Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 2, 1970

würde. Jahr und Tag saß dieser Verse schmied mit den toten Augen auf den belebtesten Gehsteigen des Stadtkerns und las mit monotoner Stimme, die BrailleKnötchen eines Blindenbuches betastend, Geschichten vor. Haselsteiner, Vater vieler Kinder, brachte in einem Linzer Verlag einmal sogar ein Lyrikbüchlein heraus. Geist und Humor vereinte der ehemalige Besitzer der Schutzengel-Apotheke Sepp Melichar. Dieser bärtige Faun, in dessen gütigen Augen der Schalk saß, hatte in seiner Apotheke einen Empfangs- und Trinkraum, den „Giftgadern", eingerichtet, und dort waren in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts die berühmtesten Dichter, Schriftsteller, Musiker und Maler des deutschen Sprachraums zu Gast. Melichar war aber nicht nur ein Freund der schönen Künste, sondern auch ein Pionier des Wassersports. Es zeugt für die sport lichen Qualitäten des beleibten Mannes, daß er einmal, einer Wette wegen, die Stromstrecke Passau—Linz, auf einem Bier faß reitend, zurücklegte. Melichar, ein Feind des Amtsschimmels und der Bürokratie, kam oft mit dem Gesetz in Konflikt und pflegte mit den srflossenen Gerichtsurteilen und zugestellten Strafmandaten die Wände seines „Giftgaderns" zu tapezieren. Einen seiner makabersten Streiche aber spielte Melichar einem seiner Freunde aus dem oberen Mühlviertel. Er bewog diesen Mann nach Linz zu fahren, übergab ihn am Mühlkreisbahnhof der Rettungsgesellschaft und ließ den vergeblich Protestierenden in die Landes-Heil- und -Pflegeanstalt einlie fern. Es dauerte Stunden, ehe es dem bie deren Mühlviertier gelang, der Zwangsjacke und der Gummizelle zu entkommen und den Ärzten und Pflegern klarzumachen, daß sie einem brutalen Scherz des tollen Apothekers aufgesessen waren. Solange man in Oberösterreich noch Sinn für echten Humor hat, wird Schriftsteller und Vortragskünstler Franz Resl ein Be griff bleiben. Der ehemalige Bahnbeamte, der das Flugrad verließ, um dem geflügelten Pegasus zu dienen, wurde, wenn er aus sei nem „Schmierbüchl" vorlas, nicht nur zu einem Meister der Mundart, sondern auch zu einem unübertrefflichen Menschendar steller. Keiner vor ihm beschwor Bauern schlauheit und Beamtendünkel, Simandldemut und Xanthippentrutz lebensechter als der Autor des köstlichen Buches „Da is amal... Da san amal... Da hat amal.. Als polternder „Leutpriester", als Grob schmied der höllischen Feueresse, ist der vor wenigen Jahren verstorbene Pfarrherr von Gramastetten, Pater Jusf, in die Lokal chronik eingegangen. Dieser urwüchsige Seelenhirte, der dem Hakenkreuz genau so wenig Zugeständnisse machte wie dem Krummstab, wurde von seinen Pfarrkin dern gehaßt und geliebt zugleich. Just, der sich nicht scheute. Scheinheilige und Bet schwestern von der Kanzel herab anzu prangern, setzte freilich selbst Taten, die seinen geistlichen Oberen viel Sorgen be reiteten. Hier sei nur eine Episode aufge zeigt, aus der hervorgeht, in welch drastischer Art sich dieser eigenwillige Diener des Herrn durchzusetzen verstand. Als ihm einmal der Bürgermeister und der Sekretär seiner Gemeinde, die er gekränkt hatte, den Gruß verweigerten, stapfte Just im Zuge eines Versehgangs mit dem Allerheiligsten zur Gemeindekanzlei empor, ließ den Ministranten schellen und zwang die beiden Unbotmäßigen so in die Knie. Der Stadt Linz und ihrer Umgebung fehlte es, wie diese Rückschau andeutet, zu keiner Zeit an Persönlichkeiten, die, bewußt oder unbewußt, anders als die anderen waren, ihrer Mucken, Schrullen und Grillen wegen von den Zeitgenossen abstachen und so unvergessen blieben. Es steht nur zu hoffen, daß es unserer Heimat nie an Individualisten dieser Art gebrechen möge, denn deren Verhaltensweisen sind ja lie benswerte Proteste gegen die zunehmende Gleichschaltung der Masse Mensch. EIN WESENTLICHER BEITRAG ZUR BAROCKKUNST IN OBERÖSTERREICH Claus Zoege von Manteuffel: Die Bild hauerfamilie Zürn 1606 bis 1666. Bd. 1 mit einem Beitrag von Peter v. Bomhard, Bd. 2 Bildtafeln und Werkkatalog. — Wei ßenhorn: Anton H. Konrad-Verlag 1969, Ladenpreis ca. S 740.—. Die Kunst des Barocks hat in der Forschung noch lange nicht den Rang wie etwa die Gotik erringen können. In Österreich wur de in den letzten Jahren der Rückstand einigermaßen auf dem Gebiete der barokken Architekturgeschichte und Malerei auf geholt. Ein umfangreiches Werk der deut schen Kunstgeschichtsforschung hat nun mehr auch in der Plastik ein Thema aufgegriffen, das gerade für die Kunst Oberösterreichs von wesentlicher Bedeu tung ist. Klaus Zoege von Manteuffel wur de durch seine berufliche Tätigkeit als Ku stos an der Skulpturenabteilung der Staatlichen Museen in Berlin-Dahlem an den Problemkreis der Bildhauerfamilie Zürn herangeführt. Er selbst gibt den zu behandelnden Zeitraum mit den Jahren 1606 bis 1666 an. Im allgemeinen wird diese Epoche nur von der Kriegsgeschichte (Dreißigjähriger Krieg) erfaßt. Daß in ihr die Grundlagen der süddeutschen Barock kunst gelegt worden sind, ist wenigen be kannt. Der Autor bietet ein Musterbeispiel exakter kunstwissenschaftlicher Facharbeit, die Liebe zum Gegenstand hat ihm bei der Niederschrift die Hand geführt. Im Vor wort führt er treffend aus: „...für das Schicksal der Menschheit ist nicht unwich tig zu erkennen, wie die Menschen bisher ihre Welt — unter anderem durch Kunst werke — ordneten. Darüber sollte man möglichst viel und möglichst Genaues zu erfahren versuchen." Nach dem Rezept der Genauigkeit ist er selbst verfahren. Neben der in der Kunstgeschichtsforschung heute landläufigen Methode des Stilvergleiches hat der Autor vor allem die archivalische Forschung herangezogen. Es wurden rund 30 Archive, der Urkundenbestand aus Was serburg am Inn von Peter v. Bomhard be arbeitet, herangezogen. Aus diesem unendlich fleißigen Bemühen ergibt sich nun das Bild der Bildhauer familie Zürn mit dem Vater Hans Zürn d. Älteren und seinen sechs Söhnen Jörg, Hans d. J., Martin, Michael, David und Hans Jacob. Es ergibt sich daraus aber auch anschaulich das Bild ihrer Zeit. Für Oberösterreichs Landeskunde sind fol gende Darlegungen besonders wichtig: Die 3 Altäre in der Filialkirche St. Georgen an der Mattig als gemeinsames Werk von Michael Zürn und der Werkstatt Martin Zürn, datiert 1645 und 1649. — Die Reste des ehemaligen Hochaltares der Stadtpfarr kirche Braunau am Inn, eine Halbfigur Gottvater im Heimathaus Braunau am Inn, Muttergottes und Kruzifix in der Pfarr kirche Eggeisberg, Thronende Muttergottes in der Waldkapelle in Roßbach, eine Kreu zigungsgruppe in der Pfarrkirche von Burg kirchen, Grabsteine am Braunauer Münster, im gleichen Gotteshaus der Katharinenund der Elisabeth-Altar, eine hl. Katharina im Landesmuseum und schließlich der Mar tinsaltar in der Stadtpfarrkirche Ried im Innkreis als Werke des Martin Zürn. — 3 Arbeiten von Michael Zürn in Linz und ein umfangreicher Werkbestand „Werk statt und Umkreis der Zürn". — Insgesamt sind ausgewiesen 13 gemeinsame Werke, 6 Arbeiten von Hans dem Älteren, 22 selbständige Arbeiten des Jörg, 12 selbstän dige Werke von Hans dem Jüngeren, 30 des Martin, sowie 19 Arbeiten von Michael und 11 von David Zürn, darüber hinaus 134 Werke, die dem Umkreis dieser Bild hauerfamilie oder ihrer Werkstatt zuzu schreiben sind. Die gleiche Genauigkeit, die für die archi valische Forschung aufgewendet wurde, zeigt auch der Werkkatalog, der für seine Art als ein Musterbeispiel angeführt wer den kann. In ihm findet sich eine Über fülle kunstwissenschaftlichen Materials. Der Text ist bei aller Wissenschaftlichkeit flüssig und anschaulich. Reiches Bildmate rial, in einem eigenen Band zusammenge stellt, ermöglicht ein genaues Studium, aber auch den Genuß des Schauens, der ja in der Kunstgeschichte vorrangig bleiben soll. O. W.

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