Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 2, 1970

Viktor Fessel, Zeichnung von seiner Tochter Martha sität bezog er in Graz, wo er vor genau 100 Jahren, 1870, promoviert wurde. Kurze Zeit war er Bahnarzt in Wels, aber die einmal in Graz geknüpften Bande zogen ihn später für immer in die Steiermark. Hier war er durch viele Jahre hindurch beamteter Arzt am Land, bis er schließlich als Direktor an das Grazer Landeskranken haus gerufen wurde. Seine Landarzttätig keit brachte ihn auf Schritt und Tritt in Berührung mit den Methoden und Vor urteilen der Volksmedizin. Nun war er nicht der Mann, der überlegen über altes Brauchtum lächelte, seine Rezepte ver schrieb, und wieder ging. Fossel suchte vielmehr ein Verständnis für die Volks medizin zu gewinnen und fand so erst recht das Herz seines bäuerlichen Patienten. Aber er fand unversehens noch etwas ganz anderes, nämlich den Weg zur Ge schichte der Medizin. Schon 1885 veröffent lichte er eine kritische Schrift über die steiermärkischen Volksbräuche bei Geburt, Wochenbett, Krankheit und Tod. Später lernte er durch das Studium der epidemi schen Ausbreitung von Krankheiten und der Entwicklung des Krankenhauswesens immer tiefer das medizinhistorische Schrift tum kennen. Auf einmal wurde da der Wunsch laut, er solle sein großes Wissen nicht für sich allein behalten. Mehrere Ver treter der Medizinischen Fakultät der Uni versität Graz schlugen ihm vor, Vorlesun gen über Geschichte der Medizin anzukün digen. Auf diese Weise bekam Graz im Jahre 1898 eine Lehrkanzel für Geschichte der Medizin. Obwohl Fossel in der steier märkischen Hauptstadt eine neue Heimat gefunden hat und nicht mehr nach Ober österreich zurückkehrte, leistete er doch seiner engeren Heimat einen Dienst: mit seiner Frau, einer gebürtigen Linzerin, ver pflanzte er ein Stück besten oberöster reichischen Geistesgutes in die Steiermark. Nun aber ist es an der Zeit, der wohl größ ten oberösterreichischen Ärztefamilie zu ge denken, die in einem Aufsatz über ober österreichische Ärzte immer einen Ehren platz beanspruchen darf: die Familie Rabl. Nicht weniger als 23 Ärzte und Wundärzte schenkte sie dem Lande vom Jahre 1627 bis zum Jahre 1960. Carl Borromäus Rabl, geboren 1853 in Wels, wurde in Wien Anatom, war dann Professor für dieses Fach an den Universitäten von Prag und Leipzig. Auch er hat in Kremsmünster die Mittelschule absolviert und dort — dies zeigt die auch von allen anderen ehemaligen Zöglingen bestätigte geistige Freiheit im Stiftsgymnasium — eifrig Darwin studiert. Dann ging er noch zu Ernst Haeckel nach Jena. Wieder zurückgekehrt nach Öster reich, fand er in Ernst von Brücke seinen Meister. In dessen Hause galten Hypothe sen, mögen sie noch so bestrickend ge- ■ .X / r- P ff- > .V / \ r " -Ji /- ■ wirkt haben, als Werte zweiter Ordnung. Über allem stand bei Brücke die Sprache des Materials. Rabl war hier zum Beant worter offener Fragen der Morphologie ge worden. Sein Ruf als wissenschaftlicher Arbeiter war längst gefestigt, als er — allerdings mit einiger Verspätung, nach fast elfjähriger Studienzeit — im Jahre 1882 in Wien promoviert wurde. Nach einer kurzen Tätigkeit als erster Prosektor am Anatomischen Institut bei Karl Langer folgte er einer Berufung nach Prag 1885, von wo aus er 1904 als Nachfolger von Wilhelm His nach Leipzig ging. Seine dor tige Antrittsvorlesung über „Organbildende Substanzen und ihre Bedeutung" verrät Rabis nie ruhendes Interesse an der Embryologie und Entwicklungsgeschichte. Durch seine Heirat hat er die uralte ober österreichische Ärztefamilie verbunden mit einem der bedeutendsten Mediziner aller Zeiten: seine Frau war eine Tochter von Rudolf Virchow. Äuch in Wels und nur um vier Jahre später als Carl Rabl geboren, wurde der Nobelpreisträger unter den oberösterreichi schen Ärzten: Julius Wagner-Jauregg. Er studierte in Wien und — eine weitere Parallele zu Rabl — hatte zum Zeitpunkt seiner Promotion bereits zwei experimen-

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