Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 2, 1970

Nikolaus N e g r e 11 i - M ol d e 1 b e Originale aus Linz und Umgebung Das geruhsame Linz vergangener Zeiten, die stille Stadt um die Jahrhundertwende, in der jeder jeden kannte, beherbergte aller lei Menschen, die als Originale, als Sonder linge und skurrile Einzelgänger von ihrer Umwelt abstachen. Wer sie waren und wo durch sie auffielen, hält die mündliche Über lieferung fest, und wo diese zu verstummen drohte, sprangen die Chronisten des klei nen Lebens, wie Karning, Krakowitzer und Commenda ein und hielten mit der Feder fest, was voreinst Frau Fama erzählte. Die sen Schelmen und Käuzen, diesen Außen seitern des genormten Lebens, diesen mit unter tragikomischen Verächtern der Kon vention ist dieser Kuriositätenspiegel ge widmet. Den bunten Reigen der noch erfaßbaren Lin zer Originale eröffnet der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wirkende Mittelschul professor Beil, der die Gregorianische Zeitrechnung ablehnte und sich unentwegt an den Kalender der Ersten Französischen Republik hielt. In dieser Zeit ordinierte auch der Stadtarzt Foedinger, der mit den schönen Linzerinnen über ihre intimsten Wehwehchen so ungeschminkt diskutierte, daß sie seinen Behandlungsraum oft genug mit Purpurwangen verließen. Foedinger war ein rüder „Dr. Eisenbart", der seine Patienten zwar brüskierte, aber meist auch heilte. Eine andere stadtbekannte Figur war damals der alte Himmelreich, ein gravitäti scher Greis, der nur eine bescheidene Pen sion bezog, sich aber stets so gebürdete, als sei er der oberste Beamte der Statthalterei. Zu den populärsten Linzern dieser Epoche zählte der ehemalige Sparkassenbeamte Kreuzer, der sich mit dem Blindenstock in sein Stammlokal tastete, dort aber zum geistsprühenden, humorvollen und lebens bejahenden Mittelpunkt einer geselligen Runde wurde. Gedenkt man der Jahrzehnte vor der Jahrhundertwende, dann darf auch des Stadtsekretärs Thum nicht vergessen werden. Dieser tüchtige Berater mehrerer Linzer Bürgermeister wurde seiner spitzen Zunge, seines losen Mundwerks wegen immer wieder zum Stadtgespräch, ersetzte die Klatschspalten der damals noch sehr diskreten Lokalblätter und war geschätzt und gefürchtet zugleich. Zum Till Eulen spiegel jener Zeit aber, da man in den Linzer Gewölbeschenken noch „Abzugbier" trank und dazu „Abschnitzel" aß, wurde der Flickschuster und Bratlgeiger Sallinger. Bruder im Spiel aller Wirtshaushocker, stets zu Wetten bereit und immer geneigt, Amts personen hinters Licht zu führen, verübte Sallinger viele lustige Streiche, die nur ein Griesgram übelnehmen konnte. Ein makabres Hobby hatte sich ein kleiner, zaundürrer Linzer zugelegt, den man zwi schen Lustenau und Urfahr die ,,Gottesackermaus" nannte. Dieses stets dunkel und altmodisch gekleidete Männchen schloß sich mit Leichenbittermiene jedem Trauerkondukt an, erwies allen verstor benen Linzern die letzte Ehre, war mit den städtischen Friedhöfen vertrauter als die ALLE SORTEN GASFEUERZEUGE 4020 Linz, Hauptplatz 22 REISEANDENKEN Tel. 51 488 und 2528 14 SCHACHSPIELE Betrieb: Mellcharstraße 4a Glas- und Porzellanmalerei Glas- und Porzell anfotografle Goldrömer, geschliffen, mit Musik Totengräber und wurde seiner düsteren Freizeitgestaltung wegen eine stadt bekannte Persönlichkeit. Wer in jenen Jahren, da in den Hosen säcken noch Kreuzer klirrten, gern ins Gast haus ging, lernte unweigerlich den fröh lichen Biertisch-Sänger Doppier kennen. Dieser dicke Wirtshaus-Barde war nicht nur ein Meister auf der Gitarre, sondern auch ein witziger Blitzdichter. Was immer sich in Linz ereignete, vor allem die nicht immer vertuschbaren Affären der städti schen „Chronique scandaleuse", schmetterte Doppier,„in gehör'gen Reim gebracht", ins Rauchgewölk der Trinkstuben. Das Linz jener Generationen, die sich noch vor Kometen fürchteten, verfügte jedoch nicht nur über Kreuzer, den blinden Schalksnarren des Biergottes Gambrinus, sondern auch über eine des Augenlichts beraubte Sängerin. Diese arme Frau, von den Blattern um die Sehkraft gebracht, hatte eine wundersame Altstimme, ver stand die Laute meisterhaft zu schlagen und verdiente sich, als „Hofsängerin" be kannt, ihr kärgliches Brot. Wenn diese rührende Erscheinung ihr Lieblingslied, „Du holdes Aug" anstimmte, dann feuch teten sich die Wimpern unserer Großmütter und klirrten die Kupferkreuzer auf den Steinplatten der Arkadenhöfe. Das Trio der blinden Alt-Linzer Almosen empfänger beschloß der ,,Blinde auf dem Pöstlingberg". Im Schatten der Gnaden kirche kauernd, streckte dieses Stiefkind des Schicksals den Wallfahrern die Gabenschale entgegen und die da in der Basilika ihre Seele erhoben und auf der Aussichtsterrasse ihre Augen ergötzt hatten, ließen des Blin den Bitte nicht unerfüllt. Der alte Mann, dem der Pfarrer Unterschlupf gewährte, war stets von Kindern umringt, denen er all jene Geschichten erzählte, die ihm der Pfarrherr an den langen Winterabenden vorgelesen hatte. Ein Linzer ist seiner originellen Wesensart wegen sogar in die Literaturgeschichte ein gegangen. Es ist dies der Kommandeur des Infanterieregiments Nr. 14,Großherzog von Hessen und bei Rhein, Oberst Oskar Negrelli, Ritter von Moldelbe. Bekanntlich machte der Dichter und Schriftsteller Her mann Bahr diesen cholerischen Polterer, der seine Soldaten, aber auch seine Familien mitglieder tyrannisierte, in Wahrheit aber ein gütiger Mensch war, zur Hauptfigur seines Lustspiels „Der Krampus". Daß Bahr dabei aus dem Oberst einen Hofrat machte, war ein Gebot der damaligen Zeit, die Träger des bunten Tuches nicht gerne auf der Schaubühne sah. Daß der Zauber der Montur voreinst nicht nur das Auge entzücken, sondern auch den Verstand verwirren konnte, stellte zur Zeit, da der Großvater die Großmutter nahm, der „Hundsmarken Toni" unter Beweis. Der unter diesem Spitznamen bekannt ge wordene Linzer Bettler war dem Geglitzer

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