Oberösterreich, 21. Jahrgang, Heft 2, 1971

von England heißt es ausdrücklich: Kepler möchte auch ..das Streben nach Harmo nie und Einigkeit auf kirchlichem und poli tischem Gebiet wecken und stärken". Mit sichtlichem Stolz und nie zuvor gezeig tem Selbstbewußtsein schreibt Kepler nach Abschluß dieses Werkes: „Ich werfe den Würfel und schreibe ein Buch für die Ge genwart oder die Nachwelt. Mir ist es gleich. Es mag hundert Jahre seines Lesers harren." Nach dieser großartigen Cosmologie tritt offensichtlich eine schöpferische Pause ein. Die folgenden Werke sind von geringerer Bedeutung und enthalten auch Irrtümer. So etwa die „Drei Bücher über die Kometen", in denen Kepler diesen Himmelskörpern geradlinige Bahnen zuweist, oder die „Kanones Pueriles, it est Chronologia von Adam bis auf das jetzt laufende fahr Christi 1620", in denen versucht wird, das Alter der Welt aus dem Alten Testament zu errechnen. Als Ergänzung zu dem 1621 erschienenen astronomischen Bericht über die „Beobach tung zweier Mondesfinsternisse" ist ein Schreiben Keplers vom 22. Dezember 1616 von Interesse, weil es zeigt, mit welchen Schwierigkeiten ein Astronom damals zu kämpfen hatte. Die Beobachtung fand statt „Auf dem Pöstlingberg, eine halbe Meile von Linz gegen Norden..." „Der Grund für die unsichere Beobachtung war dieser: Da die Stadt Linz von benach barten Bergen umschlossen ist, gegen Auf gang das Hocheck, gegen Untergang der Kürnherg und der St.-Martinsberg, auf des sen Hals die ziemlich hohe Burg alle Fern sicht meiner Behausung raubt. Damit ich beide Leuchten am Horizont sehe, ver schaffte ich mir am vorhergehenden Abend, als erstmals schönes Wetter von Dauer herrschte, Gewißheit. Als das Stadttor schon geschlossen werden sollte, schlüpfte ich hinaus und stieg mit zwei Begleitern, die ich heranzog, den steilen Berg im Zeitraum einer einzigen Stunde empor. Ich war un bequem beladen mit dem Instrument: ein Dreieck mit zusammenklappbaren Seiten war dem Azimuthaikreis aufgesetzt, der einen Fuß im Durchmesser hat. Der Platz der Beobachtung bei Tag war in einem holprigen Brachfeld. Von einem Bauern der Nachbarschaft wurden in einem Zeitraum von zwei Stunden unaufhörlich belästigend die Torflügel zugeschlagen und bis zur Hei serkeit geschrien. Zuletzt wurden sogar die Nachbarn aus ein oder zwei Stadien Entfernung herbeigerufen, da man einen Boten heimlich durch die Hintertür aus geschickt hatte, und wir wurden vertrieben. Doch nicht lange danach fanden wir etwas wie einen dreifüßigen Baumstumpf von zwei Fuß Höhe, auf dem wir unser Instru ment aufrichten konnten. Eine Kerze oder Fackel konnten wir um keinen Preis auf treiben, ein Feuer zu machen, war nicht statthaft, weil weithin die Fülle auf dem Acker uns fürchten ließ, zu Brandstiftern zu werden. Daher stellten wir die Marken auf dem Instrument mit einer glühenden Kohle fest. Wir gebrauchten Zweige und Späne wie eine Zange, um die Kohle zu halten, dann habe ich mich rücklings auf dem Acker ausgestreckt und verzeichnete mit Bleiweiß die Beobachtungen auf tau feuchtem Papier beim Licht teils des Mon des teils der Kohle." Von den letzten in die Linzer Zeit Keplers fallenden Schriften seien in der vorliegen den Auswahl noch zwei erwähnt. Die „Chilias Logarithmorum" ist eine selb ständige Nachrechnung der 1614 erschiene nen Neperschen Logarithmentafeln. Kepler, der alle Berechnungen allein durchgeführt hatte (Tycho Brahe hatte in Prag einen gan zen Stab von „Rechenknechten" gehalten), war von dieser abgekürzten Rechenmethode begeistert. Neper hatte aber bei der Ver öffentlichung nicht angegeben, wie er zu den Tabellen gekommen war, weshalb Kep ler sie neuerlich berechnen mußte. Keplers Lehrer Mästlin in Tübingen hat übrigens die Logarithmentafeln mit der heute lächerlich anmutenden Bemerkung ab getan: „...es stehe einem Professor der Mathematik nicht an, sich über irgendeine Abkürzung der Rechnungen kindisch zu freuen..." Und wenn die Aufzählung der Arbeiten Keplers zwischen 1612 und 1626 mit der astronomisch-religiösen Studie über das Geburtsjahr Christi begonnen wurde, so soll — gleichsam als Epilog — die Schrift „Glaubensbekenntnis und Ablehnung aller hand deshalben entstandener ungütlicher Nachreden 1623" angeführt werden. M. Caspar kommentiert sie in der „Bibliographia Kepleriana"folgendermaßen: „Die Glaubenskämpfe zu Keplers Zeit ha ben tief auf sein Innenleben und auf seine äußeren Schicksale eingewirkt. In der vor liegenden Schrift legt Kepler nach voraus gegangenen jahrelangen Kontroversen mit den Tübinger Theologen seine religiöse Uberzeugung in aufrichtigen und entschie denen Worten zusammenfassend dar. Sie ist ein ergreifendes Dokument für das le benslange Gott- und Wahrheitssuchen Keplers, für seine tiefe Frömmigkeit und warme Friedensliebe, für seine aufrechte Gesinnung, die jede Heuchelei ablehnt und zu jedem Opfer um des Glaubens willen bereit ist." Kepler ist mehr als ein Astronom, mehr als ein Mathematiker, mehr als ein Religions philosoph, mehr als ein Polyhistor gewe sen: Kepler war ein Seher, der über Zeit und Raum in das Universum hineinblicken durfte. Nachdem er Linz verlassen hatte, blieb er noch einige Zeit Angestellter der oberöster reichischen Landstände. Später ging er über Vermittlung des Kaisers zu Wallenstein nach Sagan. Als er sich gegen Ende 1630 wieder nach Linz begeben wollte und einen Umweg über Regensburg machte, ereilte ihn dort im Hause seines Freundes Billy aus Linz am 15. November 1630 der Tod; seine Wahlheimat Linz konnte er nicht mehr erreichen. Verwendete Literatur: Caspar M.: „Bibliographia Kepleriana", Mün chen 1967. Gerlach W./ List M.: „Johannes Kepler, Leben und Werk",Piper, München 1966. Gerlach W./ List M.: „Johannes Kepler, Doku ment zu Leben und Werk",Ehrenwirt, Mün chen 1971. Klug R.: „Johannes Kepler in Oberösterreich", Musealverein Linz 1930. Kreczi H.: „Keplers Wissenschaftliche Arbeiten in Linz", Volksstimme Linz 1941; „Der Hexenprozeß gegen Keplers Mutter", Tages post 1941. Schmidt J.: „Johann Kepler, sein Leben in Bildern und eigenen Berichten" (aus diesem Buch stammen die meisten Zitate), Trauner Linz 1970. Straßmayr E.: „Johann Kepler in Linz", Mu sealverein Linz 1930. Tursky H.: „Johannes Kepler in Linz", Wei sermühl, Wels 1970. Kepler-Kommission der Linzer Hochschule: „Johannes Kepler, Werk und Leistung", Ausstellungskatalog 1971. 41

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