Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 2, 1970

Claus in seinem jüngsten Buch „Expansion der Kunst"- die gesellschaftlich integrierte Kunst als „Korrespondenzsystem" und nennt den Künstler „Urbanist". Der Drang künstlerisch talentierter oder ehrgeiziger Menschen in die großen Städte ist also zweckmäßig; der umgekehrte Fall von Stadtflucht mutet hingegen unlogisch, romantizistisch an und erschwert eine ange strebte künstlerische Wirkung objektiv. Als es den jungen Alfred Kubin (geboren am 10. 4. 1877 in Leitmeritz, Nordböhmen) zur Kunst zog, drängte er folgerichtig aus provinziellen österreichischen Verhältnissen (Salzburg, Zell am See, Klagenfurt) 1898 nach München, wo er sich zu den Möglich keiten akademischer Ausbildung verhältnis mäßig gleichgültig verhielt, jedoch um so ©er 6ict)t meinte ahircve kPiu lebhafter wechselseitigen Anregungen und befruchtenden Begegnungen widmete, die sich zwischen Künstlern, Kollegen, Kunst freunden wie geistigen Potenzen überhaupt bei beruflichen und geselligen Gelegenhei ten einzustellen pflegen. Der Neuling genoß und nutzte, was die Kultur-Metropole — und nur sie! — zu bieten vermag. Von Mün chen aus gelang es, die erste umfassende Ausstellung durchzuführen, und zwar gleich bei Cassirer in Berlin im Januar 1902. In München entschloß sich der Mäzen Hans von Weber, 1903 eine erste Mappe mit Reproduktionen Kubinscher Zeichnungen herauszubringen. Und hier ergaben sich jene persönliche Kontakte, die sich noch 1909 und 1912 bewährten,als Kubin Mitglied der „Neuen Künstlervereinigung München" sowie des „Blauen Reiters" werden konnte, der als süddeutsches Zentrum des Expressio nismus mit Kandinsky, Klee, Kubin, Marc und anderen in die Kunstgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts eingehen sollte. Während seiner Münchener Jahre (1898 bis 1906) hatte sich an Kubin die eigenständige künstlerische Entwicklung eingeleitet und in stilistisch wie geistig entscheidenden Sta dien vollzogen, ferner hatte er funktionie rende künstlerische und allgemeine kultu relle Beziehungen angeknüpft und ge pflegt sowie mit den frühen Erfolgen zu gleich eine wirtschaftliche Basis als Frei schaffender erhalten. Im Winter 1901 hatte Kubin bei einem Atelierfest den Dichter Max Dauthendey kennengelernt, mit dem ihn bald herzliche Freundschaft verband, die sich über Jahre und räumliche Entfernungen hinweg be währt hat. An dieser Freundschaft erfuhr Kubin auch die durch nichts zu ersetzen den Impulse, die dem schöpferischen Men schen aus Verständnis und Zuspruch er wachsen. In seinen „Erinnerungen an Max Dauthendey", die er 1923 in der deutschen Zeitschrift „Der Zwiebelfisch" veröffent lichte, heißt es u. a.; „(...) und wenn ich sah, wie er meine Blätter betrachtete, als Dichter meine Visionen bewundernd, daijn empfand ich erst, wie wichtig für den Künstler ,der andere', der Empfangende, das Echo ist." Auch Richard von Schaukai hatte bereits 1903 über den jungen Künst ler Kubin geschrieben. Darin erweist sich die Bedeutung des Orts, an dem der schöpferische Mensch lebt. Der 1871 in Wien geborene, heute kaum noch gebührend gewürdigte Schriftsteller Dr. Franz Blei bezeugt die hilfreiche An teilnahme Max Dauthendeys an dem jun gen Kubin in München; „Ich glaube, Dauthendey, der mit Malern Umgang hatte, entdeckte den schmächtigen, immer schwarzgekleideten Jüngling mit dem blas sen Knabengesicht, das sich zur Verdüste rung ein bißchen anstrengte und scheu tat wie ein junger Wolf, den man aus seiner Grube ans Licht gezogen hat. Er brachte ihn und eine große Mappe, besser eine große Mappe mit dem zierlich-kleinen Kubin, der so tat, nichts eigentlich dafür zu können, daß er das zeichne, sondern unter Zwängen zu stehen, die ihm die Hand führten. Das mochte als Entschuldigung und Erklärung dafür vorgesehen und ausgebildet worden sein, daß keines dieser vielen Blätter bei allem darauf verwandten Fleiß das Stoff liche bewältigte. Es war alles immer mehr gewollt als gekonnt. Das hatte den großen Reiz der künstlerischen Naivität, sehr un terstützt vom Inhaltlichen dieser Alp träume, Grauen, Schrecken, Poesken und Hoffmaniaden."'' Blei verrät in seiner auto biographischen „Erzählung eines Lebens", wie genau und wesenhaft er Kubin er faßt hatte. Ein komödiantischer Grundzug, der die später übliche Formel „der Zauberer von Zwickledt" zum Werbeslogan degra diert, wurde von Blei schon früh durch schaut. Der pseudometaphysische, dämo nisch-parapsychologische Dunst, mit dem sich Kubin einzunebeln liebte, kann als längst überflüssig gewordener Trick, ein der Publicity dienendes ,Geschäftsgeheimnis', dessen sich der Künstler im Schau fenster einer sensationslüsternen Öffent lichkeit gegenüber zu bedienen pflegte, ent- ,geistert' werden. Kubin war kein okkultes Phänomen, er war nicht der „Zauberer", sondern der Zeichner von Zwickledt, der im vertrauten Gespräch durchaus geneigt war, diesen Umstand erheiternd zu offen baren. „(...) er war mit einem kindlich fröhlichen Lachen immer bereit, das alles von der Tafel zu wischen, wenn der Partner nicht Publikum meinte Blei, und der Verfasser dieser Zeilen kann es aus vielfältigem Erleben in jahrelanger intimer Freundschaft mit Kubin bekräftigen. Tö richt wäre es allerdings, das Kind mit dem Bad auszuschütten und Kubin etwa jedes Verhältnis zu metaphysischen Hintergrün den und zur anregenden Bedeutung von Träumen für seine Phantasie und Phantastik, also für sein Schaffen absprechen zu wollen! Mir gegenüber nahm er ausdrück lich den seltsamen, in manchen Szenen fast spätere Ereignisse einbeziehenden Roman „Die andere Seite" von Selbstentschleierung aus. In einem Brief vom 30. 1. 1944 be urteilte er den Band als ein „Außenseiter werk" sowie als „eine echte dämonisierte Schrift",die er,,wie getrieben,oft auch nachts aufstehend vom Lager" festgehalten habe." Der Hinweis auf dieses zentrale und rich tungbestimmende Werk, das im Herbst 1908 in Zwickledt entstanden ist, soll uns nicht verführen, die für unser Thema auf schlußreichen künstlerisch-kollegialen An regungen, geselligen Kontakte und skur rilen Eskapaden der Münchener Jahre zu unterschätzen. Dazu gehörten nächtliche Diskussionen mit dem Schriftsteller Kurt Martens, der im zweiten Teil seiner Erin nerungen „Schonungslose Lebensbeichte"" berichtet: „Wir philosophierten zusammen ins Uferlose, oft nur noch aus reinem Ver gnügen an dem Irrgarten der Dialektik (...)." Nicht minder charakteristisch sind aber auch amüsante und wie die ,weißen Mäuse' unserer epigonischen Generation von 1960 und 1970 eher auf äußeres Auf sehen berechneten ,Verrücktheiten', die dem kritischen Doktor Franz Blei ebenfalls nicht entgangen waren: „In München hielt sich Kubin ganz ungewöhnliche Haustiere. Ei nen Affen, ein Gürteltier, ein afrikanisches Kukumbi oder wie das Vieh hieß, das nichts lieber trank als, so erzählte sein Herr, den Inhalt des Kubinschen Nachtge fäßes. Es steckte sehr viel von dem in Kubin, was die Franzosen Fumisterie nen nen, die sehr gut zu seinem persönlichen Charme paßte. Ich glaube, nur zeitweilig in der Jugend düpierten ihn selber seine gezeichneten Phantasien als nachtgeschaute Realitäten. Aber er hatte ein Auge für die Dämonen des Skurrilen, ein Gedächtnis für die ineinandergeschobenen Ebenen der Träume und Geschmack genug, seinem zeichnerischen Strich das Improvisatorische, Zufällige zu lassen.'

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