß, war von „vorzeitlichen Funden" aus der Welser Heide, mit Ausnahme weniger zu fällig aufgelesener Einzelstücke, noch so gut wie nichts bekanntgeworden. Die Entdeckung des Bauern führte erstmals zu einer Ausgrabung. Die Ergebnisse wa ren höchst bedeutsam, und lange Zeit galt Niederperwend als wichtigster jungstein zeitlicher Fundplatz im oberösterreichischen Voralpenland. 1938 fand man beim Bau des Hörschinger Flugfeldes ein einzelnes Grab aus der Bronzezeit. Das Jahr 1939 brachte die Ent deckung eines bronzezeitlichen Siedlungs und Bestattungsplatzes bei Neubau, ebenso einer bronzezeitlichen Gräbergruppe und eines Grabes der Urnenfelderzeit bei Sankt Martin. Dazu kamen 1943 bis 1944 noch zwei Gräber der Bronzezeit bei Traun und eines der Urnenfelderzeit bei Neubau. Kurz nach Kriegsende begann man, zu nehmend rationeller und umfangreicher, die Schotter der Traun-Niederterrasse ab zubauen. Die Geländestufe wurde an vielen Stellen großflächig um 10 Meter und mehr auf das Niveau der vorgelagerten Austufe abgesenkt. Heute macht das Ausmaß die ser Abbauten immerhin Landkarten ört lich korrekturbedürftig. Die große Zeit des Schotterabbaues brachte die Ereignisse zum Uberstürzen: Zu den bis hierher bekannt gewordenen acht urgeschichtlichen Fund plätzen kamen zwischen 1949 und 1966 siebenundzwanzig weitere. Es waren dies zehn Siedlungsplätze, darunter die jung steinzeitliche Großsiedlung von RutzingHaid (neben einer bronzezeitlichen, 2 Hall statt- und 5 La-Tene-Anlagen) und 17 Be stattungsplätze (Jungsteinzeit 3, Bronzezeit 6, Urnenfelderzeit 5, Hallstattzeit 1 und La-Tene-Periode 2). Alle diese Fundplätze zwischen St. Martin und Holzleithen liegen auf der Fläche der letzteiszeitlichen Niederterrasse, meist süd lich der Salzburger (Reichs-)Straße und nahe dem Böschungsrand zur Austufe. Nahezu alle, insbesondere aber sämtliche Großfundkomplexe kamen durch den Schotterabbau zutage. Darunter sind als besonders bedeutend zu nennen: das jung steinzeitliche (bandkeramische) Gräberfeld von Rutzing (neben der gleichzeitigen Sied lungsanlage von Rutzing-Haid), das frühbronzezeitliche Gräberfeld von Haid (mit bisher 127 ausgegrabenen Gräbern), die bronzezeitlichen Gräberfelder von Holzlei then (ca. 150 Gräber) und Rudelsdorf so wie das hallstattzeitliche Flachgräberfeld von Rutzing. Es ist aber anzunehmen, in einigen Fällen auch bekanntgeworden, daß außerdem wei tere Fundkomplexe — wie kleinere Sied lungsplätze oder Gräbergruppen — im Zuge des maschinellen Abbaues unbemerkt oder ungemeldet zerstört worden sind. Wir haben also bereits ab der Jungsteinzeit (5000 bis 1800 v. Chr.) für die Welser Heide eine fortdauernde Besiedlung zu kon statieren. Es bleibt zu erwähnen, daß hiemit aber keinesfalls ein abgeschlossenes, etwa statistisch verwertbares Bild vorliegt, da es sich ja bei allen Fundstellen um Zu fallsentdeckungen nur innerhalb jener Zo nen handelt, wo in jüngerer Zeit techni sche Eingriffe in die natürliche Bodenober fläche stattgefunden haben. Eine heutige Fundkarte der uns bekanntgewordenen ur geschichtlichen Lokalitäten ist daher mehr ein Beleg moderner baulicher Aktivitäten, weniger ein verbindliches Bild prähistori scher Siedlungsräume und Besiedlungsdichte. Eines jedoch ist offensichtlich: Sel ten ist aus einem engen Landstrich eine solche Fülle urgeschichtlicher Kulturreste bekanntgeworden, wie aus dem Gebiet der Welser Heide. Die Steinaxt Baumaschinen entfernen die Humusdecke. Was Jahrtausende wertvoll, fruchtbar und lebensnotwendig war, trägt im Augenblick, da die Technik in Aktion tritt, die sach liche Bezeichnung „Abraum" und wird als solcher — weil störend — beiseitegeschafft. Gesucht ist, was Jahrtausende wertlos war — im eigentlichen Sinn auch heute noch ist —, der Abraum der Gebirge, der Schotter. Der konstruierte Bedarf macht ihn zum „wei ßen Gold". Ein steinernes Beil, eine Erdhacke aus grü nem Serpentin, wird für einen kurzen Augenblick sichtbar, um wieder im auf gewühlten Abraum „Erde" zu verschwin den. Ein Gerät, das schon vor viertausend Jahren ausgedient hatte, nachdem mit sei ner Hilfe ein Fundament menschlichen Be stehens — die Ackerbaukultur — begründet war. Es wird fortgeschoben mit eben jener — jetzt überflüssigen — Erde, die mit seiner Hilfe der Mensch zum erstenmal in Besitz genommen hatte. — Der weiße Schotter tritt zutage. Doch die gewünschte Reinheit wird noch durch dunkle, erdige Flecken beeinträchtigt. Noch einmal wird die Ma schine angesetzt: brechende Knochen, ber stende Tongefäße machen bewußt, daß hier einmal„etwas" gewesen sein muß.

Fachleute untersuchen die Fundstelle, was zu retten ist, wird in behutsamer Arbeit freigelegt, klassifiziert und gedeutet, Pfo stengruben — aneinandergereihte runde Verfärbungen von nur ein bis zwei Span nen Durchmesser — lassen die Grundrisse von Hütten erkennen. Größere, rot schwarze Flecken entpuppen sich als Herd gruben, in deren Inhalt sich neben zer brochenen Gefäßen Reste von Mahlzeiten und manch vergessene oder gebrochene Werkzeuge finden. Abseits von der Sied lungsstelle liegen die Gräber der einstmali gen Bewohner; der ersten Bauern auf der Welser Heide. Wir haben nur mehr wenig Beziehung zu diesen spärlichen Relikten versunkener Vorzeit. Wir stehen auf eigenen Füßen, haben unsere moderne Welt geschaffen. Man hat Distanz — und das Beil hat aus gedient. Der wohltuende Abstand der Zeit läßt die Gerippe derer, die nicht einmal mehr als Vorfahren empfunden werden, nur noch als „interessant" gelten. Man wagt einen lau nischen Scherz. Mit Fleisch und Blut ist die Persönlichkeit und sogar die Möglichkeit angenehmen Schauderns vergangen. Für die Wissenschaft wird das „Gerippe" zum Skelett eines Steinzeitmenschen und als solches wie alle übrigen Reste zur In formationsquelle. Alles, was heute über die Urgeschichte des Menschen bekannt ist, be steht aus gefundenem und ergrabenem Wissen. Mehr und mehr wird die Wissen schaft spezialisiert. Mitunter wird sie wohl auch zum Selbstzweck. Es mehren sich die Antworten auf diffizile Probleme — und es mehren sich die Fragen über das, was uns eigentlich bewegt. Eine oft gestellte und gar nicht unberech tigte Frage ist die nach dem eigentlichen Sinn und Zweck der anscheinend so un produktiven Vorgeschichtsforschung. Eine — und nicht die letzte — der möglichen Ant worten sollte diese sein: Die Gegenwart ist nur der Mittelpunkt unseres überschau baren Horizontes. Wollen wir uns von der Gegenwart nicht kritiklos und blind trei ben lassen, wollen wir feststellen, welchen Weg wir gehen, die Richtung vielleicht so gar steuern, so ist es nötig, den Weg zu kennen, den wir gekommen sind. Die Ant wort auf das „Wohin" liegt nicht zuletzt in der Kenntnis des „Woher". Wasser und weites Land Die Eiszeit war vorüber. Mit dem wärme ren Klima, dem Zurückweichen der Glet scher und dem allmählichen Aussterben der kaltzeitlichen Großtierwelt war das Ende der altsteinzeitlichen Jägerkulturen gekomDer Schlaf als „Lebensfunktion" in der urzeit lichen Bestattungsform. Hockergrab einer jun gen Frau aus dem frühbronzezeitlichen Gräber feld von Haid bei Hörsching. — Foto; Pertlmen. Mit dieser frühen, einschneidenden Umweltveränderung hatte die Menschheit in ihrer älteren Existenzform den ersten empfindlichen Rückschlag erlitten. Die unausbleibliche Entdeckung des nun wohl einzig möglichen Lebensweges, die revolutionierende „Erfindung" des Acker baues und der Tierzucht, war — wie die meisten epochemachenden Erfindungen — ein Diktat der Not. Seine erste Wirtschafts revolution bezahlte der Mensch mit dem Verlust des ersten Teiles seiner vollkom menen Freiheit. Fortan war er räumlich und zeitlich gebunden; an ein Stück Land, an Jahreszeiten, an den Lauf des Wassers und der Sonne, an Anfang und Ende seines Tages. Die Welt war unendlich groß. Aber sobald der Mensch nur ein kleines Stück davon in Besitz nahm, schmolz sie für ihn zusam men auf die Größe eines Ackers und einer Weide. Und die Revolution geht weiter. Die Welt schrumpft weiter, bis auf das Aus maß von vorgeschriebenen Quadratmetern, die dem großen Revolutionär „Mensch" — pro Kopf — als kleine Wohnfläche zuste hen. Eines aber scheint uns zu bleiben; eine gewisse Sehnsucht nach Weite, nach der großen ungebundenen Freiheit. Sie bentausend Jahre Seßhaftigkeit und die ganzen Früchte der Revolution waren nicht genug, die verborgene Erinnerung an ein hunderttausendjähriges Nomadenleben aus zulöschen. 'f.. 'i

*4^ Jungsteinzeitliche Formen. Grabbeigaben aus dem Gräberfeld von Rutzing-Haid. — Fotos; Eiersebner Die Schmelzwässer der in die Alpen zu rückweichenden Gletscher hinterließen als „Ufer" die weite, flache Niederterrasse der Welser Heide. Donauaufwärts, aus den niederösterreichischen Lößgebieten, die ihre Vorfahren als Eiszeitjäger durchstreift hat ten, stießen einzelne Gruppen des Jung steinzeit-Menschen. Sie waren auf der Suche nach geeignetem Land für die sich neu entwickelnde Lebensform. Man brauchte mehr denn je die Nähe ständig vorhandenen Wassers. Jede Besiedlung, jede Kulturströmung erfolgte entlang der Flußtäler. Gegen die Mitte des 5. vorchristlichen Jahr tausends bog wohl eine solche Gruppe in die Traunebene ein. Was man nach nicht allzulangem Weg vorfand, muß Gefallen gefunden haben: ebenes Land, locker be standen von Kiefern-, Birken- und Hasel gruppen, mitunter ein Wald von Eichen, Linden und Ulmen, im Rücken begrenzt und überragt von der mächtigen Lößdecke einer höheren Geländestufe und vorne die Böschung zum tieferliegenden Wasser der Traun, das sich, von bewachsenen Inseln in viele kleine Arme geteilt, als vielver sprechendes Revier anbot. Zudem zwei kleine, ruhige Bachläufe, die. Buchten und Tümpel bildend, zwischen Baumgruppen und freien Grasflächen die Terrassenebene durchzogen. Letzteres muß bestimmend für die Wahl des Ortes gewesen sein, denn zwischen der steilen Uferböschung und den flach eingebetteten Bachläufen wurde die Siedlung errichtet. Bis genügend Bäume gefällt und zugerich tet, bis die Hütten erbaut waren, behalf man sich anscheinend mit überdeckten Gruben als Notquartier. Diese dienten spä ter zur Aufnahme von Siedlungsabfall. Im Inhalt dieser Gruben spiegelt sich die ganze Lebensart der frühen Siedler und Bauern. Neben angebratenen und aufgeschlagenen Knochen des kleinen domestizierten Urrindes finden sich in großer Menge solche des noch halbwilden Hausschweines, von Schaf und Ziege. Daß der Jagd zur zusätz lichen Fleischbeschaffung ihre Bedeutung zukam, zeigen Knochenfunde von Hirsch, Bär, Wildschwein, Reh, Biber und Grau gans. Daß der Hund geschätzter Haus genosse war, beweisen zahlreiche Fraßspu ren an den Knochenabfällen. Auf gleiche Weise bestätigen Kleinnager ihre Existenz als steinzeitliche „Untermieter". Funde von Wirbelknochen zeigen, daß beträchtlich große Fische gefangen und verzehrt wur den, ebenso wie Bachmuscheln und Wein bergschnecken, die kaum in einer aufge lassenen Herdgrube fehlen. Auch Spuren übrigen Schaffens finden sich in Fülle. Eine Vielfalt von Abfällen der Werkzeugfabri kation, zerbrochene Gefäße und Geräte, geben Aufschluß über Material und Ar beitstechnik, über Herkunft, Kulturbezie hungen und früheste Handelswege. Bei nahe jede Tätigkeit kann durch Funde spe zialisierter Stein- und Knochengeräte hand werkstechnisch durchleuchtet werden. Der Mensch der Jungsteinzeit war sich selbst genug. Sein Leben war nicht mehr — und noch nicht wieder — Überleben. Es war nicht mehr Jagd und Suche und noch nicht Kampf und Aufbruch. Er lebte mit seiner Sippe autonom. Wohl fand eine gewisse Arbeitsteilung innerhalb der Großfamilie und zwischen den Geschlechtern statt. Um so mehr konnte der Bedarf ohne Kauflei stung innerhalb der Dorfgemeinschaft ge deckt werden. Der Mensch hatte erstmals eine funktionierende und befriedigende seßhafte Lebensform entdeckt.

i V ts. mr- : Die Gesamtzahl der Erdbevölkerung wird für die Jungsteinzeit auf 5 bis 20 Millionen geschätzt. Kaum mehr als etwa 100 Men schen dürften damals zu gleicher Zeit in der Welser Heide gelebt haben. Eine Zeit spanne von etwa dreitausend Jahren brachte für die bäuerlichen Ansiedlungen in unserem Raum keine größeren wirt schaftlichen Reformen und, abgesehen von Pflug und Webstuhl, auch keine allzu be deutenden Erfindungen. Bei aller Arbeit hatte man sein gutes Auslangen und mit der Entwicklung des Hackbaues zur Fflugkultur blieb mehr Zeit für andere, nicht lebensnotwendige Bedürfnisse, für nicht zum täglichen Gebrauch nötige Dinge, wie Schmuck, Gefäßverzierung und anderes mehr. Die Auffassung, der erst mähliche, dann stürmische Aufbruch der Menschheit in das technische Zeitalter sei in seinem vollen Umfang unbedingte Notwendigkeit gewe sen, um die ständig wachsende Weltbevöl kerung ausreichend ernähren zu können, wird widersprochen von den Vertretern der Hypothese, daß erst die entsprechende tech nologische Entwicklung die Voraussetzung für ein rascheres Bevölkerungswachstum zu schaffen vermag (Thomas Malthus, um 1800). Das Aufkommen von Spekulations wirtschaft und erfolgreichem, wirtschaft lichem Schmarotzertum ist ebenfalls nicht gerade geeignet, die Motivation zu unter mauern. Hier könnten auch die heute noch auf der Stufe unserer steinzeitlichen Vor fahren lebenden Jägerstämme interessieren, die ohne das Allerweltsproblem der Ge burtenbeschränkung ihren angestammten Lebensraum bis heute nicht übervölkert haben. Der Mensch hatte also die wahrscheinlich bedeutendste Entdeckung seiner Entwick lung gemacht. Er hatte gelernt, das Wachs tum von Pflanze und Tier zu seinen Gun sten zu steuern, ja sogar den Artbestand zu beeinflussen und gezielt zu verändern. Dahinter steht eine umfangreiche und de taillierte Kenntnis der natürlichen Umwelt und die Verwertung dieses Erfahrungswis sens in einem erstaunlich kühnen, produk tiven und wohl ersten schöpferischen Denk prozeß. Der neolithische Bauer verfiel nun nicht etwa der Selbstherrlichkeit. Zwar war er sich seiner Rolle als Veränderer der Dinge bewußt, fühlte aber gleichzeitig, daß das Geheimnis des Wachstums nicht Teil sei ner Macht war. Er erhob daher die Frucht barkeit der Erde zum Mythos, aus dem sich seine Religion und sein Weltbild formte. Die Erde mit ihrer unerklärbaren Wachstumskraft wurde zur fruchtbaren Muttergottheit. Man nahm und lebte vom göttlichen Besitz und fühlte wohl auch etwas wie Schuld. Naturerscheinungen wur den als fordernde Äußerungen in den My thos einbezogen. Nach dem Winter mußte erneute Fruchtbarkeit beschworen werden. War die Saat in die Erde gelegt, lag das Gelingen bei der Gottheit, deren Gunst man zu erhalten trachtete. Dafür stand das „Frühlingsbrauchtum", die neolithische Wurzel unserer Bauernbräuche, die erst in jüngster Zeit dem technischen Rationalis mus erliegen. Es waren Fruchtbarkeitsriten und Opferbräuche, die vom Geräte-, Fruchtund Tieropfer bis zum Menschenopfer und rituellem Kannibalismus reichten. Zwei große Feuerstellen mit den Über resten derartiger Handlungen wurden knapp außerhalb der Siedlung von Haid festgestellt. — Es war die Zeit Abrahams, der auf ein traumhaftes Zeichen seines Got tes bereit war, mit eigener Hand den Sohn zu opfern. Gegenüber, in einiger Entfernung zum Siedlungsrand, lag der Bestattungsplatz. 24 Gräber, Männer, Frauen und Kinder, Arme und Beine angewinkelt, in seitlicher Schlaf stellung. Als Beigaben Knochen- und Mu schelschmuck, Steingeräte und feingearbei tete kugelige Tongefäße mit eingeritzter Mäanderverzierung und graphitbemalter Oberfläche, ursprünglich wohl gefüllt mit Speisevorrat. Nach Jahren des Anbaues an derselben Stelle ging das Wachstum merklich zu rück. Man wußte nichts über die Notwen digkeit der Düngung, erkannte aber die Ursache. Darin lag zumeist der Grund für das Verlassen urzeitlicher Siedlungen. Man zog weiter und nahm neue, unverbrauchte Erde unter den Pflug. Oft erst nach meh reren hundert Jahren kehrte man an einen alten Siedlungsplatz, mit erholtem Boden, zurück. Der Bronzedolch Am Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrtausends kündigte sich mit nie vorher gesehenem, rötlichem Glanz ein Geschehen von ungeheurer Tragweite an, das im wei teren Verlauf Wesen und Lebensart des Menschen entscheidend beeinflussen sollte.

v>,-vv Wohl durch eine vorüberziehende Gruppe machten unsere neolithischen Bauern die erste Bekanntschaft mit einem Werkstoff, der nicht Stein, nicht Knochen oder Holz war. Eine flache, fast zierliche Axt, die nicht bei jedem unachtsamen Hieb zersprin gen konnte, ein schimmernder Dolch mit glatter, nie gekannter Schärfe und eine prächtig glänzende Gewandnadel, wo man bisher solche aus Knochen oder gespalte nen Eberhauern getragen hatte. Gegen stände, die man erstmals nicht selbst fer tigen konnte. Das Geheimnis der Herstel lung lag in Händen der ersten technischen Spezialisten der Menschheitsgeschichte: der Kupferschmelzer und Gießer. Bisher hatte man sich darin genügt, vor handene Materialien einfach zu benützen. Mit dem Kupfer war erstmals die Mög lichkeit bewußt geworden, vorhandene Stoffe einem Umwandlungsprozeß zu un terziehen. Bald erkannten die Gießer, daß das weiche Kupfer durch die Zugabe von Zinn beträchtlich an Härte und Wider standskraft gewann. Die Frühzeit des Me talles, die Bronzezeit, war angebrochen. Ebenso bedeutend wie der neugefundene Werkstoff war jedoch das heraufdäm mernde Bewußtsein, daß die Erde wohl noch um einiges mehr barg als totes Ge stein. Von diesem Punkt an war die wei tere Entwicklung unausbleiblich und hin sichtlich weiterer Entdeckungen und Tech niken nur noch eine Frage der Zeit. Der Bronzeguß leitete ein blühendes Zeit alter, das „Mittelalter der Vorgeschichte", ein. Es scheint, als hätten die Möglichkeiten des neuen Materiales einen lange zurück gestauten Gestaltungswillen formhaft frei gesetzt. Unter einem erstaunlichen Fein gefühl für den Werkstoff und seinen Cha rakter entstand ein homogener Formen schatz von einfacher, vollendeter Schönneit, wie ihn — trotz prunkvollster Erzeug nisse — keine kommende Zeit mehr errei chen sollte. Es war noch der Mensch, der ohne technische Verfremdung das Schöne im Sinne des „angenehmen Anblicks" formte. Man stand am Anfang einer schier unerschöpflichen Formenwelt, die bis zu einem gewissen Grad aufgeschlossen, dann durch menschliche Ungeduld übersteigert wurde, um später — in krampfhafter Suche nach dem Neuen — in technischen „Ver fahren" und Charakterlosigkeit zu zer platzen. Hatte man bisher für den eigenen Lebens bedarf produziert, so übten die Bronze schmelzer nun ein Gewerbe aus, indem sie für andere produzierten. Allein um den Zahlungswert zu schaffen, mußte daher die Nahrungsherstellung über den Eigenbedarf hinaus gesteigert werden. Dem folgte fast zwangsläufig die erste unproduktive Tätig keit, die nun zum Beruf werden konnte. Der Händler wurde zum festen Bestandteil der Gesellschaft. Der Ackerbauer gewann ein bedeutendes Mehr an Zeit, da ihm die Geräteherstellung abgenommen war. Jedes Steingerät war eine Einzelanfertigung, ein „Prototyp", gewesen. Das Metallgußver fahren hingegen erlaubte nun die SerienLinke Seite: Schmuck aus Gehäusen von Meeresmuscheln (Spondylus). Jungsteinzeit liche Grabbeigaben aus Rutzing Oben: Bronzedolch mit erhaltenem Griffstück aus fLirschgeweih. Grabfund aus dem Gräber feld Haid Rechts: Aus der Formenwelt der frühen Metall zeit: Henkeltasse und Bronzearmreifen aus dem Gräberfeld Haid

fertigung aus ein und derselben Form. Die gewonnene Zeit, sogleich in vermehrte Nahrungsproduktion umgesetzt, ermög lichte im weiteren, daß wieder neue Tätig keiten — etwa die Töpferei — zum eigen ständigen Beruf werden konnten. Kurzum, die Metallverarbeitung setzte nach und nach eine Kette von Verselbständigung und Spezialistentum in Bewegung, die sich bis heute in endloser Reihe fortsetzt und ver vielfacht. Ein Spezialistentum allerdings, das im eigentlichen Sinne nicht lebensfähig ist, wäre nicht das erste Glied der Kette in der ältesten Wirtschaftsform, der Landwirt schaft, verankert. Die neue Zeit begann, im Herkömmlichen ihre Spuren zu hinterlassen. Der Glanz und die klingende Härte des Metalles schafften Selbstbewußtsein. Aus dem Dorfältesten und passiven Sippenführer der JungsteinLinks: Harmonie bronzezeitlicher Formen. Gefäßbeigaben aus dem Gräberfeld Haid und Scbwertfund aus Holzleithen Unten: Grabfunde der frühen Eisenzeit aus dem Gräberfeld der Hallstattkultur bei Rutzing zeit wuchs nun eine gesellschaftliche Adels schicht, aktive Stammesführer, künftige Fürsten mit den Statussymbolen vermehr ten metallenen Besitzes und bester Bewaff nung. Und der Dolch zeigte seine Spitze. Unmerklich durchstach er die erste Zufrie denheit, den einfachen, nun schon mehr als dreitausend Jahre währenden selbstgenüg samen Lebensstil. Neue, nie gekannte Wünsche wurden geweckt. Nahrung und Bekleidung waren nicht mehr alleiniges Wertmaß. Ein drittes Maß war geboren. Ein Maß, dessen Bedeutung späterhin Frie den und Zufriedenheit zeitweilig förmlich hinwegspülen sollte: Das Maß gleißenden Besitzes, der luxuriös über den eigentlichen Lebensbedarf hervorragt. Wenn auch die Bronzezeit in unseren Ge genden vorwiegend friedlich verlief, so wurde doch der Dolch zum Schwert, das gegen den Menschen — und wohl mehr für den Angriff, als zur Verteidigung - ge gossen war. Sein Besitz und seine Stärke . "»»'f.. ."u '

Rechts: Halsschmuck aus Bronze und Eisen. Beigaben aus dem hallstättischen Gräberfeld Rutzing war wohl auch Aufforderung zum Ge brauch. Die frühe Bronzezeit brachte für die Welser Heide den Zuzug einiger weiterer Sied lergruppen. Kennen wir aus der BOOOjährigen Periode der Jungsteinzeit bisher etwa 30 Gräber, so sind es aus den ersten 600 Jahren der Bronzezeit mehr als 300. Die Mehrzahl der Siedlungsanlagen, die sicher unweit der größeren Begräbnisplätze bestanden, sind jedoch bisher noch unentdeckt geblieben. Im Gräberfeld von Haid, das noch nicht einmal vollständig erforscht ist, waren in 127 Grabstellen 168 Men schen bestattet, davon 41 in nur 15 Mehr fachgräbern. Eine Epidemie scheint zum Aufgeben der noch unbekannten Siedlung gezwungen zu haben, denn der Anteil der Kinder unter den 168 Individuen betrug 72! Alle Mehrfachgräber waren von Kin dern belegt, bis zu 9 gleichzeitig in einer Grabgrube bestattet. Tiefe Gefühle spiegeln sich nach beinahe 4000 Jahren in so mancher Grablage. Der Bruder hält die Hände des kleinen Mäd chens, die Mutter umklammert schützend das Köpfchen des Säuglings. — Die Aus stattung aller Gräber war von sichtbarer Sorgfalt und bezeugte, welche Wertschät zung die Verstorbenen bei ihren Angehö rigen genossen. Nicht die prächtigste Schmuckgarnitur war zu wertvoll und die Speisenbeigabe, meist in ein bis zwei schö nen Gefäßen, war obligat. Das Eisenschwert Das europäische Festland war von Handels wegen durchzogen, die von Küste zu Küste reichten. Regelmäßig schon waren die Händler gekommen und hatten Geräte, Waffen und bronzenen Schmuck angeboten, vielfältiger und prächtiger als in der frühen Zeit. Vielfältiger und drängender wurden wohl auch die Wünsche. Halsketten und Armbänder aus Muscheln und Schnecken des Mittelmeeres waren für die Siedler in der Welser Heide keine unübliche Zier. Der Verbrauch an Kupfer war stark gestiegen und der Rohstoff, der die neue Zeit zur Blüte gebracht hatte, begann knapper zu werden. Zum zv/eitenmal in seiner Geschichte zog es den Menschen gegen das Gebirge. Zum er stenmal war er zehntausend Jahre vorher dem zurückweichenden Eis und seiner Tier welt gefolgt. Nun trieb die Suche nach Erz manche Gruppe in unwirtliche Gegend. Die Umwelt wurde gezielt erkundet. Das Er gebnis brachte jedoch das Ende für die Kultur, die Rohstoff für ihr Fortbestehen suchte. Die Zeit des Eisens brach an. Zuerst nur seltenes Schmuckmetall, mußten ungezählte o ö o Versuche und Fehlschläge seinen Weg be gleiten, bis das „schwere Gestein" zum schmiedbaren Stahl werden konnte. Wieder stand der Metallarbeiter an der Wiege der neuen Zeit. Aus dem Bronze gießer wurde der von Mystik und düsteren Sagen umwobene Schmied. Tücke und Kraft brauchte er, um den neuen Stoff der Menschheit gefügig zu machen. Und es scheint fast, als hätte der urzeitliche Schmied eben diese Eigenschaften für alle Zeit hineingehämmert in das funkensprü hende Metall des Hephaistos, der daraus Lanze und Schild der Athene schlug. Der geachtete Beruf des Bergmannes war entstanden. Das Hallstätter Salz wurde ab gebaut und schaffte als begehrte Handels ware nicht nur eine lokale Metropole nie gekannten Wohlstandes, sondern war An laß für ein dichtverzweigtes Handelsnetz und sicher Gründungsfaktor für viele, zum Großteil wohl noch unentdeckte, voralpenländische Stationen und Ansiedlungen der frühen Eisenzeit. Die Reste zweier Sied lungen (bei Traun und bei Holzleithen) und das hallstattzeitliche Gräberfeld von Rutzing scheinen Glieder einer ganzen Kette kleinerer Siedlungsstationen entlang des Trauntales darzustellen. Diese hatten wohl bäuerlichen Charakter, standen aber sicher mit dem Salzhandel in unmittelbarem Zusammenhang.

Eine Fülle von Neuheiten drang ins Land. Gold, Silber, Bernstein, Gagat und Glas waren nicht mehr ungewöhnliche Werk stoffe. Die neue Technik der Gold- und Bronze-Treibarbeiten fand in der Situlenkunst ihren Höhepunkt. Die in der Jung steinzeit ausgeklungene Gefäßbemalung gelangte zu neuen Ehren, die Ritz- und Stempelverzierung der Tongefäße erreichte barocke Formen. Die Erdbevölkerung der älteren Eisenzeit wird mit etwa 100 Millionen angenom men, umfaßte demnach bereits das 5- bis 20fache der jungsteinzeitlichen Gesamt bevölkerung. Die jüngere Eisenzeit brachte verstärkten keltischen Einfluß. Die Töpferei wurde mit Hilfe der Töpferscheibe zur Massenfabrika tion. Es entwickelte sich die Tendenz zur Großsiedlung mit eigenen Werkstätten bezirken. Die wandernden Schmiede der alten Zeit wurden abgelöst von ortsfesten Werkstätten, in denen man Eisengerät se rienmäßig fertigte. — Norisches Eisen wurde zum Qualitätsbegriff. Die Siedlungsreste und Werkplätze in der Welser Heide (besonders bei Neubau) las sen einiges dieser Entwicklung erkennen. Nicht zuletzt in Form von konzentrierten Abfallschüttungen von bisher unbekanntem Ausmaß. Das Jahr 15 vor Christi Geburt bringt das Ende der Urgeschichte und ihrer Kulturen. — Römische Legionen besetzen das Alpen vorland bis an die Donau. Wieder leben wir in einem neuen Zeitalter. Wieder standen die Techniker Pate. — Die vielfältigen, die drängenden Wünsche — sind sie seit damals weniger geworden? — Dem Fortschritt, so wird versichert, sind keine Grenzen gesetzt. — Den Weg säumen versunkene Kulturen. Walter Kunze Pfahlbauten am Mondsee Eine Sage erzählt am Mondsee von einem Dorf, das einst versunken sei und dessen Reste zuweilen in der Tiefe des Sees noch zu sehen seien. Man wird nicht fehlgehen anzunehmen, daß das Entstehen dieser Sage mit jenen Pfählen zusammenhängt, die man als Reste der Pfahlbausiedlungen zu Zeiten, vor allem im Winterhalbjahr, wenn das Wasser besonders klar ist, auf dem Seeboden erkennen kann. Ohne Zwei fel waren sie den Fischern immer bekannt gewesen. So wird auch Matthäus Much die ersten Hinweise von Fischern erhalten ha ben. Er war es, der 1872 die erste Pfahl bausiedlung am Mondsee, die sogenannte Station See, nahe dem Ausfluß der Seeache entdeckte. Damit leitete er jahrelange Untersuchungen ein, die den Beginn einer eingehenden systematischen Pfahlbaufor schung in Österreich bedeuteten. Sie hatten zur Folge, daß mit den reichen zu Tage kommenden prähistorischen Funden das Bild einer jungsteinzeitlichen Kultur er stand, die von der Wissenschaft den Namen Mondseekultur erhielt. Bereits im Jahre 1854 hatte der Präsident der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Dr. Ferdinand Keller, im Zürichersee Pfahl ansammlungen untersucht und als Reste von Wohnplätzen der Menschen aus der Vorzeit gedeutet, die ihre Hütten auf Pfäh len über dem Wasser errichteten. In diesem Jahr war der Seespiegel vieler Schweizer Seen durch eine außergewöhnliche Trokkenheit besonders tief gesunken, und die Uferbewohner versuchten durch Eindäm mungen das nun trockenliegende, ufernahe Land zu gewinnen. Dabei waren neben Pfählen Tonscherben und ganze Gefäße, Werkzeuge aus Stein sowie Knochen und mancherlei organische Reste frühen menschlichen Daseins ans Licht gekommen. Die Deutung Ferdinand Kellers bedeutete die Geburtsstunde der Vorstellung von Pfahlbauten über dem Wasser (wenn man von den Berichten Herodots absieht), wie sie uns seit der Schulzeit geläufig ist. Der aufsehenerregende Fund am Zürichersee löste ein verbreitetes Suchen nach Pfahl bauten in anderen Seen der Schweiz, aber auch in Süddeutschland, Frankreich, Italien und Österreich aus. Bis 1866 waren in den Schweizer Seen schon annähernd 200 Pfahl bausiedlungen entdeckt worden. Im Jahre 1863 kam der Schweizer Geologe und Prä historiker Adolf Morlot nach Hallstatt, um die aufsehenerregenden Ausgrabungen am Salzberg zu besuchen. Anläßlich dieses Auf enthaltes forschte er an einigen oberöster reichischen und Kärntner Seen nach Resten von Pfahlbauten, allerdings ohne Erfolg. Hingegen gab ein Vortrag in der Geolo gischen Reichsanstalt in Wien über die Schweizer Pfahlbauten, in dem er die Ver mutung ausdrückte, daß es auch in den österreichischen Alpenseen Pfahlbauten ge ben müsse, Anregungen zum Beginn einer Pfahlbauforschung in Österreich. 1864 be gann die Akademie der Wissenschaften durch ihren Präsidenten Andreas Freiherr von Baumgartner eine systematische Pfahl bauforschung ins Auge zu fassen, und die damalige Zentralkommission zur Erfor schung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale in Wien rief zu Beobachtungen über etwaige Vorkommen von Pfählen in den österreichischen Seen auf. Erste Beobachtungen von Pfählen wur den aus dem Laibacher Moor und vom Keutschacher See gemeldet. Untersuchun gen des Geologen Rudolf Kner und des bekannten Geographen und Dachstein forschers Friedrich Simony in Salzkammer gutseen blieben ohne Erfolg. 1870 nahm die in diesem Jahre gegründete Wiener Anthropologische Gesellschaft die Suche nach Pfahlbauten in den österreichischen Alpenseen in ihr Arbeitsprogramm auf. Eine namhafte Spende des Grafen Johann Wilczek sicherte die finanzielle Seite des Vorhabens. Im Auftrag der Gesellschaft begann Gundaker Graf Wurmbrandt unter Mithilfe eines Schweizer Fischers im Hallstättersee zu suchen, ohne aber Pfähle zu finden. Auf Rat von Matthäus Much suchte Graf Wurmbrandt am Attersee im Bereich des Ausflusses der Ager und entdeckte hier

i. Dr. Matthäus Much (1832—1909) entdeckte 1972 die erste Pfahlbausiedlung am Mohdsee; er gilt als Altmeister der österreichischen Pfahl bauforschung. — Foto: Schwaighofer am 25. August 1870 die Pfahlbausiedlung Seewalchen, die erste bekannte im Salz kammergut. Das gab der Pfahlbaufor schung in unserem Lande Auftrieb. Im fol genden Jahr entdeckte er mit seinen Mit arbeitern die Pfahlbausiedlungen Aufham, Attersee, Kammerl, Puschacher, Weyregg sowie am Traunsee bei Schloß Ort im so genannten Bäckerwinkel und beim Seeaus fluß. Hatte sich die Pfahlbauforschung in Öster reich bis dahin in der Hauptsache auf das Entdecken von Pfahlbausiedlungen und kleinere Fundbergungen beschränkt, so be gann mit der Auffindung der Pfahlbau siedlung See am Mondsee im Jahre 1872 durch Matthäus Much die Arbeit im Sinne einer eingehenden Erforschung. Die rei chen Ergebnisse seiner Tätigkeit am Mond see ließen ihn zum „Altmeister österrei chischer Pfahlbauforschung" werden. Dr. Matthäus Much (1832 bis 1909) be schäftigte sich außerdem eingehend mit Fragen der Bergbauforschung, vor allem mit dem urzeitlichen Bergbau in Mitter berg. Auch Fragen der prähistorischen Be siedlung des damaligen Österreich beschäf tigten ihn. Am Attersee führte er kleinere Pfahlbauuntersuchungen durch. Durch den Ankauf der Villa Marienau nahe der von ihm entdeckten Fundstätte See machte er sich den Sommer über hier seßhaft. Für seine Bergungsarbeiten in See wurde ihm der Fischer und Gastwirt Georg Reichl ein wertvoller Helfer. Auch Muchs Sohn Ru dolf, der spätere namhafte Germanist an der Universität Wien, arbeitete mit. Die lang jährigen Untersuchungen Matthäus Muchs am Mondsee fanden in einer Reihe von wissenschaftlichen Veröffentlichungen ihren Niederschlag. 1874 entdeckte er bei Scharf ling am Mondsee nahe der Mündung des Kienbaches eine weitere Siedlung. Für die Fundbergung war Much auf Arbei ten von der Wasseroberfläche aus angewie sen. Zeitweise beschäftigte er allerdings auch einen guten Schwimmer, der tauchend Funde mit der Hand vom Seeboden her aufholte. Die vom Boot aus erreichbaren Gegenstände wurden mit einer zangen artigen Vorrichtung geborgen. Für das Ber gen der Kulturschicht, in der die Masse der Funde steckt, verwendete Much eine selbst konstruierte Baggerschaufel. Sie war am Heck eines Flachbootes, eines sogenannten Trauners, befestigt und wurde hebelartig betätigt. Die verhältnismäßig große Was sertiefe (2 bis 4 m) erschwerte diese Arbeit sehr. Unvermeidlich war es bei dieser Me thode auch, daß manches beschädigt und der Boden vielfach unkontrolliert durch wühlt wurde. Auf diese Weise gelang es Much aber immerhin,eine erstaunlich große Zahl an Funden zu bergen. Das Bild einer eigenständigen Kultur, der Mondseekultur, schälte sich heraus. Sie wird von der Wisr " . senschaft mit annähernd 2500 bis 1800 V. Chr. begrenzt. In ihrer räumlichen Aus dehnung reicht sie über den größten Teil Oberösterreichs und Teile Salzburgs. Die umfangreiche Sammlung Much wurde nach seinem Tode zum Verkauf angebo ten und drohte an das Ausland verloren zu gehen. In letzter Stunde erwarb sie 1912 das österreichische Unterrichtsministerium und übergab sie dem Urgeschichtlichen In stitut der Universität Wien, wo sie heute noch aufbewahrt wird. Einige Funde ka men, meist durch Schenkungen, an das Naturhistorische Museum Wien, das öberösterreichische Landesmuseum in Linz, das Städtische Museum Salzburg und das Rö misch-germanische Museum in Mainz. Mit den Much zur Verfügung stehenden Möglichkeiten mußten etliche Fragen unge klärt bleiben, vor allem wie die Behau sung der Mondseeleute aussah, die Frage nach Art und Herkunft der damaligen Menschen, ihrer Bestattungsart, und schließlich die Hauptfrage aller Pfahlbau forschung, ob es sich hier tatsächlich um ursprüngliche Wassersiedlungen handle oder um eine Landsiedlung, die durch See spiegelschwankungen später unter Wasser gesetzt worden ist. Nach Matthäus Much ruhte mit Ausnahme einiger Begehungen die Pfahlbauforschung am Mondsee. Am Attersee wurde noch vor dem Ersten Weltkrieg im Auftrag des In dustriellen Max Schmidt durch die Fischer Wang und Wendl eine Vielzahl von Fun den geborgen. Dabei handelte es sich vor wiegend um Sammlertätigkeit. Die umfang reiche Sammlung Schmidt ging in Buda pest während des Aufstandes nach dem Zweiten Weltkrieg verloren. Aus dem Pfahlfeld See am Mondsee. — Foto: Unterwasser-Arbeitsgemeinschaft Salzburg k - J-"'-

' «' M * .i itefSÄMlH 1 ^ m Ik'. .> 1;^ m'"'' » 'I ■ ^">•^1'K:."'- ■"2 -■%"- ;fi w %■ Die Pfahlbausammlung im Heimatmuseum Mondsee. — Foto; Schwaighofer Eine zusammenfassende und eingehende Auswertung der Untersuchungen und der Fundausbeute Matthäus Muchs erfolgte durch Leonhard Franz und Josef Weninger in der 1927 erschienenen Publikation „Die Funde aus den prähistorischen Pfahlbauten im Mondsee" (siehe Schrifttumsverzeich nis). Im Jahre 1936 wurde in Mondsee ein Ar beitskreis zur Fortsetzung der Untersuchun gen ins Leben gerufen. Wie aus einem gedruckten Aufruf aus 1937 an die Be völkerung hervorgeht, dachte man nun an den Einsatz von Tauchern und an eine Kastengrabung. Es sollten die am Bodensee und in der Schweiz erprobten Methoden angewendet werden. Die wissenschaftliche Leitung des Vorhabens hatte Univ.-Professor Dr. Leonhard Franz übernommen. Dem Arbeitskreis gehörten u. a. der Schloßherr von Mondsee, Graf Otto v. Almeida, und Burgschauspieler Werner Krauß, der in Scharfling am Mondsee seinen Sommersitz hatte, an. Infolge der politischen Entwick lung kam es nicht zur Verwirklichung die ser Pläne. Eine Wiederaufnahme der Pfahlbauunter suchungen am Mondsee brachte das Jahr 1960. Dem Heimatmuseum Mondsee stellte sich aus eigenem Antrieb eine Taucher gruppe aus Salzburg zur Verfügung. Das Entgegenkommen der Graf Almeidaschen Gutsverwaltung als Seebesitzer und von Frau Cacilia Reichl, der Wirtin des Gast hofes See als Besitzerin der angrenzenden Seegründe, ermöglichte die Wiederauf nahme der Fundbergung in der Pfahlbau station See. Dem Verfasser als Leiter des Unternehmens schwebte zunächst vor, eine Ausgangsgrundlage für eingehende Unter wasseruntersuchungen zu schaffen, Erfah rungen zu gewinnen und vor allem Funde zu bergen, um im Rahmen des Heimat museums eine Pfahlbausammlung aufzu bauen und damit eine möglichst umfas sende Vorstellung von der Pfahlbaukultur am Mondsee vermitteln zu können. Als Rahmen für die Arbeiten wurde ins Auge gefaßt; Feststellung des genauen Umfanges der Pfahlbausiedlung See, Klarheit über die allgemeine Beschaffenheit des Seebodens und des Reliefs im Bereich des Pfahlfeldes, Gewinnung von Hinweisen über Siedlungs und Hausform, Erkundung von Vermes sungsmöglichkeiten unter Wasser und vor allem Bergung von Funden; als ferneres Ziel galt die Untersuchung des gesamten Mondsees nach weiteren Pfahlbauten. Die technische Ausrüstung der Taucher be stand aus Preßluft-Rückengeräten, Naß tauchanzügen und dem üblichen Zubehör für Taucharbeiten. Am Ufer wurde ein Kompressor stationiert. Die Taucher kam pierten 1960 in der Hauptsache in Zelten in nächster Nähe der Tauchstelle. Um die Untersuchungen in einen größeren Rahmen zu stellen und die Lösung der wissen schaftlichen Hauptfragen zu ermöglichen, wandte sich das Heimatmuseum Mondsee 1961 an das Oö. Landesmuseum. Unter der Leitung von Dr. Josef Reitinger und Bei ziehung von Dipl.-Ing. Dr. Vinzenz Janik

als Fachmann für Bodenkunde wurde die Lösung der Hauptfrage aller Pfahlbaufor schung, nämlich ob es sich hier um eine ursprüngliche Wassersiedlung oder eine Landsiedlung handle, in Angriff genom men. Durch das Land Oberösterreich und das Bundesdenkmalamt erfuhr das Unter nehmen finanzielle Unterstützung. Boden bohrungen und -Untersuchungen im Be reich des Seeausflusses ergaben, daß hier einst ein Bergrutsch erfolgt ist, der den Ausfluß verlegt hat. Dafür spricht auch die plötzliche Richtungsänderung der Seeache kurz nach ihrem Ausfluß. Durch den Berg rutsch wurde die Seeache gezwungen, ihren Lauf nach Norden zu verlegen. Nach den Ergebnissen Dr. V. Janiks war die Verle gung des Abflusses mit einem bedeutenden Stau des Mondsees verbunden, der be trächtliche Veränderungen der Abflußhöhe zur Folge hatte. Seehöhe und Seeausfluß lagen ursprünglich tiefer als die Pfahlbau siedlung See. Das bedeutet nach den Unter suchungen Dr. V. Janiks, daß diese am trockenen Ufer stand. Zusätzlich zum See aufstau und möglicherweise als auslösende Wirkung für den Bergrutsch dürften kli matische Einflüsse eine Rolle gespielt ha ben, weil das Ereignis in eine Periode der Klimaverschlechterung fällt. Die alte, über kommene Vorstellung von Pfahlbauten über dem Wasser schien durch diese Unter suchungen widerlegt und bewiesen, daß die Pfahlbausiedlung See ursprünglich auf dem Lande stand. Die Fundbergung brachte mit Hilfe der Taucher ein umfangreiches Material zutage. Gearbeitet wurde im ersten Jahr von einem Trauner aus, einem am Mondsee üblichen Flachboot. Dieses wurde über dem Pfahlfeld verankert und war Stützpunkt, Transport mittel und Arbeitsplatz zugleich. Die Funde stecken in der sogenannten Kul turschicht, einer über dem festen Seeboden lagernden, in der Hauptsache aus Schlamm und verschiedenen Abfällen organischer Herkunft bestehenden, im Durchschnitt einen halben Meter dicken Schicht. Es gilt, diese im geplanten Platz abzuheben und an die Wasseroberfläche zu befördern. Das Abheben erfolgt mit der bloßen Hand, um etwaige Funde nicht zu beschädigen. Diese Arbeit wird dadurch erschwert, daß mit dem Berühren der Kulturschicht die Sicht durch Wassertrübung vollkommen genom men wird und die Taucher ausschließlich auf ihr Tastgefühl angewiesen sind. Für das Bergen des Materials wurden Kistchen mit Siebboden verwendet. Im gefüllten Zu stand wurden sie von den Tauchern schwimmend an die Oberfläche befördert und in das Boot entleert. Daran schloß sich am Ufer das Sieben und Sortieren des geborgenen Materials. Auf die Erfahrun gen des ersten Jahres aufbauend, konnte im Jahre 1961 die Bergungstechnik verbes sert werden. Als Stützpunkt über dem Wasser wurde ein Floß gebaut, dessen mitt lerer Teil gegen die Wasseroberfläche zu offen war. Darüber wurde eine Kurbel winde befestigt, die für das Hochziehen der unter Wasser gefüllten Siebkisten diente. Um für die Arbeit unter Wasser beweg licher zu sein, verwendeten die Taucher das sogenannte Nargile-Gerät. Auf dem Floß war hiezu eine große Preßluftflasche gela gert, von der eine lange Schlauchleitung zum Atmungsgerät des Tauchers führte. Um eine Kiste unter Wasser zu füllen, be durfte es im Durchschnitt der Arbeit einer halben Stunde. Nach dem Heraufwinden der gefüllten Kiste folgte auf dem Floß die Siebarbeit. Hier galt es, auf kleinste Spuren zu achten und genau zu sortieren. Ein wichtiges Hilfsmittel für die Unter wasser-Archäologie ist heute allgemein die Unterwasserkamera. Sie ermöglicht Auf nahmen des Pfahlfeldes, das Festhalten der Fundverhältnisse und der Beschaffenheit des Grabungsbereiches und zeigt untrüg lich auf, was früher unter Wasser im Dun keln blieb. Der Einsatz der Taucher ermöglichte eine genaue Untersuchung des Pfahlfeldeis hin sichtlich seiner Ausdehnung und der Be schaffenheit der Pfähle. Sie ragen verschieTaucher beim Bergen eines Fundes in der Pfahlbaustation See. — Foto: Vogeisberger

den lang aus dem Seeboden, im Durch schnitt einen halben Meter; manche ragen nur gering aus der Kulturschicht heraus, und andere sind zur Gänze darunter ver borgen. Der im Wasser steckende Teil be sitzt eine gewisse Härte, das im Boden ver ankerte Holz ist weicher. Der Durchmesser der Pfähle beträgt zwischen 10 und 25 cm. Sie stehen scheinbar ungeordnet nebenein ander — wie beiläufig eingerammt. Bisher ist es nicht gelungen, daraus Hausgrund risse zu erkennen. Aus dem Seeboden ge zogene Pfähle ließen an ihrer Spitze deut lich die Schlagspuren der Steinwerkzeuge erkennen. Die in den Jahren 1962 und 1963 vom Hei matmuseum Mondsee fortgesetzten Gra bungen durch Taucher in der Station See brachten ebenfalls eine reiche Ausbeute. Die vielen Bruchstücke von Gefäßen, es handelt sich um etliche tausend, wurden in Kistchen verstaut und in die vom Heimat museum eingerichtete Restaurierwerkstätte transportiert, wo Oberlehrer i. R. Karl Fornather jahrelang sich der überaus müh samen Arbeit des Zusammensuchens und Zusammensetzens der Bruchstücke unter zog. Restaurierbar ist ein Gefäß nur dann, wenn es als Ganzes in seiner Form gesichert erscheint. Das Profil vom Boden bis zum Mundstück muß lückenlos vorhanden sein. Liegen im allgemeinen bei einer Land grabung die Teile eines zerbrochenen Ge fäßes nahe beisammen, so-sind sie auf dem Seeboden oft weit verstreut und wurden in der Kulturschicht durch mancherlei Ein flüsse umgelagert. Durch die Taucher ka men hier erstmals Gefäße von einer Größe, allerdings in zerbrochenem Zustand,zutage, wie sie bis dahin in Pfahlbausiedlungen Österreichs noch nicht geborgen worden sind. Es handelt sich vermutlich um eine Art von Vorratsgefäßen, mit einer Höhe von 40 bis 50 cm. An das Restaurieren schloß sich das Inven tarisieren. Jedes Gefäß wurde vermessen, in seiner Größe und Form festgehalten und schließlich auch photographiert. Anschlie ßend wurden die Funde der Pfahlbausamm lung des Heimatmuseums Mondsee eingeodnet. Daß Restaurieren auch ein spannendes Abenteuer sein kann, zeigt die Geschichte des Wiedererstehens des größten der ge fundenen „Vorratsgefäße". Wesentliche Bruchstücke dieses dickwandigen Gefäßes waren bei Taucharbeiten eines Sommers gefunden worden. Der Bestand reichte aber nicht aus, um es in seiner ganzen Form wiedererstehen zu lassen. Am Profil fehlte das obere Ende — das Mundstück. Bei den Grabungen im folgenden Jahr wurde durch einen glücklichen Zufall in der Wirrnis der Kulturschicht das fehlende Stück gefunden. Nun konnte das Gefäß in seiner ursprüng lichen Form rekonstruiert werden. Von den Pfahlbauuntersuchungen 1960 bis 1963 am Mondsee wurde unter dem Titel „Jahrtausende tauchen aus den Fluten" ein Film hergestellt. Darin wurden die Gra bungsarbeiten unter Wasser,das Bergen von Funden, die verschiedenen Bergungsmetho den, das Pfahlfeld in der Station See und die Restaurierungsarbeit festgehalten und wird schließlich versucht, die Mondseekul tur an Hand der geborgenen Funde leben dig werden zu lassen. Die Jungsteinzeit brachte die Menschheit einen gewaltigen Schritt vorwärts, bedeu tete einen tiefen Einschnitt in ihrer Ent wicklung. Der Mensch hatte den Schritt von der rein aneignenden Wirtschaftsweise der Altsteinzeit zur erzeugenden getan und wird nun seßhaft. Aus dem Sammler und Jäger ist ein Ackerbauer und Viehzüchter geworden. An die Stelle des Faustkeils tritt fein gearbeitetes Werkzeug, eine hand werkliche Stufe ist erreicht. Die größten Erfindungen des Menschen der Jungstein zeit sind die Töpferei, das Schleifen und Bohren des Steins und der Beginn des Spinnens und Webens. Die Morgenröte der Geschichte geht damit über unserem Lande auf. Wissen wir auch nichts über Art und Her kunft der Menschen in den Pfahlbauten, so tut sich doch mit der aus dem Seeboden gehobenen Hinterlassenschaft die Welt der Pfahlbauern vor uns auf; ihre Lebensfüh rung wird lebendig, wir erkennen die Eigenart einer frühen Kulturperiode unse res Landes. Hier liegen die Anfänge eines Bauerntums in unserer Landschaft. Vor 4000 Jahren wurden an den Ufern des Mondsees bereits Weizen und Gerste ge baut; dieses Getreide kommt unserem heu tigen schon nahe, wie die Funde beweisen. Mahlsteine zeugen davon, daß dem Men schen das Verarbeiten des Getreides bereits vertraut war. Diese Urmühle bestand aus einem größeren Mahlstein und einem klei neren Reibstein. Mühsam wurden dazwi schen die Körner zerquetscht und zerrieben. Alles Tun des Menschen gipfelte im Sichern der Ernährung, seine Hauptsorge galt dem Vorrat für den Winter und dem Überleben schlechter Ernten. Buchen- und Haselnüsse waren auch ein Bestandteil der Nahrung, ebenso war den Pfahlbauern eine kleine Form des Apfels bereits bekannt. Ihre Schnüre und grobe Gewebe stellten sie aus Bast her. Daß ihnen eine primitive Form des Spinnens und Webens vertraut war, ist aus dem Vorhandensein von Spinnwirteln, Webergabeln und Webgewichten zu ent nehmen. Als Haustiere hielten sich die Pfahlbauern Rind, Schaf, Ziege, Schwein und Hund. Sie müssen auch eifrige Jäger gewesen sein, davon künden die vielen Knochenfunde. Aus ihnen ist zu entneh men, daß damals Hirsch und Reh, Wild schwein, Bär und Wolf unsere Wälder be völkerten. Aus Knochen, Geweih und Gehörn wurde vielerlei Werkzeug angefertigt: Schaber, Nadeln, Pfriemen, Ahlen und Beile in ver schiedenen Formen und von einer vielfäl tigen Verwendbarkeit. Stein war der wichtigste Rohstoff für das Werkzeug der Mondseeleute. In Gebrauch befanden sich rundgeschliffene Klopfer und Reiher, Flachbeile in verschiedenen Größen und Formen. Die Hammeraxt besitzt be reits ein fein gebohrtes Loch zum Einsetzen eines Stieles. Der Knaufhammer gehört in seiner geschwungenen Formgebung zu den wichtigsten Leitfunden der Mondseekultur. Vorhanden sind auch verschiedene Formen von Steinkeulen. Der Stein mußte eine ge wisse Härte besitzen und durfte vor allem nicht splittern. Es mußte dazu Material aus der Urgesteinszone herangeholt werden. Vielleicht war der geeignete Stein auch Handelsware. Häufig verwendet wurde Serpentin. Durch Johann Offenberger 1972 in die Wege geleitete, petrographische Un tersuchungen an den Steinwerkzeugen aus dem Bestand des Heimatmuseums Mond see in Wien ergaben, daß neben Serpentin und Feuerstein auch Diabas, Diorit und Tonalit verarbeitet wurden. Zum Zerkleinern des Steines und seiner groben Ausformung wurde eine Art Stein säge verwendet. Als Schneide diente ein Stein mit größerem Härtegrad. Die fein ge bohrten Löcher in den Lochbeilen wurden mit Hilfe eines Steinbohrgerätes ange bracht. Unter Verwendung eines härteren Sandes als Reibstoff wurde in langer, mühe voller Arbeit das Loch gedreht. Man nimmt an, daß hiezu Holunderrohr verwendet wurde, das nur rund um den Bohrkern arbeitete. Ein erstaunlich entwickeltes Ge fühl für die Form ist erkennbar. .Vus Stein waren auch die Messer der Pfahlbauern; sie wurden aus Feuerstein gearbeitet und besitzen eine sichelförmige Krümmung. Die Schneide ist nicht ge schliffen, sondern geschlagen und zwei schneidig. Die Schärfe dieser Sichelmesser blieb bis heute gut erhalten. Die wichtigste Jagdwaffe waren Pfeil und Bogen. Ihre Pfeilspitzen schlugen die Pfahl bauern aus Feuerstein; sie verstanden es, die Kanten mit scharfen Schneiden zu ver sehen und daraus eine tödliche Waffe zu machen. Die Spitze wurde im oben gespal tenen, hölzernen Pfeilschaft mit Schnur und einer Harzmasse befestigt. Knöpfe wurden aus Stein und Knochen gefertigt und mit feinen Bohrungen versehen. Uralt ist der Wunsch der Menschen nach Schmuck, oft wohl auch eng verbunden mit einer religiösen Sinngebung. Tierzähne, versehen mit feinen Bohrlöchern, wurden, auf einer Schnur aufgefädelt, um den Hals getragen. Schutz vor bösen Einflüssen mag ein Beweggrund gewesen sein, oder auch der Glaube, daß mit dem Tragen der TierMahlstein und Vorratsgefäß aus der Pfahlbau siedlung See im fdeimatmuseum Mondsee. — Foto: Schwaighofer

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