Oberösterreich, 22. Jahrgang, Heft 1, 1972

Hans Bach Gestern Bauer — heute Landwirt Augustinerchorherrenstift Reichersberg, neu eingerichtete Werktagskapelle in der Prälatur, barocke Freskenmedaillons an der Decke mit allegorischen Darstellungen des Landlebens Mit dem Wandel der wirtschaftlichen und sozialen Situation verändern sich vielfach auch die Begriffe und Worte. Man spricht — soweit es sie noch gibt — von Land arbeitern und Landarbeiterinnen, aber nicht mehr von Knechten und Mägden. Früher waren alle, die eine Landwirtschaft betrie ben, Bauern, heute überwiegt die Bezeich nung „Landwirt". Knecht und Magd waren als Gesinde mit dem Hof, auf dem sie dienten, eng ver bunden; es bestand ein persönliches Abhängigkeits-, aber auch Zugehörigkeitsverhält nis zum Hof. Das Verhältnis des Land arbeiters zu dem Betrieb, auf dem er ar beitet, ist mehr sachlich bestimmt. Eine ähnliche Bedeutungsverschiebung vollzog sich auch zwischen den Bezeichnungen Bauer und Landwirt. Landbewirtschaftung ist eine Berufs- und Lebensform. Beim Bauern lag die Beto nung auf der Lebensform. Das Ansehen und der soziale Status des Bauern waren von der Größe seines Hofes bestimmt. Heute entscheidet vielmehr das berufliche Können, die fachliche Tüchtigkeit. Das Ver hältnis des Landwirts zu seinem Betrieb ist stärker als früher sachlich motiviert. Der junge Übernehmer z. B. zögert nicht, den Hof zum Nebenerwerbsbetrieb zu machen und das Haupteinkommen außerhalb der Landwirtschaft zu suchen, wenn das Ein kommen aus dem Hof nicht ausreicht; der Nebenerwerbslandwirt ist nicht mehr der Bauer im früheren Sinne. Die Ausdrücke Bauer und Landwirt wer den zwar vielfach noch synonym, d. h. abwechselnd füreinander gebraucht, ohne daß man streng unterscheidet. Es gibt da auch Unterschiede zwischen den Ländern. Meiner sozialempirischen Untersuchung über den „Bildungsstand auf dem Agrarsektor" wurde ein einheitlicher Frage bogen für alle Bundesländer zugrunde gelegt. Dabei zeigte sich, daß die befragten Schüler etwa in Tirol stolz als Bezeich nung für den Beruf des Vaters „Bauer" nannten (zuweilen auch da, wo der Vater hauptberuflich schon nicht mehr auf dem Hofe arbeitete), während das in anderen Bundesländern durchaus nicht der Fall war; im ganzen überwog aber als Berufs bezeichnung für landwirtschaftliche Be triebsleiter die Bezeichnung „Landwirt". Ohne diese Verschiedenheit der Benennun gen zu überschätzen, kann man doch sa gen, daß sich darin ein sozialer Sachverhalt widerspiegelt, nämlich die Tatsache, daß sich die Landwirtschaft selbst im Räume der modernen Wirtschaft und Gesellschaft gewandelt hat. Hinter dieser Umbenennung vom Bauern gestern zum Landwirt heute steht die Tatsache einer umwälzenden Wandlung. Im Bereich der Landwirtschaft haben sich alle Teilgebiete des Daseins verändert, der agrarische Umbruch ist total. Er erfaßt die Produktion und die Vermarktung der Land wirtschaft sowohl wie die Agrarverfassung, die Agrarstruktur, das Agrarrecht, den Auf bau des Betriebes und des Dorfes. Es ver ändern sich die agrarischen Arbeits- und Familienverhältnisse sowie alle Gemein schaftsformen des Landes. Der Status der landwirtschaftlichen Bevöl kerung in der Industriegesellschaft ist von jenem der Agrargesellschaft völlig verschie den. Abwanderung, Motorisierung, Frem denverkehr, Pendlerei und Massenmedien haben den Agrarbereich wirtschaftlich und sozial umgewandelt. Wo heute noch Brauch und Sitte auf dem Dorfe gepflegt werden, handelt es sich meist nur noch um Frem denverkehrsattraktionen. Wie die menschliche Mitwelt wird auch die räumliche Umwelt des Landes ver ändert. Das Dorf, das nun nicht mehr nur bäuerlicher Lebensraum ist, bekommt ein völlig neues Gesicht; es entstehen neue Siedlungsformen, das Verkehrsnetz wird dichter. Der Umbruch umfaßt nicht nur alle Zweige des Landbaus und des Landlebens, sondern er vollzieht sich auch überall in der Welt, wo sich die Agrargesellschaft zur Industrie gesellschaft entwickelt. Symptome dieses Umbruchs sind stets die gleichen: Unkon trollierte Abwanderung, landwirtschaftliche Disparität und soziale Unbehaustheit der ländlichen und landwirtschaftlichen Bevöl kerung. Der mit der Gesamtentwicklung der mo dernen Gesellschaft zusammenhängende Umbruch in der Landwirtschaft stellt nicht nur diese oder jene Erscheinung, sondern die überlieferte Landwirtschaft als Ganzes in Frage; nicht nur die alte Agrartechnik und -betriebsweise, auch die typische Ver bindung von Arbeits- und Lebensform, die wir bäuerlich nennen, wird vielfach als überholt empfunden. Von Grund auf ver ändert hat sich auch die Agrarstruktur mit ihren Produktions- und Vermarktungs einrichtungen. Die Tendenz geht zur Ver-

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