Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 2, 1970

oder Wolf Huber gemahnt wie etwa Carossas Federzug an mancherlei Schriftform von Goethe. Ebenso wenig ist es Zufall, daß Kubin zur Heimstatt in Zwickledt geführt worden ist, im hügelbewegten Land über dem Inn, das auch Huber von Passau her durchzog. — Als ich vor Jahren an einem herbstlich milden Novembertag zum ersten Male von Schärding nach Zwickledt wan derte, entdeckte ich sein Haus ohne orts kundige Hilfe allein dadurch, daß ich überrascht stehen blieb vor einem ,Altdorfer'. Da waren ein schlichter, sanft ge schwungener Weg, ein grau verwitterter Holzzaun mit überhängendem Strauch werk, ein mächtiger Kruzifixus unter schützendem Bretterdach, und hinter dem zartgliedrigen Geäst einer schlanken Lärchengruppe ruhte ein maßgerechtes Ge bäude mit einem winzigen Türmchen, ei nem kleinen Dachreiter auf steilem First: ein Aquarell Altdorfers! — Ohne den ge ringsten Zweifel schritt ich durch die Gar tentür und betrat den Bannkreis des von mir seit Jugendjahren verehrten Künstlers, dessen Blatt „Die Erzeugung des Homunculus" ich mir 1927 im Sächsischen Kunst verein auf der Brühischen Terrasse zu Dres den zum Erstaunen der Kassiererin auf be scheidene Monatsraten als Anfang einer kleinen Kubin-Sammlung erworben hatte. Wo Zwickledt oder auch nur Schärding liegen mochten, wußte ich damals bestimmt nicht. Auch ahnte ich wohl kaum, daß ,ZufalT etwas einem Menschen Zufallendes, vielleicht sogar Zugedachtes ist. Den Einfluß des Orts auf Kubins Schaffen nachzuweisen, wäre eine durchaus erfolg versprechende, aber den Rahmen dieses Aufsatzes sprengende stilkritische und -vergleichende Aufgabe. Begnügen wir uns hier und heute damit, unsere Augen nicht vor dem zu verschließen, das die Land schaft ihrem Künstler vermittelt und ge schenkt hat. Da ist zuerst der Charakter dieser von nördlichen Urgesteinsausläufern gebildeten Mittelgebirgshügel, die wie Erz gebirge, Böhmerwald und Bayrischer Wald an erste ferne Kindheitseindrücke erinnern mögen. Da sind die vom südlichen Kalk gebirge bestimmten Voralpenszenerien, von Wald und Wasser beherrschte Motive samt ihrer in energische graphische Elemente zu verwandelnden Atmosphäre, der heißer Föhn ebenso wie hohe Luftfeuchtigkeit eig nen. Und all dies bringt eine üppige Flora hervor, die das Land zur Landschaft ver zaubert. Wie wesenhaft Kubin in diesem Bereich der Donauschule eingewurzelt war, läßt sich beispielhaft erkennen an der packenden aquarellierten Federzeichnung Links: Autographe aus der Bibliothek des Kubin-Hauses Zwickledt. — Rechts: Alfred Kubin am Sterbebett. — Aufnahme vom Ver fasser „Sturm über Schardenberg" aus dem Jahre 1929'" und vielen ähnlichen Blättern oder auch an Hintergründen zu mancherlei mär chenhaften oder volkstümlichen Hauptsze nen. Der Zugang zu Folklore, Sage und Märchen, die kaum festzulegende allmäh liche Überwindung von Scheinmetaphysik und Pseudo-Psychopathie, die zunehmende Elastizität und Großzügigkeit der Federfüh rung sind nicht nur Ausdruck altersbeding ter Klärung und Beruhigung, sondern las sen sich nicht minder auf die angedeutete Ausstrahlung des Orts zurückführen. Je denfalls ist das Phänomen Kubin weder so losgelöst von Bindungen und so einfach aufzufassen, wie das die Neurologen zu ver suchen pflegen, noch so kompliziert wie es die Psychopathologen oder gar so isoliert und als Randerscheinung einer Übergangs phase zu bewerten, wie das manche Kunst historiker für angezeigt halten. Alfred Kubin war auserwählt, kein schul bildender Avantgardist, sondern ein klas sischer Künstler zu werden; und der Ort, dem er sich eingefügt hat, dürfte ihn ent scheidend in solcher Entwicklungsmöglich keit bestärkt haben. Kubin arbeitete zwar nicht außerhalb seiner Gegenwart, aber auch nicht unter ihrem Druck. „(...) doch moderne Wege suchte ich und nicht bei Ta petenmustern stehenbleiben wollte ich", hat er 1948 rückblickend seinem Kollegen Karl Rössing geschrieben. — In Zwickledt gab es weder Zeitung noch Radio. Natürlich ist es nicht belanglos, daß sich der Künstler weniger der flüchtigen Zeit als dem bleibenden Ort verbunden fühlte. „Wie unheimlich verrannen diese vielen Jahre, die wir hier in Zwickledt hausten! Ohne daß man es merkt, verflüchtigt sich die Zeit, Erinnerungsbilder gleich Visionen zurücklassend."'" Das sanfte Verwehen der Zeit dringt dem empfindsamen Menschen im langsamen Lebensrhythmus der Natur unmerklich tiefer ins Bewußtsein als im Trubel oder gar in der hektischen Turbulenz der Städte. Ein Überangebot von Reizen und Verwandlun gen in rascher Folge verwischt die Wirkung der einzelnen Phase — auch im Kulturbe trieb. Verallgemeinernd darf abschließend zu sammengefaßt werden, daß die ürbanität der Großstädte dem Künstler vielerlei sozioökologische Beziehungen eröffnet und den Zugang zu einem gesellschaftsbeding ten, also mit Zeit und Mode wechselndem Stil erleichtert, einem Stil, der von ein fallsreichen schöpferischen Persönlichkeiten wie vom einflußreichen Management der Händler und Galeristen sowie dem Grade intellektueller sozialer Bewußtheit und po litischer Macht fluktuierend variiert, abund aufgelöst wird. Die „provinzielle Ge gend" indessen bietet unauffälligere Kräfte einer Beharrung, die sich zwar häu fig als Kulturbremse auswirken, aber im Glücksfall nicht minder kräftig Ausdruck einer bestimmten Landschaft und Natur sein und damit zu einem eigentümlichen, weniger wandelbaren, ortsgebundenen Stil führen können: bei aller individuellen Frei heit des Schaffenden etwa so wie der graphische Duktus der Donauschule sich über Jahrhunderte hinweg am ,zugereisten' Künstler Alfred Kubin ungebrochen prä gend erwiesen hat. Daß einer seinen Ort findet, meinte ich, sei eher Schicksal und Geschenk als be wußte Wahl. Selbst dabei gilt, was Kubin 'fr

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