Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 2, 1970

Herbert Lange Der Künstler und sein Ort Alfred Kubin in Zwickledt Aufnahmen; H. G. Prillinger „Er findet einen Wohnsitz (...), und es ver steht sich, daß dieser Sitz den wunderlichen Namen ,Zwickledt' führt, der aussieht, wie eine Zeichnung Kubins (.. .)■" Wilhelm Hausenstein: Meister und Werke, München 1930, p. 207. „Lieber Alfred Kubin, (. . .) Sie sollen sehr schön und menschen würdig wohnen, und ich verstehe vollkommen, daß es Sie nicht in die Städte verlangt. Ich bin viel in der Welt herumgetrieben worden in den letzten Jahren und neige auch zur Seß haftigkeit. Im Grunde halte ich diese auch für das Fruchtbare und mir Angemessene, und nur aus einer Art Lebens-Pflichtgefühl ,gehe ich aus mir heraus'. Aber erfreulich wäre es, wenn wieder einmal eine Begegnung zustande käme (. . .)." Thomas Mann in einem Brief aus Mün chen vom 12. Juli 1925 (Kubin-Archiv, Hamburg). „Der von einem eigenartigen Stimmungszauber unerschöpflich erfüllte Ort und seine wunderbare ländliche Umgebung ist mir nach mancher Richtung zum Schicksal geworden. Ich wünsche mir nichts Besseres, als in diesen alten Mauern unid unter den großen Bäumen hier mein Leben zu beschließen und sehne mich nach allem anderen eher, als nach einem nochmaligen Kulissenwechsel meiner äußeren Existenz." Alfred Kubin: Mein Tag in Zwickledt, aus dem Sammelband „Vom Schreibtisch eines Zeichners", Berlin 1939, p. 103. „Immerhin nahm der Mensch seinen Ur sprung nicht in der Großstadt, sondern in der Wildnis, vielleicht in einer paradiesi schen Urlandschaft (. . .)", hat der west deutsche Flugkapitän Rudolf Braunberg in einem Aufsatz „Vögel fliegen schlecht" ge schrieben' — und er mag mit dieser An nahme nicht nur entwicklungsgeschichtlich recht haben, sondern auch die Sehnsucht des Menschen, in ein Paradies zurückzukeh ren, seine Bindung an die Natur als ur heimatliches Rudiment verständlich machen. Früher als Landflucht dürfte Stadtflucht als Hang zur Ursprünglichkeit anzunehmen sein. Wer das Programm „retournons ä la nature!" verwirklichen könnte oder auch nur ernstlich wollte, ist eine andere Frage; Jean Jaques Rousseau jedenfalls nicht. Er schrieb und redete von seinem Ideal — in der Stadt. Denn Kultur verlangt Kommuni kation. Das gleiche läßt sich von Kunst feststellen; auch sie ist Mitteilung, die aller dings eigenen formalen Ansprüchen mit bestimmten Qualifikationen zu genügen versucht. Kunst ist Mitteilung von geho bener technisch-ästhetischer sowie inhaltlich deutender, bedeutender Wesensart, die vom schöpferischen Menschen ausgeht und sich an aufnahmefähige und -willige Menschen wendet. So sehr Kunst und Konzentration — also auch Abgeschlossenheit und Stille — in unseren üblicherweise noch immer ro mantischen Vorstellungen zusammengehö ren oder einander gar zu bedingen scheinen, so abhängig ist und bleibt Kunstwirkung dennoch vom Menschen. Ein unter dem Schutt der Geschichte verborgenes Kunst werk ist materiell wohl vorhanden, kann aber zu kultureller Existenz erst erwachen, wenn es ein Ausgräber gefunden hat und darbietet. Kunstwerke, die im Atelier oder im Schreibtisch eines unbeachteten Künst lers ,vergraben' bleiben, anstatt ins öffent liche Bewußtsein zu dringen, sind nicht minder tot oder genauer ,scheintot'. Eine Gesellschaft kann — wie wir heute an zunehmen geneigt sind — ohne Kunst, aber die Kunst nicht ohne Gesellschaft bestehen. Daher die oftmals verzweifelten Versuche eines Künstlers, seine gesellschaftliche In tegration und damit die Aufnahme seiner Kunst ins öffentliche Bewußtsein zu er zwingen — und sei es mit inadäquaten, wo möglich skandalösen Mitteln und Methoden. Selbstverständlich sind dergleichen Ver suche von jedem sozialen und geographi schen Ort aus denkbar, doch wirkungsvoll eher in einem Siedlungszentrum als in der ödnis. Es macht einen wesentlichen Unter schied aus, ob sich ein Künstler mitten im dunklen, menschenleeren Waldesdickicht ungebührlich benimmt, oder ob er als Bei trag zur Vernissage seiner Ausstellung in einer Großstadt vor der zur offiziellen Er öffnung bereiten Stadträtin für Kunst und Kultur samt illustren geladenen Gästen er schreckend Hüllen und Hosen fallen läßt, um ein mehr haariges als paradiesisches Überraschen auszulösen. Künstler haben ihre intellektuelle Anre gung und materielle Existenz von jeher in großen Städten gefunden: im Altertum, im Mittelalter wie in der Neuzeit und Gegen wart. Nicht willkürlich bezeichnet Jürgen Spiegel in der sogenannten Bauernstube im Kubin-Haus Zwickledt. — Aufnahme H. G. Prillinger

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