Oberösterreich, 21. Jahrgang, Heft 2, 1971

Anstecknadel mit Stein aus dem Besitz Goethes. Nach Hindemiths Tod ging die ses ehrende Gesteck an den bekannten Lin zer (wieder Linz!) Schriftsteller und Kriti ker J. Laßl über. Ich sollte nicht verschweigen, daß sich in die so harmonische Probenarbeit ein „Miß ton" eingeschlichen hatte. Der Komponist war mit dem Passacaglia Tempo nicht ein verstanden. Eine (ich glaube) Herz- oder Kreislaufschwäche nach einer Auseinander setzung während einer Bühnenprobe mit Orchester konnte im Büro des Generalin tendanten mit einem Glas Sekt — eine andere Medizin war nicht so schnell zur Hand — zum Abklingen gebracht werden. Lippert sagte mir später, daß es böse aus sah. So verständnisvoll Hindemith über kleine musikalische „Unebenheiten" hin wegsehen konnte, so hart konnte er gegen „ungute Auflehnungen" sein. Man konnte zu Hindemith nicht sagen: „So kann man das nicht spielen", spielte er doch selbst so gut wie alle Instrumente gut und manche meisterhaft. Ein Jahr später sang ich dieses Werk noch einmal unter seiner Leitung. Ein herrlicher, unvergeßlicher Abend in kleinstem, priva tem Kreis sollte für mich die letzte Begeg nung mit dem Meister sein. Als ich hörte, daß Linz (wieder als öster reichische Erstaufführung) die Kepler-Oper in der Spielzeit 1966/67 bringen wollte, bewarb ich mich um die Partie des Kepler. Nach einem Vorsingen wurd^ der Vertrag gemacht. Leider fielen einige fest engagierte Sänger und Sängerinnen aus und so muß ten außer mir noch einige Gäste engagiert werden. (Es gibt noch genug Sänger, die sich mit neuzeitlichen Kompositionen nicht anfreunden wollen. Hier müssen die Ge sangspädagogen Abhilfe schaffen, vielleicht auch die Komponisten etwas sanglicher schreiben — hier ist nicht Hindemith ge meint, er verlangt so gut wie alles vom Sänger,aber nicht mehr.) An dieser Stelle möchte ich einige Sätze aus einer Wiener Rede des Meisters zitieren, die im Stammbuch jedes Komponisten ste hen sollten: „Freilich kann heutzutage ein Komponist auch auf ganz anderer Basis zum Erfolg kommen: wenn er auf Sen sationen ausgeht, durch alle möglichen Tricks einen originellen Stil vortäuscht, wenn er politische Bindungen eingeht oder sich absondert und nur schreibt, was ihm selbst gefällt, seinem eigenen Vergnügen dient. Oft wird dann eine spezifische Art des Nichtskönnens als kompositorische Eigenart hingestellt, und viele Komponi sten greifen heute zu besonderen Kompo sitionsmethoden, weil sie die normalen mu sikalischen Mittel nicht so beherrschen, um damit konkurrenzfähig zu sein." Wenn ich die Partie des „Mathis" mit der des „Kepler" vergleiche, so ist vom Gesang lichen her zu sagen, daß der „Mathis" mehr Kraft, Höhe und Ausdauer verlangt, der Kepler bereitet für eine ausgeglichene, gut fundierte größere Baritonstimme mit weni gen Ausnahmen keine besonderen Schwie rigkeiten. Der Text ist allerdings schwierig zu behalten. Darstellerisch gibt der Mathis mehr, Kepler als Denker und Mathemati ker muß von der inneren Ausstrahlung wirken. Es gibt Opernpartien, die den Sänger (wir vergessen jetzt das Publikum), nachdem der letzte Vorhang gefallen ist, glücklich ma chen oder unbefriedigt lassen. Beide gro ßen Hindemith-Opern hinterließen nach je der Aufführung Unaussprechliches in mir. War es Glück,war es Ruhe,Trauer...? Die große Sterbeszene Keplers vor der Pas sacaglia ist mit dem Finale, dem Abgesang des „Mathis" zu vergleichen. Sie gehören zum Schönsten, das je in Musik (Oper) ausgedrückt wurde. (Würdig, neben dem „Oh, Engel, verzeih mir..." des Mozart'schen Figaro-Grafen zu stehen.)

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