Oberösterreich, 21. Jahrgang, Heft 2, 1971

Wilhelm Rausch Linz und seine Keplerdenkmäler „Linz ist eine an Denkmälern arme Stadt", lautet die Feststellung manches Fremden, der sich mit dieser Stadt eingehender be schäftigt. Dieses Urteil trifft objektiv zu und erheischt die Frage, warum dem so ist. Es stimmt nämlich nicht, daß die Landes hauptstadt Oberösterreichs geschichtslos und deshalb denkmalarm ist, auch kann man sie, trotz vieler Einbußen an bedeuten den Monumentalbauten, immer noch nicht eine gesichtslose Stadt nennen. Und den noch bleibt das oben erwähnte Faktum bestehen: Linz hat wenige Denkmäler! Gab es in der Vergangenheit der Stadt keine Persönlichkeiten, die wert gewesen wären, durch ein Denkmal der Nachwelt tradiert zu werden? Hat etwa ein Denkmalsturm diese Zeugen der Vergangenheit vernichtet, um der Zukunft einen leichteren Start zu gestatten? Auch diese beiden Fragen müs sen verneint und die Begründung für die vorangestellte Tatsache in anderen Berei chen gesucht werden. Zunächst sei daran erinnert, daß die Stadt in Friedenszeiten niemals für längere Zeit Residenz von fürstlichen Personen war und daß sie erst zu einem Zeitpunkt Bischofs sitz wurde, als die zweite und bisher vor letzte große Welle des Denkmalbaues ver ebbt war und schwere wirtschaftliche, aber auch politische und militärische Krisen den Übergang zum nüchternen Zeitalter der Industrialisierung eingeleitet hatten. Diese beiden Fakten verhinderten eine „Denk malanfälligkeit" weitgehend. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hingegen ge währte Linz keine Chance, neben der Reichshaupt- und Residenzstadt mit bemer kenswerten Denkmälern hervorzutreten, zumal es scheint, daß der Dombau für den Bischof die vorhandenen Kräfte und Mög lichkeiten der Linzer voll in Anspruch ge nommen und sie geistig wie auch finanziell erschöpft hat. Das bauliche Programm für den Dom,dessen beachtliche Höhe in Wien keine Billigung fand, enthielt Monumente in so reichlicher Zahl, daß die kirchliche Seite gut und gern auf andere Denkmäler verzichten konnte. Im profanen Bereich muß man den stets nüchternen Sinn der Linzer Bürgerschaft in Rechnung stellen, der seit eh und je auf praktische, ökonomische und soziale Ziele ausgerichtet war. Die Linzer werden des halb kaum in den Verdacht geraten. Ent behrliches besonders zu fördern, selbst wenn es der Erbauung dienen könnte. Sen timentalitäten, die Voraussetzung für eine bestimmte Denkmalkategorie, sind nur dem Wiener Wesen verwandt, dem Linzer weitestgehend fremd; kommen sie hier einmal zum Durchbruch, dann reichen sie in Linz bestenfalls für die Anbringung einer Ge denktafel. Künstlerisch gestaltete und aus geführte Denkmäler fehlen deshalb in Linz von wenigen Ausnahmen abgesehen. Dieser Prolog will kein Angriff auf die Lin zer Mentalität sein, sondern nur nüchtern festhalten, wie sie beschaffen ist. Sie allein erklärt doch den gegenwärtigen Zustand und die Grundeinstellung der Linzer zum Denkmal, sie nimmt jede Illusion und zeigt die Grenzen des hier Möglichen auf. Mit größter Wahrscheinlichkeit würde eine soziologische Untersuchung den Beweis er bringen, daß die Initiatoren von Denk mälern wohl als Linzer zu fühlen vermein ten, aber ihrer Herkunft nach gar keine Linzer waren. Um das Bild abzurunden, sei verraten, daß diese Feststellung von einem Wahllinzer getroffen wird. Aufgabe dieses bescheidenen Beitrages ist es zu zeigen, welcher Anstrengungen es bedurfte, um in Linz ein Keplerdenkmal zu realisieren. Das führt zwangsläufig zu der Frage, seit wann es in Linz ein „Keplerbewußtsein" gibt, und diese Frage kann, das sei hier ausdrücklich festgehalten, nur oberflächlich beantwortet werden. Für eine wissenschaftlich exakte Untersuchung fehlte die Zeit, obgleich die Fragestellung als wis senschaftliches Thema zu akzeptieren wäre. Das Wissen um Keplers Tätigkeit in Linz mag infolge der religiösen Wirren zunächst verschüttet, durch den darauffolgenden europäischen Krieg aber überhaupt aus dem Gedächtnis der Linzer geschwunden sein. Die große wissenschaftliche Bedeutung des kaiserlichen Mathematikers hat man hier gewiß erst wieder zur Kenntnis genommen, als sie andernorts gewürdigt und anerkannt worden war. In Oberösterreich dürfte dies zunächst im Zusammenhang mit der künst lerischen Ausgestaltung des Bibliotheksrau mes von Joachim Enzmilner, Freiherrn auf Windhag bei Perg, der Fall gewesen sein. Enzmilner gedachte seines Landsmannes aus Schwaben bei der Deckengestaltung dieser Bibliothek um die Mitte des 17. Jahr hunderts. Einen weiteren Anstoß zum Ge denken an Kepler hat Kaiser Karl VI. mit seinem Auftrag für eine monumentale Bio graphie des Hofmathematikers gegeben, und schließlich war es wohl der Bau des „mathematischen Turmes" (Sternwarte) in Kremsmünster, welcher unmittelbare Ver bindungen zu Kepler bewirkte. Er birgt in seinem Stiegenaufgang das einzige be kannte Schnitzwerk über Kepler in Ober österreich; ein Standbild von Sebastian Remele aus der zweiten Hälfte des 18. Jahr hunderts. Die Holzplastik besitzt nach den Forschungen Justus Schmidts größte Por trätähnlichkeit mit den bildlichen Überliefe rungen und wird uns im Zusammenhang mit den Keplerehrungen des Jahres 1971 noch einmal beschäftigen. Kremsmünster hat jedenfalls das Andenken an Kepler im Lande schon zu einem Zeitpunkt gepflegt, als man in Linz noch nicht an ihn gedacht hat. Hier wäre allerdings eine Keplerpflege in Verbindung mit der Errichtung des Museum physicum zu vermuten. Zunächst verwies Joseph Chmel auf Kep lers Tätigkeit in Linz, als er sich 1826 mit der Geschichte des Lyzeums befaßte, und ihm folgte 1837 Benedikt Pillwein mit sei nem „Neuesten Wegweiser durch Linz", der Keplers Linzer Wohnung im Plankschen Hause suchte. 1842 erschien Gisbert Knapps Abhandlung über Keplers Aufenthalt in Linz, 1853 Chmels Berichtigung dazu. 1854 schöpfte Franz Isidor Proschko noch einmal alle in Linz vorhandenen Quellen über Kepler aus. Die Forschungen Reitlingers, Neumanns und Gruners, der 1864 selbst in Linz weilte, um für das Keplerdenkmal in Weilderstadt zu werben, faßten zwar das Wissen um Kepler zusammen und stellten seine Linzer Tätigkeit ins rechte Licht, aber sie vermoch ten die hier gewonnenen Lokalergebnisse nicht wesentlich zu korrigieren. Ihre Tätig keit, ja die Arbeit der deutschen Keplerforscher insgesamt, führte dazu, daß die „Lin zer Zeitung" im Jahre 1865 die Anregung für eine Keplerstraße geben konnte, wel cher der Linzer Gemeinderat in seiner Sit zung vom 17. Februar 1869 entsprach. Lederergasse und Lazarettgasse bis zur Holzstraße wurden in „Keplerstraße" um benannt und an dem vermeintlichen Haus Hans Planks (Lederergasse 10) eine Ge denktafel für Kepler befestigt. Erst etwa 75 Jahre später haben die Arbeiten Hanns Kreczis u. a. gezeigt, daß die Tafel aus zweierlei Gründen unrichtig placiert war: Erstens war Planks Haus mit dem Hause Keplerstraße 8 und nicht 10 identisch und zweitens hatte Kepler in diesem Hause höchstwahrscheinlich nie gewohnt. Mit der 1869 durch den Linzer Gemeinde rat beschlossenen Straßenbenennung war das Linzer „Keplergewissen" für lange Zeit 42

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