Oberösterreich, 22. Jahrgang, Heft 1, 1972

Karl Pömer Das Bäuerliche in der oberösterreichischen Dichtung^ Gewiß: ein Kunstwerk verdankt sein Entstehen zunächst einer schöpferischen Persönlichkeit und nicht einem Berufsstand; das Werk lebt aus der Gestaltungskraft des Künstlers, zeigt sein Können, verrät uns, wie er denkt und fühlt. Andererseits aber ist es nur natürlich, daß das Schaffen des Künstlers durch die Welt, aus der er kommt und in der er lebt, wesentlich mitgestaltet wird: durch das Elternhaus, den Beruf, das Schicksal der Umgebung und durch die Erfahrungen und Erkenntnisse, die der Künstler im Laufe seiner Entwicklung ge winnt. Die folgende Betrachtung möchte diese Feststellung an einem Beispiel näher be leuchten, nämlich am Einfluß der bäuer lichen Welt in der oberösterreichischen Dichtung. Wir werden uns dabei mit Leben und Werk der Schriftsteller zu befassen haben, die aus dem oberösterreichischen Bauernstand stammen, bzw. mit jenen, die bäuerliche Probleme behandeln. Wir müs sen aber auch die Autoren in unseren Ge sichtskreis rücken, in deren literarischen Arbeiten die Menschen und Schicksale aus dem ländlich-bäuerlichen Eebensraum ge nommen sind. Daß es dabei nicht um Voll ständigkeit, sondern nur um einen Über blick gehen kann,ist klar. Bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts begegnet uns eine im bäuerlichen Milieu spielende Dichtung, die obendrein zu den bedeutendsten ihrer Art in diesem Zeitraum zählt. Es handelt sich um das 1900 Verse umfassende Epos „Meier Helmbrecht", ein aufrüttelndes Zeitgemälde, das uns den Verfall der rit terlich-höfischen Kultur schildert und den Anbruch einer neuen, von Bürgern und Bauern geprägten Epoche andeutet. Der Inhalt des Werkes darf als bekannt voraus gesetzt, soll hier jedoch kurz in Erinnerung gebracht werden: Helmbrecht, der Sohn des reichen Bauern Helmbrecht, wird von Mut ter und Schwester schrecklich verwöhnt. Die Folge ist, daß er das mühselige Bauern leben satt hat und Ritter werden will. Ver geblich versucht sein Vater ihn aufzuhalten. Helmbrecht verläßt den Hof und begibt sich auf die Burg eines Raubritters. Er lebt fortan von der reichen Beute, die bei Raubund Plünderungsfahrten gemacht wird. Nach einem Jahr stattet er seinem Eltern haus einen Besuch ab. Sein überhebliches Benehmen, seine Lobpreisungen der gemei nen Taten der Raubritter und sein Hohn auf die Ehrbarkeit führen zum endgültigen Bruch mit dem Vater. Dieser prophezeit ihm den Galgen, er sah im Traum das schmähliche Ende des Sohnes. Dem jungen Raubritter aber gelingt es, sogar seine Schwester von daheim weg und in die Arme seines Kumpanen zu locken. Im pom pösen Stil wird Hochzeit gefeiert. Das Fest mündet jedoch in die Katastrophe. Die Raubritter werden überwältigt und ge hängt. Nur Helmbrecht wird als zehnter begnadigt, jedoch geblendet und eines Fu ßes und einer Hand beraubt. Vergebens klopft er nun an des Vaters Tür. Nur die Mutter gibt dem armen Blinden ein Stück Brot mit auf den weiteren Weg,der schließ lich bei einem Baum endet, an den die er bitterten Bauern den Bauernschreck Helm brecht hängen. Das Werk ist eine gesellschaftskritische Analyse: aus den Rittern sind Raubritter geworden, aus dem jungen Bauernsohn ein Gangster, der die Ordnung ablehnt. Der Standpunkt des Dichters ist freilich recht einseitig: das Aufstreben der Bauern in höhere gesellschaftliche Positionen wird als die Ursache des Zusammenbruchs der alten Kultur angesehen. Meier Helmbrecht muß andererseits als ungeschminkte Konfrontation mit dem zu allen Zeiten wiederkehrenden Generations problem gesehen werden. Der Vater, ein solider Bauer, der so wie seine Vorfahren für Zucht und Ordnung eintritt und sich nicht vom Zeitgeist fortreißen läßt, steht dem Sohne gegenüber, der das biedere Leben und das Verharren in den traditio nellen Bahnen der Rechtschaffenheit satt hat und den das wilde Leben außerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Schran ken und außerhalb des herrschenden Mo ral- und Sittengesetzes lockt. Allerdings wird auch hier der einseitige Gesichtswinkel des Autors sichtbar. Sein Werk ist letztlich ein Loblied auf die gute, alte Zeit. Jene Bauern, die ihrem Stande im Sinne der übernommenen Vorstellungen die Treue halten, werden hochgeschätzt. Und schließlich ist das Epos „Meier Helmbrecht" ein Werk mit einem allge meingültigen Aspekt: Wo die Grundsätze menschlichen Zusammenlebens verletzt werden, wo der Hochmut die Vernichtung der gesellschaftlichen Ordnung anstrebt, geht sowohl der einzelne, wie die Gemein schaft des Friedens und der Hoffnung auf eine gesicherte Zukunft verlustig. Der Autor, der diese erste realistische Dorfgeschichte in der politisch sehr beweg ten Zeit des Unterganges der Kaisermacht geschrieben hat, ist Wernher der Gartenaere, ein Fahrender aus dem bairischösterreichischen Raum. Das Epos ist in zwei Handschriften überliefert, die sich vor allem dadurch unterscheiden, daß die eine den Ort der Handlung in den oberöster reichischen Traungau zwischen Wels und Kremsmünster, die andere in das Innviertel verlegt. Die Spannung zwischen Ritter und Bauernstand, sagt Arno Mulot in seinem Buch „Das Bauerntum in der Deutschen Dichtung unserer Zeit" (Stuttgart 1937), wurde in dem Augenblick offenbar, als sich die strenge höfische Kultur lockerte und der ritterliche Führungsanspruch fragwürdig wurde. Die Herablassung der Ritterschaft, mit der sie gerade dem Bauernstand begeg nete, wandelte sich allmählich in Verach tung. Dessenungeachtet steckt im Hinter grund der derben Verspottung der Bauern doch die Freude am dörflichen Treiben, das man in seiner Urwüchsigkeit als ein heil sames Gegengewicht zu den hohl werden den Formen der Oberschicht empfand. Ein typisches Beispiel bietet uns Neidhart von Reuental, dessen Tod übrigens von Wern her dem Gartenaere um 1250 betrauert wird. Ehe wir uns aber mit dem Wirken Neidharts befassen und uns über die Nach wirkungen seiner Dichtung Gedanken ma chen, wollen wir kurz darauf hinweisen, daß mehrere oberösterreichische Autoren den Meier-Helmbrecht-Stoff bearbeitet ha ben. Einer von ihnen ist Dr. Johannes Würtz, der einen Meier Helmbrecht als Bühnenstück herausbrachte. Würtz, im Jahre 1900 in Linz geboren, war nach Ab solvierung seines Studiums in Oberöster reich im Lehrberuf tätig. Nach seiner Ver-

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