Oberösterreich, 22. Jahrgang, Heft 1, 1972

deutschen Grenzorte Klein-Pernau und Kukus, in denen sich das Schicksal des Land arztes Dr. Zemann in dem Roman „Das verschüttete Antlitz" vollzieht. Zemann hat sich mühsam emporgearbeitet, aber er bleibt, wie Prof. Jungwirth in seiner Lau datio auf die 1963 mit dem Adalbert-Stifter-Preis ausgezeichnete Dichterin es nennt, „ein einsamer und in sich stummer Mensch zwischen den Nationen und Klassen." Er ermordet seine Frau und wandert für sie ben Jahre ins Gefängnis. Dann wird er für vier Jahre Flickschuster. Am Schluß rettet er den Nachbarn, der sein Feind war, auf dem Weg über die Grenze. Hier gilt es, auch auf Franz Turnier hinzu weisen, der 1971 den Adalbert-Stifter-Preis des Landes Oberösterreich erhalten hat. Tumler ist wohl nicht in Oberösterreich geboren und wohnt auch nicht hier, aber ist durch seine Mutter, die aus Ried i. 1. stammt, durch die vielen Jahre, die er hier verbrachte und schließlich durch sein Werk — man denke an die Romane „Ein Schloß in Österreich" und „Der Mantel!" — eng mit diesem Land verbunden.In seiner Erzählung „Das Tal von Lausa und Duron" berichtet er von dem Untergang eines einsamen, hochgelegenen Hirtendorfes, das „aus zwölf Häusern und ihren Bewohnern bestand." Das Dorf wurde in den Kämpfen des ersten Weltkrieges zerstört. Die Leute mußten in eine ihnen fremde Umgebung ziehen. Mit dem Verlust der Heimat verloren sie auch ihre Eigenart, das Gemeinsame. Was nach dem Krieg nach Lausa und Duron zurück kommt,sind nur noch wenige. Der Roman „Der Schritt hinüber" zeigt uns das Schicksal einer jungen Frau in der russischen Besatzungszone, nahe an der Grenze. Sie heist Susanne und war vier Wochen vorher aus ihrem Dorf jenseits der Grenze ausgewiesen worden. Sie verstrickt sich in viele Irrungen und Wirrungen, er lebt viele Nöte und Konflikte, bis sie den Schritt über die Grenze zu ihrem Mann tun konnte. Die Novelle „Der erste Tag" gibt uns Ein blick in die Geschichte eines Lehrers, der, wie Fischer-Colbrie in seinem Wegweiser durch die oberösterreichische Literatur meint, „schon am ersten Berufstag eine erschütternde Einsicht in die tieferen Zu sammenhänge des Lebens gewinnt und da durch erst den Weg zu wahrer Erfüllung seines Berufes findet." Tumlers Roman „Ein Schloß in Österreich" umschließt die Geschichte des Gutes Hagenberg in den Jahren von 1939 bis 1949. Der Autor zeigt die großen politischen Ereignisse von da mals und ihre Auswirkungen auf die Be wohner des Schlosses. Mit innerer Anteil nahme verfolgt man die kleinen menschli chen Dramen und das Bemühen der neuen Machthaber, aus dem Schloß einen Muster betrieb nach deutschem Vorbild zu machen. Wir müssen Thomas Bernhard nennen, der 1931 in Heerlen bei Maastrich geboren wurde und dessen Vorfahren als Bauern, Roßhändler, Gastwirte und Fleischhauer im Salzburgischen und in öberösterreich gelebt haben. Bernhard besitzt seit Jahren in öhlsdorf einen Bauernhof, wohin er im mer wieder zur dichterischen Einkehr flüchtet. In seinem Roman „Frost" ist ein abgelegenes, düsteres Dorf im Gebirge Schauplatz der Handlung. In dieses Dorf hat sich der Maler Strauch in der Vor ahnung seines nahenden Todes zurück gezogen. Die Schilderung des Dorfes durch den Maler ist bitter: „Die schwere Körper verletzung und die Unzucht wider die Na tur sind an der Tagesordnung. Die Kindes mißhandlung, der Mord, Vorfälle für Sonn tag nachmittags ... Das Vieh hat es bes ser ... Die Schulen haben den allerniedrigsten Standard und die Lehrer sind hin terhältig, verachtet wie überall. Gehen oft an Magengeschwüren zugrunde." Auch die Darstellung verschiedener Ereignisse ist be drückend. Ein junger Medizinstudent hat die Aufgabe, Strauchs Geisteszustand zu beobachten. In nächtlichen Niederschriften hält er das Gehörte und Gesehene fest. Im Roman „Verstörung" nimmt ein Land arzt aus der Steiermark einen Tag lang sei nen Sohn auf Visite mit. Dabei begegnen sie einer Reihe von Fällen, wie sie eben eine Landpraxis bringt: sie kommen zum Mühlenbesitzer mit seinen Geschwürbein, zu einem zuckerkranken Industriellen, zu einem Verkrüppelten in der Burg, usw. Zum Teil treffen sie aber auch auf Fälle, die außerhalb des Medizinischen liegen: auf den tragischen Tod des Lehrers, den Tot schlag an der Gastwirtsfrau, den anderen Fällen von Gewalttätigkeit. In dem Roman „Das Kalkwerk" werden die Gründe für eine Bluttat aufgedeckt, die Konrad begangen hat. Er hat in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember seine seit Jah ren an den Rollstuhl gefesselte Frau erschossen. Die Motive: Verletzungen in der Kindheit, Vorstrafen, das zwanghafte Verhältnis zur Frau, die Unerträglichkeiten des Alltags. Die Polizei findet den Mörder zwei Tage später halb erfroren in einer ausgetrockneten Jauchegrube. Marlen Haushofer hat uns in dem Roman „Die Wand" ebenfalls eine Dichtung ge schenkt, die im ländlichen Bereich spielt. Eine Frau wartet in einem einsamen Jagd haus mitten in der Bergwelt vergebens auf die Rückkehr ihrer Verwandten, die noch ins Dorfwirtshaus gegangen waren. Eine undurchsichtige, aber undurchdringliche Mauer, „die Wand", umgibt sie plötzlich. Jenseits dieser Mauer ist die große Kata strophe eingetreten: Mensch und Tier sind dort einer rätselhaften Todesstarre zum öpfer gefallen. Mit einem Hund, einer trächtigen Kuh und einer Katze versucht sich nun die Frau in dem Jagdhaus, in dem es nicht allzuviele Vorräte gibt, zurechtzu finden. Wie sie sich bewährt, wie sie die Arbeiten verrichtet, das Heuen, die Kartof felarbeit, die Pflege der Tiere, usw., davon berichtet das Buch. Und auch davon, daß der größte Feind des Menschen der Mensch ist. Eines Tages taucht ein Mensch auf, und sein Erstes ist es, den Hund zu erschießen und den Stier zu erschlagen. Haushofer, 1920 in Frauenstein als Tochter eines Försters geboren, läßt in dem Roman „Himmel, der nirgendwo endet", das Kind Meta — vielleicht in einer Art Selbstbio graphie — die ländliche Welt rund um sich erleben: wie es strafweise im Regenfaß sit zen muß, weil es die Großen bei der Heu ernte gestört und geärgert hat; wie es in den Bilderbüchern blättert, in denen die Katzen, Kühe und Hähne zu finden sind; wie es dem Hund ein Haus aus Holz scheitern baut; wie es in der Streu des dämmrigen Roßstalles sitzt; wie es jeden Tag den großen Stein hinter dem Roßstall besucht und dort spielt und beobachtet; wie es von Mama auf dem Kirtag verpackte Waffeln bekommt; wie es der Mutter ver heimlicht, daß es auf dem Schulweg Kir schen und Halmrüben stiehlt; wie im Som mer der Kraxenmann kommt, der alles Mögliche anbietet: Zwirn, Knöpfe, Schuh bänder, Kolophonium zum Schweine schlachten, Wetzsteine und Ringe und Ket ten für die Frauen; wie sie den Streit der Eltern hört, den sie ihretwegen im Schlaf zimmer führen; wie die kleine Dame ins In ternat kommt und immer an ihre Henne denken muß; wie sie Sehnsucht nach dem Forsthaus hat, wie sie zu ihrer großen Freude der Vater besucht, dessen Mantel vertraut nach Holz und Tabak riecht; wie sie die Ferien genießt und wie der Stein hinterm Roßstall am Ende der Ferien zu ihr sagt:„Sei nicht traurig!" Die dörfliche Welt bildet auch bei Linus Kefer immer wieder den Hintergrund sei ner Prosa. So erfahren wir in der packen den Erzählung „Der Sturz des Blinden" das merkwürdige Geschick des dörflichen To tengräbers, eines Außenseiters, der bereits in der Schule wegen seines Namens Eleuterius Ursin verlacht worden ist. Ursin ver sucht, mit dem Leben zurechtzukommen und kämpft erfolgreich gegen die drückende Armut an. Nach dem Tode der Mutter be ginnt er das Elternhaus baulich zu ver bessern, er errichtet einen größeren Stall, kauft eine Wiese. Als ihm die Frau von der nahenden Geburt eines Kindes Mitteilung macht, fühlt er sich in seinem Streben be hindert. Er wehrt sich: „Es ist kein Platz bei mir für ein Kind. Ich bin arm, ich kann es nicht brauchen!" Da faßt das Schick sal den Mann grausam an. Die Mutter stirbt bei der Geburt eines Sohnes und als der Mann sich mit seinem Schicksal aus söhnt und das Kind zu lieben beginnt, wird dieses von Junta, einem Weib, das der To tengräber aus höchster Not gerettet und bei sich aufgenommen hat, entführt. Seit dieser Zeit glaubt Ursin, ein vom Schick sal Verworfener, ein Verdammter zu sein.

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