Oberösterreich, 21. Jahrgang, Heft 2, 1971

Rudolf Walter Litschel Johannes Kepler und sein Linzer Freundeskreis Als Johannes Kepler im Frühling 1612 in Linz eintraf, um hier seine Dienste im Auftrag der oberösterreichischen Land stände anzutreten, war ihm die Stadt an der Donau einigermaßen vertraut. Er hatte sie auf seinen Reisen — und Kepler reiste viel — kennengelernt, wenngleich er nicht behaupten konnte, einen Freundeskreis in Linz zu besitzen. Linz war damals eine rüh rige Siedlung, Handel und Gewerbe blüh ten, und die Bürgerschaft vermochte sich als wohlhabend zu bezeichnen. Sie verfügte zudem über Kontakte zur Außenwelt, in Linz lebte man nicht isoliert, obwohl es kein geistliches oder politisches Zentrum gab. Aber in geistiger Hinsicht tat sich einiges: der Schwung der Reformation und die Hingabe an das Neue öffneten Pforten und den Zugang zu Neuland. Die erste Persönlichkeit, mit der Johannes Kepler in Linz zu tun hatte, war der kai serliche Vizedom Johannes Adam Gienger. Er mußte für den Hofbeamten Kepler ein Quartier beschaffen, und Gienger küm merte sich auch darum: er verhalf dem be reits arrivierten Astronomen und Mathe matiker zu einer Wohnung „Im Weingar ten", in einer Gegend, die heute von der Kapuzinerstraße konturiert wird. Kepler mag mit dieser Unterkunft — die eigentlich nur aus einem Zimmer bestand — nicht sehr einverstanden gewesen sein und suchte sehr bald nach einem anderen Domizil. Gienger war deshalb nicht vergrämt, sah Keplers Standpunkt ein und blieb weiter hin in seiner Nähe, obwohl Kepler dem Vizedom keinen Anlaß gab, besser mit ihm bekanntzu werden. Der wirkliche Freundeskreis Johannes Kep lers in Linz war klein. Vielleicht trafen die Freunde sich tatsächlich — wie Justus Schmidt meint — gelegentlich im Einkehr wirtshaus zu Straßfelden vor den Toren von Linz zu einer „trinkfesten Runde", denn Kepler verstand etwas vom Wein, doch wie dem auch sein mag: Johannes Kepler fühlte sich geborgen, er war in Linz nicht allein, nicht ausgesetzt, er lebte in einer Umgebung, die ihm zwar nicht alles geben konnte,aber vieles. Zu dieser Atmosphäre trug in erster Linie der Jurist Dr. Ahraham Schwarz bei, der die Aufgabe hatte, eine Landtafel her zustellen. Schwarz machte diese Arbeit viel Mühe, und er erlitt schließlich sogar einen gesundheitlichen Schaden, dennoch erfüllte er seine Pflicht vorbildlich. Schwarz voll endete die Landtafel 1616 und scheint spä ter württembergische Dienste angenommen zu haben. Mit den oberösterreichischen Ständen blieb er aber noch lange Zeit in Verbindung, denn er bemühte sich, „we nigstens seine, bei den Ständen auf Zins angelegten Kapitalien zurück zu erhalten, was bei dem schlechten Zustand der Lan desfinanzen seine Schwierigkeiten hatte." Die Landesfinanzen machten auch Hiero nymus Megiser zu schaffen, einem gebür tigen Schwaben, der 1613 nach Linz kam und als „landschaftlicher Historikus" tätig war; überdies leitete er mit großer Umsicht die ständische Bibliothek. Sein Gehalt be trug jährlich 200 Gulden, die freilich nicht immer zur Gänze ausbezahlt wurden. Mit Kepler fühlte er sich als Landsmann und durch die Universität Tübingen verbunden, an der Megiser schon als Student wegen seiner hervorragenden Kenntnisse der klas sischen Sprachen aufgefallen war. Nach Be endigung seiner Studien bereiste Hierony mus Megiser fast halb Europa, bis er 1593 zum Rektor des evangelischen Gymnasiums in Klagenfurt bestellt wurde. Als die An stalt der Gegenreformation zum Opfer fiel, nahm Megiser eine Professur in Leipzig an, von wo er sich nach Linz wandte. Nach den Berichten der Zeitgenossen war Megiser eine überaus dynamische Erscheinung, voll Tatkraft und Initiative. Sein letztes Werk — „Deductio pro statibus Austriae Superioris" — weist ihn auch als fähigen Schreiber aus. Nach dem Tode Megisers Ende No vember 1619 kümmerte sich Johannes Kep ler um die wertvolle Bibliothek seines Freundes, ohne sie allerdings retten zu kön nen: der größte Teil galt nach dem Bauern sturm von 1626 als verschollen. Neben Schwarz und Megiser spielte der aus Erfurt stammende Buchdrucker Johann Planck innerhalb des Linzer Kreises um Kepler eine bevorzugte Rolle. Planck er öffnete seine Offizin in der Lederergasse zu Beginn des Jahres 1615 und brachte als erstes Druckwerk — es war übrigens das erste Linzer Druckwerk überhaupt — Kep lers „Stereometria Doliorum" heraus. Aber nicht nur Kepler sorgte dafür, daß sein Freund Planck über Aufträge verfügte, son dern auch Hieronymus Megiser ließ bei Planck arbeiten. Für die engen Beziehun gen, die die Männer verbanden, und für die Stellung Plancks zeugt überdies die Tat sache, daß Megiser für einen Sohn Plancks die Patenschaft übernommen hatte. Die Version, daß Kepler bei Planck gewohnt haben soll, woran sogar eine Tafel erinnerte, die der Abt des Benediktiner stiftes Kremsmünster, Reslhuber — selbst Astronom —, anbringen ließ, erwies sich hingegen als falsch. Immerhin kehrte Jo hannes Kepler oft in der Planckschen Offizin und Wohnung ein und bedauerte es aufrichtig, als der Betrieb während der Be lagerung von Linz durch die aufständischen Bauern praktisch zerstört wurde. Von 1612 bis 1615 hielt sich in Linz auch Martin Zeiler auf, ein Steiermärker, der als Autor der Einleitungen zu Matthäus Merians Kupferstichen weit herumgekom men war. Darüber hinaus aber konnte Zei ler als ein wahrer Polyhistor gelten, der sich auf jedem Gebiet auskannte und eine Meinung zu vertreten wußte. Es ist deshalb nur zu verständlich, daß sich rasch ein Kon takt zwischen Zeiler und Kepler einstellte, der sich für beide Teile — wenngleich sicherlich nicht im selben Ausmaß — als fruchtbar erwies. Zeiler jedenfalls beschäf tigte sich mit Kepler sehr, wofür es zahl reiche Hinweise und Anmerkungen in den Arbeiten Zeilers gibt. Trotzdem kann man nicht behaupten, daß Zeiler — Präzeptor an der Landschafts schule — zum Freundeskreis Keplers ge hörte: er war ein Bekannter, ein Kollege, mit dem sich Kepler zuweilen unterhielt und aus dieser Unterhaltung neue Anregun gen schöpfte. Viel näher als Zeiler stand Kepler der aus Heidenheim stammende Pastor Daniel Hitzler, der 1611 nach Linz berufen wurde und ein Stürmer und Drän ger war: als sich Kepler weigerte, die Konkordienformel zu unterschreiben, schloß ihn Hitzler vom Abendmahl aus, was Kepler sehr schmerzte. Dessenungeachtet war Kep ler bereit. Hitzlers vielseitige Fähigkeiten anzuerkennen, und Hitzler hatte Fähigkei ten: er war in der Beredsamkeit wohl be wandert, verfügte über eine brillante Ge sangstimme und bewährte sich vor allem als Musiktheoretiker, was Kepler überaus schätzte. Um so mehr störte ihn der Zwie spalt, der ihn von Hitzler trennte, zumal Kepler kein Dogmatiker und schon gar kein Fanatiker war: Worum es ihm ging, war ein Aus- und Angleichen. Erfreulicherweise lenkte Hitzler ein und versöhnte sich mit Kepler. 61

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