Oberösterreich, 21. Jahrgang, Heft 2, 1971

Leopold Te m m 81 Johannes Keplers Sonderstellung als evangelischer Christ in Oberösterreich Als Johannes Kepler 1612 von den obderennsischen Landständen als Landschafts mathematiker nach Linz berufen wurde, stand er, fast 41 Jahre alt, auf der Höhe des Mannesalters. Er war geprägt durch seine schwäbische Heimat, eine theologisch mathematische Doppelbegabung und durch einen auch damals nicht alltäglichen Le bensablauf voll Unruhe. Der Großvater war Bürgermeister in der freien Reichsstadt Weil der Stadt, der Vater kämpfte als Soldat in den Niederlanden, war dann eine Zeitlang Gastwirt und ist im Türkenkrieg verschollen. Im ehemaligen Kloster Maulbronn fand der junge Kepler das Seminar der schon gefestigten württem bergischen evangelischen Kirche für ihren Nachwuchs vor, im Tübinger Stift 1589 die bedeutendste Ausbildungsstätte evangeli scher Theologen seines Landes, die un gezählte hervorragende Schüler nicht nur auf theologischem Gebiet bis in die Gegen wart hervorgebracht hat. Es ging durch das Stift einerseits ein Zug zur Universalität, andererseits zu einem festen lutherischen Bekenntnis. Noch lebte in ihm der Geist des Professors Andreä, der einer der maßgebli chen Mitverfechter der Konkordienformel gewesen ist; in ihr hatte sich die evange lische Kirche lutherischer Prägung 1580 ihre letzte maßgebliche Bekenntnisschrift gege ben, an die sich einige Gebiete und Städte freilich nicht anschlössen. Nach Österreich hin hatte vor allem Jakobus Heerbrand enge Beziehungen als Berater der steirischen Landstände in theologischen Angele genheiten. Als diese für ihre Stiftsschule 1594 in Graz einen Mathematikprofessor suchten, entsandte die Tübinger theolo gische (!) Fakultät den 23jährigen Magister Johannes Kepler: „Ich wollte Theologe wer den und war lange Zeit voller Unruhe; nun aber sehet, wie Gott durch mein Bemühen in der Astronomie verherrlicht wird." Dort in Graz entstand sein Jugendwerk „Welt geheimnis („Prodromus...mysterium Cosmographicum"). Er will die Frage beant worten, was die Welt sei und nach welchem Plan Gott sie geschaffen habe, und schließt: „Großer Künstler der Welt, ich schaue be wundernd die Werke Deiner Hände,in der Mitte die Sonne, die Ausspenderin des Lichts und Lebens, die nach heiligem Ge setz die Erde zügelt und ihren Lauf lenkt. Ich sehe die Mühen des Mondes und dort die Sterne zerstreut auf unermessener Flur. Vater der Welt, was bewegte Dich, ein armes, schwaches, kleines Erdengeschöpf so hoch zu erheben, daß es im Glänze dasteht, ein weithin herrschender König, fast ein Gott; denn er denkt Deine Gedanken Dir nach." Er selbst sagt von diesem Werk; „Die Richtung meines ganzen Lebens, mei ner Studien und meiner Werke hat von diesem einen Büchlein ihren Ausgang genommen." Keplers Ansehen in Graz muß bis in die Kreise des Hofes hinein trotz seiner Jugend sehr hoch gewesen sein; denn als 1598 die Gegenreformation die Stiftsschule kurzer hand aufhob und das evangelische Kirchen wesen durch Erzherzog Ferdinand II. ver nichtet wurde, konnte Kepler nach kurzer Ausweisung unbehelligt zurückkehren, wenn er sich überall gebührender Beschei denheit befleißigen wolle. Bekehrungsver suchen setzte er aber entschiedenen Wider stand entgegen: „Ich bin ein Christ. Die Augsburgische Konfession habe ich aus der Belehrung von meinen Eltern her durch täg liche Erprobung in mich aufgenommen; an ihr halte ich fest, und heucheln habe ich nicht gelernt. Ich treibe kein Spiel mit dem Glauben; daher ist es mir auch ernst mit seiner Ausübung und mit dem Empfang der Sakramente." Als er seine verstorbene kleine Tochter durch einen heimlichen Prädikanten bestatten ließ, mußte er fünf Taler Strafe zahlen. Im Herbst 1600 traf die Ausweisung auch ihn und seine Familie, die auch allen durch seine Heirat mit Barbara Müller zu Mühl eck erworbenen Grundbesitz aufgeben mußte. Er schrieb damals an seinen Tübin ger Lehrer Maestlin: „Ich hätte nicht ge glaubt, daß es so süß ist, in der Gemein schaft mit etlichen Brüdern für Christi Ruhm Schaden und Schimpf zu erleiden und Haus, Äcker, Freunde und Heimat zu verlassen. Wenn es sich beim eigentlichen Martyrium und bei der Hingabe des Lebens ebenso verhält und das Frohlocken um so größer wird, je größer der Verlust ist, dann ist es ein leichtes Los, für den Glauben zu sterben." Auch in Prag blieben Kepler seit 1600 als Gehilfen und Nachfolger Tycho de Brahes am Hofe Rudolfs II. äußere Wirren nicht erspart. Aber sie hatten zu Lebzeiten des Kaisers keine unmittelbaren Folgen. Schwe rer wogen die Krankheit seiner Frau, ihr Tod im Jahr 1611 und der Tod seines älte sten Sohnes; wir hören ihn die Glaubens sprache seiner Zeit sprechen, wenn er sich daran erinnert fühlt, „um wieviel besser der barmherzige Hirt der Seelen für sie gesorgt habe, dessen Stab und Stecken uns tröstet, wenn wir im Todesschatten wan deln, daß kein Unheil uns ängstigen kann, weil der Geist unsere Schwachheit stützt und mit unaussprechlichen Seufzern heim sucht." Als seine Verhältnisse immer drückender wurden, bewarb er sich in seiner Heimat um eine Professur, aber wie schon nach den Grazer Schwierigkeiten wollte man ihn nicht ohne die Unterschrift unter die Kon kordienformel annehmen. Er wollte diese nur leisten, wenn er die Calvinisten nicht zu verdammen brauche, sie seien trotz ab weichender Auffassung vom Abendmahl Brüder in Christus. Dies stand über seinem ganzen religiösen Leben. Er wußte, er könne in seiner Heimat leben und arbeiten und damit vielen Nöten und Bedrängnissen entgehen, wenn er nur die Unterschrift leiste. Aber sein Gewissen erlaubte ihm nicht, sich zum Richter über die reformier ten Christen aufzuwerfen. „Ich will ihren Haß nicht teilen, ich verdamme meine Brü der nicht; sie stehen oder fallen, so sind sie des Herrn und bleiben meine Brüder", hat er später einmal gesagt. Da enthob ihn die Berufung nach Linz 1612 vorerst dieser Fragen. Er fand in Linz ein neu aufgeblühtes evangelisches Kirchen wesen vor. Seit 1608 waren überall im Land im Zuge des Bruderzwistes zwischen Rudolf II. und Matthias die Kirchengemein den neu begründet und von den adeligen Patronatsherren mit evangelischen Pfarrern (Prädikanten) besetzt worden. Die Stände und auch Städte hatten sich meist aus Wit58

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