Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 2, 1970

Stoessl in Berlin veröffentlichen lassen. Da mit sind die Beziehungen Billingers zu Ku bin einigermaßen erschöpfend umrissen. Kubin hat sich ernsthaft niemals als ,Freund' Billingers empfunden, ja er hat Vertrauten gegenüber derlei Annahmen so gar zurückgewiesen oder abgeschwächt. Da für gab es inzwischen verstorbene Zeugen wie die oberösterreichische Schriftstellerin Suzan von Wittek, und gibt es noch le bende: beispielsweise die in Wernstein wohnende Innviertier Malerin Johanna Dorn-Fladerer, die Kubin porträtiert und bei den Sitzungen mancherlei von ihm ge hört hat, ferner die einstige Haushälterin und jetzige Kustodin des vom Lande Ober österreich erworbenen Anwesens Zwickledt, Cilli Lindinger, und schließlich den Verfasser selbst, der sich nachdrücklich da für verbürgt, in vertrauensvollen Gesprä chen abgrenzende Bemerkungen und Wi derspruch zu Billinger von Kubin vernom men zu haben. In einer Situation, in der die abgeschlossene Wesenheit Kubins journalistisch flink versimpelt und zurecht gebogen oder gar mit verantwortungslosen Legenden manipuliert und stilisiert wird, sollten Korrekturen von Zeitgenossen, die mit dem Künstler nachweislich vertraut waren, jedenfalls gesichert werden. (Der Verfasser gedenkt, einige bescheidene An merkungen dazu in geeigneter Form zu hinterlassen.) Einige der vielen persönlichen Bekannt schaften, die Kubin von Zwickledt aus pflegen konnte, mögen noch erwähnt wer den: Wilhelm Hausenstein, der einfühlsam über Kubin geschrieben hat, Ernst Jünger, dessen Schilderung eines Besuches bei Ku bin in einem Brief an den Bruder Friedrich Georg Jünger vom 27. November 1937 auch den Ort, also die Landschaft sowie das Milieu um und in Zwickledt einbezieht: „Am nächsten Murgen fuhr ich dann über Nürnberg nach Passau und blieb dort über Nacht. Während des letzten Teiles der Fahrt kann man bereits spüren, daß man der magischen Residenz des Meisters Ku bin näher kommt; die Landschaft beginnt einen Eindruck zu erwecken, der sich wohl am besten mit unserem Wort von den ,böhmischen Dörfern' andeuten läßt. Un merklich, aber tief dringen uns fremdartige Elemente in sie ein, vielleicht sogar letzte balkanische Ausläufer. — Diese Zeilen, ja der ganze Brief, sind kaum frei von der bei Ernst Jünger nicht seltenen preziösen Übertreibung, vom gespreizten Blabla, vor allem aber dürfte der Berichterstatter bei seinem Aufenthalt einige skurrile Scherze Kubins nicht leicht genug aufgefaßt haben; seine Schilderung Zwickledts indessen stimmt vortrefflich: „Das Haus oder Schlöß chen, das Kubin seit über dreißig Jahren bewohnt, eben das mit einem kleinen Glockenstuhl geschmückte Zwickledt, stellte sich als ein äußerst verwohntes, vielleicht aber gerade deshalb umso gemütlicheres Gehäuse dar. Es scheint, daß der Besitzer die Mauern und Möbel soviel wie möglich ihrem eigenen Leben überläßt, und daß die Zeit recht ungestört an ihnen arbeiten soll, so wie man Früchte in Weingeist setzt, damit er ihnen das Aroma entzieht. Dies fand ich recht spürbar; so war es, als ob der Kalk an den kahlen Wänden als eine Art von feiner, kreidiger Paste sich voll von dem Fluidum gesogen hätte, wie es das Bewohnen erzeugt. Auch die Möbel sind in diesem Sinne merkwürdig, so fiel mir ein roter, verschlissener, aber sorgfältig ge hegter Sessel auf, dann die von Würmern benagte Platte des Arbeitstisches, ein Schirmständer aus bemaltem Porzellan, eine Sammlung von Nippsachen und dergleichen mehr. Sehr in dieser Ordnung schien es mir, daß die in alten Rahmen hängenden Spiegel, die ich auf den Fluren und in den Zimmern sah, gänzlich erblindet wa ren; die Folie war gekräuselt und wie von zahllosen Regentropfen betupft." So mochte Kubins Milieu, das — von der unwiderbringlich verlorenen Lebensaura ab gesehen — äußerlich weitgehend erhalten geblieben ist, auf einen Fremden von eini ger Beobachtungsgabe tatsächlich gewirkt haben. Daß Kubin „Mauern und Möbel" absichtlich dem Verfall überlassen habe, mag dem poetisierenden Briefschreiber Jünger so erschienen sein, doch widerspre chen ihm Kubins — mit zunehmendem Al ter freilich zahlreicher und schärfer wer dende, dennoch von jeher wesentlich reali stischere Klagen über Verfall, Kälte und mangelnden Komfort in Zwickledt. In ei nem Feldpostbrief vom 20. März 1945 an den Verfasser teilt Kubin u. a. mit: „(...) Zwickledt ist ja nicht mehr jene ,Ardie', die ich oft genug zeichnete, und mein Pro blem — jenes Altwerden, also ein umge kehrtes Jungsein, muß ich erlernen wie als Schulbub vor 60 Jahren das Rechnen, — das man später gänzlich wieder vergißt. Der Hauptschlag — (die verstopfte Wasser leitung) soll heute — nach unsäglichen sa tanischen Widerspenstigkeiten der Materie wieder ins Rechte gebracht werden, nach dem es im Parterre, wo die 7 Flüchtlinge hausen, bereits nach der Kloaka maxima duftet — Also Kopf hoch, Bruder in Apoll — trotz * * * — wollen wir uns noch im poeti schen Zeitalter spiegeln — (...)." Und wenig später, am 21. April 1945: „(...) Ach! Keine Arche mehr, kein Ararat, son dern die Symbole des Verfalles an allen Ecken und Enden.(...)"i'' — Nach Kriegs ende deutete Kubin allerdings einmal an, er habe sich Ernst Jünger gegenüber bei aller Freundlichkeit vorsichtig benommen. Daß zwischen Kubin und Hermann Hesse Briefe gewechselt worden sind, bedarf kei nes Nachweises mehr, doch erzählte mir Cilli Lindinger im Juli 1970 auch von einem oder gar mehreren Besuchen des Dichters, an dessen Erscheinung sie sich genau er innern könne. Es habe sich dabei um eine einzelne Zeichnung für ein Werk Hesses gehandelt. — Das könnte die ganzseitige Lithographie zum Privatdruck „Der lahme Knabe" gewesen sein, der in vierhundert Exemplaren 1937 zum 60. Geburtstag des Dichters erschienen ist: eine Arbeitsverbin dung also, bei der es keinen Verleger als Mittelsmann gegeben hat. Noch dazu im Jahre von Cillis Dienstantritt in Zwickledt. Engste Beziehungen literarischer und freundschaftlicher Art hatten sich zu Oscar A. H. Schmitz bereits in München gebildet. In Zwickledt besuchte ihn der hochge schätzte Schwager bis zu dessen Tod im Jahre 1931 oft. Er war für Kubin ein literarischer Mentor. Otto Stoessl war Ku bin keineswegs nur durch gelegentliche Mitarbeit verbunden, sondern gehörte in den Kreis seiner alten Freunde. Im Herbst 1911 hatte Kubin kurze Zeit in Prag verbracht und dabei Otto Pick, Max Brod, Franz Kafka, Paul Leppin, Franz Werfel und andere kennengelernt. Die Verbindung mit Werfel erhielt sich bis in die frühen dreißiger Jahre. Wenn es schon kaum durchführbar ist, die beständigeren Beziehungen zwischen Ku bin in Zwickledt und namhaften Freunden aus nah und fern aufzuzählen, ohne der Gefahr zu erliegen, eine gleichförmige Li ste anzufertigen, um so langwieriger und wahrscheinlich auch langweiliger müßte es sein, die Gruppe der überwiegend journa listisch interessierten Gäste in Zwickledt zu erfassen; dennoch erweist sich gerade an den Zeitungsleuten und dem Aspekt der Massenmedien Kubins erstaunliche Anziehungskraft. Hervorzuhebende Per sönlichkeiten wie etwa Konrad Weiss, Wolfgang Schneditz, Viktor Matejka, Bru no E. Werner, Erich Landgrebe, Gottfried Hohenauer, Linus Kefer, Arthur FischerColbrie, Helmuth von Cube, Jörg Mauthe, Rundfunkreporter Andreas Reischek, Ku bins Neffe Otto Kletzl, der als Kunsthisto riker gewichtigere Aufsätze über den be rühmten Onkel geschrieben hat, und ande re haben sich als Gelegenheitsberichterstat ter eingefunden. Von wirklich wilden Wirbeln der Publizistik blieb Kubin im allgemeinen verschont, die Reporter erschienen angemeldet und ein zeln. Ich erinnere mich allerdings einer Aus nahme, bei der es wesentlich ungezügelter, für Zwickledter Verhältnisse beinahe tur bulent zuging: als im August 1949 aus der Galerie Welz in Salzburg, die zum Festspielsommer mit einer Kubin-Kollek tion aufwartete, ein Originalblatt, „Das Alfred Kubin, Der Tod holt den Zeichner, aquarellierte und farbig gespritzte Federzeich nung, um 1938. — Wenn der Künstler, dessen selbstbildnishafte Charakterisierung eindeutig ist, dem Tod folgen muß, flattern seine von ihm wohlbehüteten Werke zum Fenster hin aus. Im Ausschnitt des Fensters ist andeu tungsweise die bewaldete Kuppe mit dem Aus sichtsturm von Schardenberg zu erkennen. — Sämtliche Abbildungen nach Originalen aus der Sammlung des Verfassers sind Erstrepro duktionen. Die Redaktion dankt dem Autor für sein Entgegenkommen

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