Oberösterreich, 22. Jahrgang, Heft 1, 1972

i I Modellfoto des in Bau befindlichen neuen Geschäftsgebäudes der Oö. Raiffeisen-Zentralkasse in Linz, Neuer Markt (Südbahnhofgelände) zu wirtschaften, ohne Gefahr zu laufen, auf Grund ihrer Insolvenz Haus und Hof ver steigern zu müssen. Bald nach ihrer Gründung in Deutschland wurden die Vereine nach F. W. Raiffeisen auch in Österreich bekannt und in den landwirtschaftlichen Fachblättern diskutiert. Zur Gründung von Darlehenskassenver einen kam es jedoch hierzulande noch nicht. Im Jahre 1873 wurde das Gesetz über die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften in Kraft gesetzt, das mit einigen Novellie rungen heute noch in Kraft ist. Im selben Jahr, in dem das Genossenschaftsgesetz be schlossen wurde, tagte in Wien der Agra rische Kongreß, der sich einstimmig dafür einsetzte, daß der österreichischen Land bevölkerung die Errichtung von Darlehens kassenvereinen nach dem System F. W. Raiffeisens sehr empfohlen werden sollte. Es blieb jedoch auch dieser Beschluß ohne unmittelbaren Erfolg. Erst auf Grund der wesentlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse, im besonde ren einer steigenden Kreditnot, ergriff der oö. Landtag am 3. Oktober 1884 die Initia tive und beauftragte den Landesausschuß — die heutige Landesregierung —, Anträge zu stellen, wie man der zunehmenden Ver schuldung von Grund und Boden abhelfen könne. Vom Landesausschuß wurden u. a. als sogenannte „kleine Mittel" empfohlen, eine Organisation für den ländlichen Hypo thekarkredit zu schaffen und außerdem den ländlichen Personalkredit auf der Grund lage des Genossenschaftswesens zu inten sivieren. Der oberösterreichische Landesausschuß hat sodann, wie V. Kerbler, der Vater des Genossenschaftswesens in Oberösterreich, schreibt, „alsbald selbst Hand angelegt durch die Errichtung einer oö.Landes-Hypothekenanstalt und durch die Gründung von Vorschußkassenvereinen nach F. W. Raiff eisen." Von Seiten des Landesausschusses wurde aber nicht nur die Gründung der Vorschußkassenvereine angeregt, sondern man bemühte sich auch, die Mitarbeiter fachlich entsprechend auszubilden und ih nen hiedurch die Arbeit zu erleichtern. Da her ist es zu verstehen, daß der Landes ausschuß die Anwaltschaft und die Revision der genossenschaftlichen Organisation über nommen hatte. In seiner Eigenschaft als be ratendes Organ für die Genossenschaften nach F. W. Raiffeisen ließ der Landesaus schuß ein Musterstatut für die Vorschuß kassenvereine in Anlehnung an das Statut der ersten im heutigen Osterreich gegrün deten Raiffeisenkasse Mühldorf bei Spitz an der Donau — gegründet 1886 — ausarbei ten. Diese Satzung wurde vom oö. Landtag mit Sitzungsbeschluß vom 5. Oktober 1888 genehmigt. Als weitere Grundlage für die Führung der Vorschußkassenvereine wurde ferner über Veranlassung des oö. Landes ausschusses das Buch „Anleitung für die Geschäftsgebarung der Vorschußkassen vereine nach F. W. Raiffeisen in Ober österreich" aufgelegt. Mit Erlaß vom 19. Februar 1889 machte der oö. Landesausschuß sämtliche Gemeinde vorstehungen auf die neue Institution auf merksam. Gleichzeitig wurden die geist lichen und weltlichen Behörden zur Unter stützung der Aktion eingeladen. Als unmittelbarer Erfolg der Tätigkeit des Landesausschusses ist hier zu verzeichnen, daß bereits am 3. Februar 1889 in Weiß kirchen an der Traun der erste Vorschuß kassenverein nach F. W. Raiffeisen gegrün det werden konnte. Noch im gleichen Jahr wurden insgesamt 23 Vorschußkassenver eine gegründet, die heute noch bestehen. Kerbler stellte in diesem Zusammenhang fest, daß von einer weiteren propagandisti schen Tätigkeit abgesehen werden konnte, da die Erfolge für sich sprachen. Der Landesausschuß förderte die Errich tung von Vorschußkassenvereinen aber nicht nur durch die Erstellung der Satzun gen sowie durch Beratung, sondern stellte auch finanzielle Mittel zur Verfügung. Bei Gründung konnte ein Vorschußkassenver ein um ein Darlehen von 4000 Kronen, verzinslich zu 3 Prozent p.a. und außer dem um ein unverzinsliches Gründungs kostendarlehen per 200 Kronen ansuchen. Weiters machte es sich der oö. Landesaus schuß zur Aufgabe, bei allen Gründungs versammlungen durch Beamte vertreten zu sein. Die Information der Vorschußkassen vereine über alles Wissenswerte für den Geschäftsbetrieb erfolgte in eigenen Erläs sen. Gleichzeitig wurde in den Mitteilungen des oö. Landeskulturrates eine Rubrik „Raiffeisen-Zeitung" geführt, die ebenfalls der Information der Genossenschafter diente. Die im Jahre 1903 erschienene Bro schüre von V. Kerbler „Das landwirtschaft liche Genossenschaftswesen in Oberöster reich" konnte, wie der Verfasser selbst schreibt, „schon über eine hochentwickelte, völlig gesunde Organisation des Personal kredites in Oberösterreich" berichten. In Linz und in der Landes-Ackerbau- und Obstbauschule Ritzlhof wurden Instruk tionskurse abgehalten, die der Heranbil dung von Buch- und Kassenführern, wie die Geschäftsführer damals genannt wur den, dienten. Von den heute bestehenden Raiffeisenkassen wurden im Jahr 1889 23, 1890 13, 1891 zwei, 1892 23, 1893 24 Institute ge gründet. Diese rasche Entwicklung brachte es mit sich, daß der Landesausschuß sich sofort der Revision der Vorschußkassen widmen mußte. Die Vorschußkassen selbst haben sich freiwillig der Revision des Lan desausschusses unterworfen, ja sogar um eine jährliche Revision ersucht. Als ReviOberösterreichische Warenvermittlung, Misch futterwerk Wegscheid. — Foto: Westmüller

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