Herta Hageneder Die Stände des Landes ob der Enns zur Zeit Keplers Die Stände des Landes ob der Enns, die sich in Prälaten-, Herren-, Ritterstand und in die sieben landesfürstlicben Städte glie derten, sind nicht erst im 16. Jahrhundert entstanden, sondern reichen in ihren An fängen bis in die Zeit der Landeswerdung um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Als Landesgemeinde, als „Landschaft", fanden sie sich mit dem Landesherren zum gemein samen Handeln im Gericht und in der Lan desverteidigung. Das war möglich, seit das Land seine Gestalt gewonnen, einen eige nen Namen erhalten und ein spezifisches Landrecht ausgebildet hatte. Der Landes fürst konnte ohne Mitwirkung der Stände keine Steuern einheben, er blieb an ihre Bewilligung gebunden, da sein eigener, en gerer Herrschaftsbereich, das Kammergut, nicht ausreichte, seinen vielfältigen Pflich ten und Aufgaben gerecht zu werden. Die Bedeutung der Landtage, die für diese Ver handlungen seit dem ausgehenden 14. Jahr hundert ausgeschrieben wurden, stieg da durch — besonders in kriegerischen Zeit läuften — immer mehr. Die Stände konnten an ihre Zustimmung gewisse Bedingungen knüpfen, die u. a. die Abstellung von Be schwerden oder die Einflußnahme auf die Besetzung der landesfürstlichen Behörden bewirken sollten. Denn nicht als ständi sches Organ, sondern als vom Landesfür sten selbst ernannter Vertreter erscheint der Landeshauptmann, wenn er auch zumeist dem Herrenstand des Landes entstammte und den ständischen Interessen zutiefst ver bunden blieb. Begreiflich, daß diese Dop pelstellung nicht frei von Spannungen war. Dem Landeshauptmann — oder Hauptmann ob der Enns, wie er bis 1478 genannt wurde —,oblag die Sicherung der Ordnung und Ruhe im Lande; ihm gebührte außerVorderseite: Linzer Landhaus, Blick aus dem Landhausturm (gotisches Fenstergitter) in den Arkadenhof mit Planetenbrunnen von Peter Guet aus dem Jahre 1582. — Aufnahme; H. G. Prillinger. Links: Blick in den Steinernen Saal des Linzer Landhauses während der Kepler-Ausstellung 19. Juni bis 29. August 1971. Vor dem Stuck portal Johann Kaspar Modlers aus 1758 das barocke Holzstandbild Keplers von Sebastian Remele aus dem Mathematischen Turm (Stern warte) des Stiftes Kremsmünster. — Auf nahme: M. Eiersebner. dem der Vorsitz im obersten Adelsgericht, dem Landrecht. Als Gehilfe und Vertreter stand ihm der Anwalt zur Seite, der ge wöhnlich dem Ritterstand angehörte und sich erst langsam zu einem selbständigen landesfürstlichen Beamten entwickelte. Zur Bewältigung seiner Aufgaben waren dem Landeshauptmann außerdem der Land schreiber, der Leiter der Landkanzlei, und der Landrichter beigesellt. Diese Einrichtung der ständigen landes fürstlichen Behörden, die besonders unter Maximilian 1. ausgebaut worden war, zwang nun die Stände, die um ihren Ein fluß auf die Geschicke des Landes bang ten, auch ihrerseits eine eigene Verwal tungsorganisation zu schaffen. So entstan den in der Folge drei Kollegien, denen eine nicht geringe Bedeutung innerhalb des stän dischen Verwaltungsapparates zukam: 1. Das Kollegium der Verordneten, das mit je zwei Vertretern eines jeden Standes acht Mitglieder umfaßte. 2. Das Ausschußrats kollegium, welches die ständischen Rechte und Interessen wahrzunehmen hatte, und 3. das Raitratskolleglum, das der Kontrolle des landständischen Rechnungswesens diente. Neben der Veranlagung und der Einhebung der Steuern zählte der militä rische Schutz des Landes zu der wichtigsten Aufgabe der Landstände. Wesentlich bestimmend für das Land ob der Enns wurde im 16. Jahrhundert die rasche Ausbreitung des reformatorischen Gedankengutes. Der Adel und die Städte waren der neuen Lehre bald ergeben und standen nun als Gegenpol dem katholischen Landesfürsten gegenüber, den die ständige Türkengefahr zu immer neuen Zugeständ nissen in der konfessionellen Frage zwang. Das Jahr 1568 stellt einen Höhepunkt in diesem Ringen zwischen den beiden Ge walten dar: damals erhielten die Stände von Maximilian II. für 1 Million Gulden Türkenhilfe die sogenannte Religionskon zession, die ihnen weitgehende Freiheiten sicherte. Diese Zeiten einer geschwächten landesherrlichen Macht sah die obderennsischen Stände auf dem Gipfel ihres Einflus ses. Unter ihrem Schütze erblühte eine Adelskultur, die besonderen Wert auf die Heranbildung der Jugend legte, die zu nächst in der eigens für sie geschaffenen Landschaftsschule erzogen und dann noch an auswärtige Universitäten geschickt wurde. Das 1564 bis 1571 erbaute Land haus zu Linz zeugt ebenfalls sinnfällig vom Selbstverständnis und von der Bedeutung der Landstände. Indes zeichnete sich be reits langsam der Niedergang dieser Macht stellung ab; das Ende des 16. Jahrhunderts eröffnete so recht die nach dem Konzil von Trient verstärkt einsetzende Gegenreforma tion des katholisch gebliebenen Landesfür sten. In den Städten, die zum landesfürst lichen Kammergut gehörten, begann eine systematische Rekatholisierung. Der 1592 zum Landeshauptmann ernannte Hans Jakob Löbl von Greinburg, der sich vor allem als kaiserlicher Beamter und Voll strecker der landesfürstlichen Befehle be trachtete, nahm entschlossen den Kampf gegen die protestantischen Stände auf. Mit äußerster Energie zwang er die Magistrate zur Ausweisung der Prädikanten und setzte überall im Lande wieder katholische Seel sorger ein. Auch der Herren- und Ritter stand mußte sich beugen und zunächst wohl oder übel die Schließung des evangelischen Gottesdienstes im Landhaus und der Land schaftsschule dulden. Erst der Ausbruch des Bruderzwistes im Hause Habsburg, dessen Anfänge sich bereits in die frühen Zeiten Kaiser Rudolfs II. zurückführen lassen, brachte noch einmal einen Umschwung der allgemeinen Lage. Nun waren es wieder die Stände, die ihr Gewicht in die Waag schale warfen und politisch handelnd auf treten konnten. Klug ersahen sie ihren Vor teil und unterstützten den ehrgeizigen, nach Macht und Herrschaft drängenden Erzher zog Matthias gegen seinen Bruder, den Kai ser, der ihm wohl schon lange — nicht un begründet — zutiefst mißtraut hatte. Nach dem Vertrag von Lieben, am 25. Juni 1608, in dem Matthias die Krone von Ungarn nebst der Anwartschaft auf die böhmische sowie die beiden Länder ob und unter der Enns erhielt, präsentierten ihm die obderennsischen Stände bald ihre Rechnung, die in ihrem Wunsche nach völliger Religions freiheit gipfelte. Zugleich suchten sie für alle Fälle gerüstet zu sein, entschieden sich für verstärktes Kriegswesen, wachsame Verteidigungsbestimmungen an den Lan desgrenzen und knüpften allenthalben
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